Wenn das Extrem zum Alltag wird

Niedrigwasser am Mittelrhein 2018. Bild: onnola, CC BY-SA 2.0

Heute endet der meteorologische Sommer. Das Jahr 2022 wird mit einem neuen Sonnenscheinrekord und einer rekordverbrannten Waldfläche in die Geschichte eingehen. Und auch sonst registrierten die Meteorologen Spitzenwerte.

Am 18. August 2022 passierte, was eigentlich unmöglich erscheint: Der Pegel des Rheins fiel in Emmerich auf minus drei Zentimeter. Ein neuer Negativrekord: Dass hier auf dem Niederrhein überhaupt noch Schiffe fahren konnten, lag lediglich daran, dass die Fahrrinne immer weiter ausgebaggert worden ist, in der sich jetzt das gesamte Flusswasser konzentrierte: Anders wäre ein Pegel unter null nicht denkbar, denn Null bedeutet "ausgetrocknet".

"Wenn Du mich siehst, dann weine!" – diese Aufschrift trägt der Deciner Hungerstein, eines der ältesten hydrologischen Denkmäler an der Elbe in Tschechien. Im August ist er trockengefallen, auch der Elbe fehlt das Wasser. Stromab, in Dömitz an der Niederelbe, fiel der Pegel auf 46 Zentimeter.

Die Schifffahrt ist auf Deutschlands drittgrößten Strom vielerorts längst zum Erliegen gekommen, nicht einmal jene Fähren, die in manch ländlichem Gebiet die Verbindung sichern, können überall noch übersetzen. Noch schlimmer erwischt hat es die Weser: Auf mehr als 200 Kilometern herrscht Niedrigwasser – kein Schiffsverkehr mehr von Bremen bis nach Höxter.

"Bis Mitte August fielen in Deutschland im Flächenmittel nur 104 Liter Regen pro Quadratmeter", sagt Kristina Fröhlich vom Deutscher Wetterdienst. Normal in den Sommermonaten wären gemäß dem langjährigen Messdurchschnitt 239 Liter. Nur weil es in den letzten Augustwochen noch einmal mancherorts kräftige Gewitter mit Überschwemmungen gab – etwa in Franken und der Oberpfalz oder in Thüringen – wurde der bisherige Negativrekord seit Beginn der Aufzeichnungen nicht gerissen. Der stammt aus dem Sommer 1911, in dem nur 124 Liter Regen auf den Quadratmeter fielen.

Auswertungen des Deutschen Wetterdienstes zeigen: 2022 fielen in den Sommermonaten rund 145 Litern pro Quadratmeter - knapp 40 Prozent weniger Niederschlag als im Mittel der Referenzperiode 1961 bis 1990 mit 239 Litern. Damit lieferte 2022 den sechsttrockendsten Sommer hierzulande.

Von ungewöhnlicher Sommerdürre waren vor allem Hessen, das Saarland und Rheinland-Pfalz betroffen, während im Allgäu eine Sommerflut tobte: Dort wurde in Wertach-Bichel am 19. August mit 114,2 Litern pro Quadratmeter ein neuer Regenrekord registriert.

Das Problem des Sommers 2022 war aber nicht nur fehlender Regen: Der diesjährige Juni und auch der Juli zählen mit seinen Hitzewellen zu den wärmsten seit Beginn der Wetteraufzeichnungen. "Der Juni war 3 Grad, der Juli 2,3 Grad heißer als in der Referenzperiode 1961 bis 1990", sagt Kristina Fröhlich vom Deutschen Wetterdienst. Insgesamt lag die Temperatur im Juni, Juli und August 2,9 Grad über dem Vergleich zum vieljährigen Mittel – der viertheißeste Sommer seit Aufzeichnungsbeginn.

Hitze verleitet die Flora mehr Wasser zu verdunsten, Bäume beispielsweise kühlen sich dadurch ab, dass sie mehr Feuchtigkeit über die Spaltöffnungen ihrer Blätter in die Umgebung abgeben. Mehr Verdunstung sorgt aber dafür, dass noch weniger verfügbares Wasser in der Landschaft ist. Damit steigt das Dürrerisiko weiter an.

Dabei ist "Dürre" kein absoluter Zustand. "Als Dürremonat wird ein Monat beschrieben, der 80 Prozent weniger Bodenfeuchte aufweist als im Mittel der Jahre 1951 bis 2015", sagt Andreas Marx vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung in Leipzig. Marx ist für den "Dürremonitor" verantwortlich, der aktuell auf 80 Prozent der Fläche Deutschlands im Unterboden die höchste Dürre-Stufe konstatiert: eine "außergewöhnliche Dürre".

Zudem sei der Boden eine wichtige Komponente in der Dürrewissenschaft, sandige Böden nehmen Wasser zwar besser auf, speichern Feuchtigkeit aber wesentlich schlechter als lehmige. Hitzewellen wie im Juni oder Juli – in Hamburg wurde mit 40,1 Grad Celsius ein neuer Rekord gemessen – verstärken die Dürregefahr, denn Hitze dörrt den Boden aus, wodurch seine hydraulische Leitfähigkeit minimiert wird.

"Der Boden ist dann wie imprägniert", sagt Marx, "ausgedörrte Böden sind in der Regel selbst nach einem starken Regenguss staubtrocken". Bis in tiefere Schichten dringe dann Regen gar nicht mehr vor, Marx vergleicht das mit dem Kuchenbacken: "Schüttet man Milch auf trockenes Mehl, vermengt sich beides kaum. Feuchter Teig hingegen nimmt Flüssigkeit sehr leicht auf."

"Wenn wenig Wasser im Boden ist, steht auch wenig zur Grundwasserneubildung zur Verfügung", sagt Dürreexperte Marx. Zudem steigt der Trinkwasserverbrauch bei steigenden Temperaturen, weil die Menschen häufiger duschen oder den Rasen sprengen, wie beispielsweise die Dortmunder Wasserbetriebe DEW21 belegen.

Die Wasserwerke dürfen aber nur so viel Trinkwasser aus den Tiefenschichten fördern, wie sich auf Dauer neu bildet. Klima-Modelle sagen deshalb Probleme bei der Grundwasser-Neubildung voraus, in Brandenburg etwa, in Sachsen oder Niedersachsen. Dabei werden in Deutschland nur 70 Prozent des Trinkwassers aus Grundwasserreservoirs gewonnen, der Rest kommt aus Talsperren, Quellen und Flüssen.

Damit sind Konflikte ums Wasser vorprogrammiert, denn die Industrie verbraucht etwa deutlich mehr als die Privathaushalte: Allein der RWE-Konzern hat einen dreimal so hohen Wasserverbrauch wie die 3,65 Millionen Berliner. Entsprechend gereizt reagiert die Industrie auf die aktuelle Trockenheit und die Wasserstände in den Flüssen.

"Es ist nur eine Frage der Zeit, bis Anlagen in der chemischen oder Stahlindustrie abgeschaltet werden, Mineralöle und Baustoffe ihr Ziel nicht erreichen oder Großraum- und Schwertransporte nicht mehr durchgeführt werden können", sagte Holger Lösch, stellvertretender Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der Deutschen Industrie. Politik, Wirtschaft und Gesellschaft müssten sich darauf einstellen, dass solche Trockenperioden künftig nicht mehr nur Ausnahmen bleiben, sondern die Regel werden.

Entsprechend gereizt reagieren aber auch die Menschen. In Grünheide, Ostbrandenburg, gingen die Anwohner wochenlang auf die Straße, als Tesla den Bau seines Werkes dort verkündet hatte – nicht weil sie gegen die gut dotierten Industriearbeitsplätze in der strukturschwachen Region sind, sondern weil sie fürchten, künftig nicht mehr genügend Trinkwasser zu bekommen.

Denn mit der Landwirtschaft kommt ein neuer Konkurrent hinzu: Landwirte setzen immer häufiger auf Beregnungstechnik, etwa beim Kartoffelanbau oder bei Gemüse. "Wir gehen davon aus, dass wir solche Witterungssituationen in den nächsten Jahren immer wieder bekommen werden", sagt Joachim Rukwied, Präsident des Deutschen Bauernverbandes.

Dass der Sommer des Jahres 2022 als "historisch" in die Annalen eingehen wird, hat mit zwei Rekorden zu tun: Nie schien die Sonne länger als diesmal. Von Anfang Juni bis Ende August registrierte der Deutsche Wetterdienst fast 820 Sonnenstunden. Damit wurde der bisherige Rekord von 793 Stunden aus dem Jahr 2003 klar übertroffen.

Verglichen mit dem international gültigen Vergleichszeitraum von 1961 bis 1990 liegen die Sommermonate 2022 um mehr als ein Drittel über der durchschnittlichen Sonnenscheindauer. Zweitens hat uns der Sommer 2022 auch einen neuen Brandrekord beschert: Nach dem Europäischen Waldbrand-Informationssystem Effis vernichtete Feuer bislang rund 4.293 Hektar Wald – zehn Prozent mehr als im gesamten Waldbrand-Rekordjahr 2018. Und die diesjährige Feuersaison ist noch nicht zu Ende, nicht einmal der Regen zum Ende der vergangenen Woche sorgte für Entspannung.

"Der Sommer 2022 ist erneut ein Warnzeichen dafür, dass extremere Sommer bereits zur Regel geworden sind", urteilt Peter Hoffmann, Meteorologe am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung. Flusspegel und Wasserspeicher würden schneller kritische Werte erreichen, wenn Trockenjahre wie 2018, 2019 und nun auch 2022 in kürzeren Abständen folgen.

Uwe Kirsche, Sprecher des Deutschen Wetterdienstes, blickt in die Zukunft: "Wir dürften damit in Zeiten des Klimawandels einen bald typischen Sommer erlebt haben." Und Meteorologin Kristina Fröhlich fürchtet, dass die Klimaprognosen für die Zukunft vielleicht zu konservativ ausfallen: "Die Werte des Junis und Julis bewegen sich im oberen Bereich dessen, was die Klimamodelle für ein typisches Jahr Anfang der 2020er-Jahre vorhergesagt haben."