Wenn auch Frauen zum Baumarkt gehen

Seite 2: Auffällig viele der kleinen Lädchen sind in der Ära "Ich AG" aus dem Boden geschossen

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In den letzten Jahren war in Bezug auf Do It Yourself vielfach von einer "Revolution" die Rede. Auch ihre Ausstellung trägt den Titel "Die Mitmach-Revolution". Was wird denn hier ihrer Meinung nach revolutioniert?

Verena Kuni: Mit dem Begriff der Revolution muss man natürlich vorsichtig sein. Eine Revolution ist per Definition eine Umwälzung des Bestehenden, eine Veränderung der Verhältnisse, die von vielen gewollt und getragen wird. Aus der Geschichte kann man dann lernen, dass Revolutionen die Tendenz haben, früher oder später ihre eigenen Kinder zu fressen. Das lässt sich, vielleicht etwas weniger brutal, auch von so mancher Alternativbewegung sagen. Sympathisch ist aber auf jeden Fall der Akt des "Zusammen-Machens", der Solidarisierung, um ein gemeinsames Ziel zu erreichen, das zuvor utopisch schien.

Mit dem Titel "Mitmach-Revolution" wollen wir in erster Linie diese positive Kraft ansprechen. Beispielsweise auch den gegenseitigen Austausch, das Voneinander und Miteinander-Lernen. Denn darum geht es ja bei Do It Yourself: Do It Yourself steht für selbst bestimmtes, selbstorganisiertes Arbeiten, Lernen, Handeln.

Viele können vom Selbstgemachten aber nicht einmal ihren Lebensunterhalt bestreiten. Untersuchungen wie die von Sigrid Betzelt oder Carroll Haak kommen zu der Erkenntnis, dass Künstler- und Kulturdienstleister eine umsatzsteuerpflichtige Grenze von 17.500 Euro bei ihrem Jahreseinkommen in der Regel nicht überschreiten und das Durchschnittseinkommen meist weit unter dem liegt, was andere Erwerbstätige mit vergleichbarem Bildungsniveau erzielen. Sind das nicht auch neue Risiken und Marktzwänge?

Verena Kuni: Sicher. In diesem Sinne kann man auch den Werbespruch der Handelsplattform für Selbstgemachtes, Etsy, durchaus doppeldeutig lesen: "sell yourself", das heißt eben nicht nur: "Verkaufe selbst!" - sondern auch: "Verkauf Dich selbst". Gerade in der jüngeren Generation derer, die sich auf diesem Markt bewegen, gibt es einen fließenden Übergang vom kreativen Imperativ hin zu einem professionalisierten Do It Yourself, das schließlich mit semi-professionellen Produktionen konkurrieren muss.

Durch Hartz IV bzw. begleitende Maßnahmen, die Menschen mit unregelmäßigem Einkommen - und dazu zählen mitunter ja auch Selbständige im sogenannten kreativen Sektor - unter entsprechende Handlungszwänge setzen, ist hierzulande noch ein weiteres Schwungrad hinzugekommen. Auffällig viele der kleinen Lädchen sind in der Ära "Ich AG" aus dem Boden geschossen. Insgesamt entscheidet man sich für das Selbermachen immer nur bedingt freiwillig bzw. individuell, und in jedem Trend sind auch gesellschaftliche Konditionen bzw. Zwänge enthalten. Das beleuchten wir auch in der Ausstellung kritisch.

Es geht, anders als in der Politik, um Produktivität und Arbeit

Holm Friebe und Sascha Lobo nannten ihr Buch über die Digitale Bohème vor ein paar Jahren "Wir nennen es Arbeit". Hätte man es auch "Wir nennen es Selbstausbeutung" nennen können?

Verena Kuni: Auch diesen Titel kann man auf zwei Arten lesen. Zum einen deutet das Selbermachen auf den Prozess der Selbstökonomisierung hin und bildet prekäre Existenzen ab. Zum anderen heißt "Wir nennen es Arbeit" aber auch, dass es wirklich Arbeit ist. Und kein Freizeitspaß, für den kreative, künstlerische, aber auch intellektuelle bzw. immaterielle Arbeit gerne gehalten wird. Das gilt auch für Do It Yourself: Im Selbermachen und Selbstgestalten stecken Mühe und Arbeit drin.

Besteht nicht so aber nicht die Gefahr, dass ganze Bereiche heute als Arbeit bezeichnet werden, die nicht oder zumindest nicht hinreichend entlohnt werden?

Verena Kuni: Moment, warum sollte das eine Gefahr sein? Nicht umsonst ist aus feministischer Perspektive immer darauf hingewiesen worden: Hausarbeit ist Arbeit - das Problem besteht darin, dass sie bis heute nicht als vollwertige Arbeit anerkannt bzw. entsprechend entlohnt wird. Obwohl sie am Bruttosozialprodukt einen erheblichen und auch berechenbaren Anteil hat. "Wir nennen es Arbeit" heißt insofern allem voran: Wir nennen es Arbeit, weil es Arbeit ist.

Für die Politik kann das aber auch heißen, es gibt genügend Arbeit, kümmert euch bitte selbst drum. Wäre es nicht gerade Aufgabe der Politik, prekäre Existenzen besser abzusichern?

Verena Kuni: Ja, das ist es sicher auch, Stichwort: Unbedingtes Grundeinkommen. Indessen läuft das in der Politik nach wie vor in eine völlig falsche Richtung. Da geht es lediglich um Beschäftigungspolitik, um "Jobs". Aber nicht um Produktivität und Arbeit. Und auch die Gewerkschaften tun sich noch immer schwer damit, so etwas wie selbständige Arbeit bzw. Selbständigkeit überhaupt wahrzunehmen. Als ob es da keine Notwendigkeit einer Interessenvertretung, einer gemeinschaftlichen Organisation, eines Solidarprinzip gäbe.

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