Wenn das Meer um fünf Meter steigt

In Genf wurde der neueste Bericht des Weltklimarates über die physikalischen Grundlagen des Klimawandels vorgestellt

Es geht immer schneller. Das ist einer der wichtigsten Eindrücke, der sich aus der Lektüre des heute vorgestellten neuen Teilberichts des Weltklimarats, des Zwischenstaatlichen Ausschusses für Fragen des Klimawandels (IPCC, Intergovernmental Panel on Climate Change) ergibt. Zunächst ging es ausschließlich um die naturwissenschaftlichen Grundlagen.

Die IPCC-Arbeitsgruppe 1 hat den wissenschaftlichen Kenntnisstand über die physikalischen Aspekte des Klimawandels zusammengetragen. Zwei weitere Berichte anderer Arbeitsgruppen über Auswirkungen, Anpassung und Vermeidung des Klimawandels sollen im Frühjahr 2022 folgen. Abschließend wird es ebenfalls 2022 einen Synthesebericht geben, den sechsten dieser Art. Der letzte, der fünfte Sachstandbericht wurde 2013 und 2014 veröffentlicht.

Wie zu erwarten war, ist die Botschaft alarmierend. Der mittlere Meeresspiegel ist zum Beispiel seit 1900 schneller als je zuvor in mindestens 3.000 Jahren gestiegen, so der IPCC. Das lag unter anderem auch daran, dass die Ozeane sich so schnell erwärmt haben, wie seit dem Ende des Übergangs von der letzten Eiszeit zur jetzigen Warmzeit nicht mehr. Das war vor etwa 11.000 Jahren. Mit der Erwärmung, die besonders in den oberen 700 Metern ausgeprägt ist, dehnt sich das Wasser aus und erhöht dadurch den Meeresspiegel.

Bisher hat diese thermische Expansion den größeren Teil des Anstiegs der Meere verursacht, aber in den letzten Jahrzehnten nimmt der Anteil des abschmelzenden Eises auf Grönland, in der Antarktis und der Gebirgsgletscher immer mehr zu. Die Rate, mit der die Eisschilde im hohen Norden und tiefen Süden verloren gehen, hat sich zwischen der Periode 1992 bis 1999 und der Perioden 2010 bis 2019 vervierfacht.

Screenshot IPCC-Bericht

Entsprechend hat der Beitrag der Eisschilde und Gletscher zum Meeresspiegelanstieg zwischen 2006 und 2018 bereits überwogen. Wenig überraschend hat sich dieser Anstieg in den letzten Jahrzehnten mehr und mehr beschleunigt. Zuletzt betrug er laut IPCC 3,8 Millimeter pro Jahr. Bereits der seit 1900 aus den Pegeldaten ablesbare Anstieg von inzwischen rund 20 Zentimeter war, so der Bericht, der schnellste in mindestens 3.000 Jahren.

Manche der angestoßenen Prozesse werden nicht mehr aufzuhalten sein, und insbesondere die Eisschilde werden für viele Jahrhunderte weiter schrumpfen. Aber diese Prozesse können, so die französische Paläoklimatologin Valérie Masson Delmotte, eine der Hauptautorinnen des Berichts, mit schnellen, drastischen Reduktionen der Treibhausgasemissionen verlangsamt und einige auch noch gestoppt werden.

Auch mit sehr schnellen und weitreichenden Klimaschutzmaßnahmen wird der mittlere globale Meeresspiegel bis zum Ende des Jahrhunderts jedoch noch um 28 bis 55 Zentimeter im Vergleich zur Periode 1995 bis 2014 steigen. Steigen die Emissionen aber im bisherigen Tempo noch einige Jahrzehnte weiter, so können es auch 63 bis 101 Zentimeter bis 2050 und 98 bis 188 Zentimeter bis zum Ende des Jahrhunderts werden.

Außerdem kann nicht ausgeschlossen werden, dass der Anstieg in einem Szenario mit weiter sehr hohen Emissionen noch erheblich drastischer ausfällt. Es besteht durchaus das Risiko - mit geringer Eintrittswahrscheinlichkeit aber katastrophalen Folgen - dass der Meeresspiegel bis 2100 auch um zwei und in den folgenden 50 Jahren um weitere drei Meter steigt, so der Bericht.

Langfristige Folgen

Für das Klimasystem ist das allerdings nur die allernächste Zukunft. Neben den Eisschilden passen sich auch die tieferen Schichten der Ozeane nur sehr langsam den neuen Bedingungen an. Die Erwärmung der Meere bis zum Grund wird ebenso wie das Abtauen über viele Jahrhunderte und gar Jahrtausende weitergehen.

Entsprechend wird auch bei einer Begrenzung der globalen Erwärmung auf 1,5 Grad Celsius in den nächsten 2.000 Jahren der Meeresspiegel noch um zwei bis drei Meter, um zwei bis sechs Meter bei einer Erwärmung um zwei Grad Celsius und um 19 bis 22 Meter bei einer Erwärmung um fünf Grad Celsius steigen.

Screenshot IPCC-Bericht

Anders als in den internationalen Verträgen beziehen sich die Angaben über die Erwärmung auf eine konkrete Referenzperiode, nämlich die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts. Aus dieser liegen bereits halbwegs repräsentative und verlässliche direkte Messungen vor. Außerdem war zu jener Zeit die Veränderung der Treibhausgaskonzentration aufgrund menschlicher Aktivitäten noch minimal.

Gemeint ist übrigens immer wie auch in den Messungen und Angaben der Meteorologen die Temperatur der Luft in zwei Metern über dem Boden oder dem Meer. Die Klimawissenschaften mitteln diese Temperatur für ihre globalen Aussagen meist über das ganze Jahr und den ganzen Planeten.

Mehr Extreme

Für viele besonders besorgniserregend ist die Zunahme von Extrem-Ereignissen, die nicht nur ein subjektiver Eindruck ist, sondern auch von den der Wissenschaft bestätigt wird, wie der neue Bericht festhält. "In allen Regionen verstärken sich schwere Regenfälle und zum Teil auch Dürren", so Zhai Panmao, Ko-Hauptautor und Generalsekretär der Chinesischen Gesellschaft für Meteorologie, bei der Vorstellung des Berichts.

Die jüngsten Ereignisse, wie die schweren Hochwasser in Belgien und Westdeutschland oder die katastrophale Waldbrandserie im Libanon, der Türkei, Griechenland und Italien habe der IPCC nicht mehr berücksichtigen können, aber bei anderen Hitzewellen und ähnlichem der letzten Jahre habe man den Klimawandel als Ursachen identifizieren können.

Dies geschieht inzwischen mit der sogenannten Zuordnungs- oder Attributionsforschung. Mit hohem Rechenaufwand werden Klimamodelle mit und ohne zusätzlichen Treibhausgasen in zahlreichen Durchläufen durchgespielt und untersucht, wie wahrscheinlich das Auftreten einer beobachteten Wetterlage ohne Treibhausgase ist.

Bei der Hitzewelle, die Anfang Juli den Nordosten der USA und die angrenzenden Provinzen Kanadas heimsuchte und dort mehrere 100 Todesopfer forderte wurde das gemacht. Heraus kam, dass ein solches Ereignis ohne Klimawandel nur etwa alle 100.000 Jahre auftreten würde, also extrem unwahrscheinlich war.

Für die jüngsten europäischen Desaster wurden derlei Berechnungen bisher noch nicht angestellt, aber sie wären für den IPCC-Bericht wie auch das nordamerikanischen Beispiel ohnehin zu spät gekommen.

Der IPCC

Der IPCC ist eine UN-Unterorganisation mit 195 Mitgliedern. Neben sämtlichen 193 UN-Mitgliedern gehören ihm auch die autonomen pazifischen Inselstaaten Niuë und Cook-Inseln an. Die Arbeit ist in drei Arbeitsgruppen organisiert: AG1 Physikalische Grundlagen, AG2 Auswirkungen, Anpassung und Gefährdung, AG3 Vermeidung. Vorgestellt wurde der Bericht der AG1.

Die Autorinnen und Autoren der Berichte werden vom mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern besetzen und von den Regierungen gewählten IPCC-Vorstand aus einer langen Liste von Fachleuten ausgewählt, die von den Mitgliedsländern und Beobachterorganisationen vorgeschlagen wurden. Ihre Arbeit ist ehrenamtlich und wird faktisch meist über die Institutionen finanziert, an denen sie forschen und lehren.

Am vorliegenden Bericht haben seit Sommer 2018 in einem Kernteam 243 Fachleute aus 66 Ländern geschrieben, viele weitere waren als Gutachter involviert. Der IPCC betreibt keine eigenständige Forschung, sondern fasst den Stand aus der bis zu einer Deadline veröffentlichten wissenschaftlichen Literatur zusammen. In diesem Falle waren es über 14.000 Aufsätze.

Schwere Hypothek

Außerdem stößt er die Entwicklung einheitlicher Emissionsszenarien an, die dann von diversen Gruppen in aller Welt mit den jeweiligen Klimamodellen durchgerechnet werden. Einheitliche Fragestellungen, die ebenfalls im Rahmen von IPCC-Workshops und -Konferenzen erarbeitet werden, ermöglichen die Vergleichbarkeit der Ergebnisse.

Screenshot IPCC-Bericht

Herausgekommen ist, dass nur noch zwei Szenarien mit sehr ehrgeiziger Klimaschutzpolitik die Erwärmung mit ausreichender Erwärmung unter zwei Grad Celsius halten können. In einem Falle wird die sogenannte Netto-Null 2050 im anderen um 2070 erreicht. Netto-Null meint, dass nur noch ein kleiner Rest an Treibhausgasen emittiert wird, der aber zugleich auf anderem Wege der Atmosphäre wieder entzogen wird.

Beide Szenarien sehen außerdem vor, dass nach 2050 der Atmosphäre in gewaltigem Umfang das Treibhausgas-CO2 wieder entzogen wird. Jedes Jahr müsste dann über mehrere Jahrzehnte vielleicht die Hälfte der derzeit emittierten Menge aus der Atmosphäre entnommen und sicher eingelagert werden.

Wie dies geschehen könnte, ist bisher unklar. Sicher ist höchstens, dass Aufforstung dabei wegen der begrenzten Wachstumsgeschwindigkeit nur eine untergeordnete Rolle spielen. Es ist also so oder eine gewaltige Bürde, die künftigen Generationen mit jeder Sekunde des Weiterbetriebs von Kohlekraftwerken, Erdgasinfrastruktur, Zementindustrie, Petrochemie und Verbrenner-Motoren aufgebürdet wird.

Kein Wunder, dass die Jugend ungeduldig und vielleicht noch nicht einmal wütend genug ist. Fridays-for-Future-Sprecherin Helena Marschall meint zum IPCC-Bericht:

Die Unfähigkeit der Politik diesen Katastrophen zu begegnen, treibt uns auf die Straße - wir appellieren an Menschen aus allen Generationen, sich uns anzuschließen. Zum globalen Klimastreik am 24. September werden wir uns an über 170 Orten gegen die aktuelle klimapolitischen Ignoranz wehren.

Helena Marschall, Fridays for Future