Wenn die Linke unbedingt die Mitte besetzen will
Thüringen ist im Wahlkampfmodus, doch Wahlen wird es nicht geben
Der Alptraum vieler Antifaschisten wird nicht eintreten. Der AfD-Rechtsaußen Björn Höcke wird nicht der neue Ministerpräsident von Thüringen. Die AfD hat einen Misstrauensantrag gegen den einzigen von der Linkspartei gestellten Ministerpräsidenten gestellt. Die CDU hat schon angekündigt, sich zu enthalten, was die SPD bereits heftig kritisiert hat.
Damit hat die AfD ihr taktisches Ziel erreicht. Jetzt macht die Landes-CDU in Thüringen der Linkspartei Vorwürfe, weil sie sich in der letzten Woche überraschend von ihren Neuwahlplänen verabschiedet hat. Die Landes-CDU macht auf ihrer Homepage deutlich, dass sie schon ganz auf den Wahlkampf eingestellt ist. Nun wäre der reguläre Wahltermin in Thüringen eigentlich erst im Jahr 2024.
Bisher gehörten die Linkspartei und die Grünen zu den vehementen Befürwortern von Neuwahlen am 26. September parallel zu den Bundestagswahlen. Das Kalkül war sehr einfach. Man hoffte, dass die aus Linken, Grünen und SPD bestehende Landesregierung wieder eine eigene absolute Mehrheit im Landtag bekommt. Die hatte sie bei den letzten Wahlen verfehlt.
Dann kam es am 5. Februar 2020 zur Wahl des Thüringer FDP-Vorsitzenden Kemmerich auch mit Stimmen der AfD, was von den Unterlegenen gleich als Dammbruch und fast als neues 1933 mystifiziert wurde. Kurzfristig war diese Strategie erfolgreich. Kemmerich musste zurücktreten und die CDU ihre Ankündigung weder mit der AfD noch der Linken zu kooperieren, stark modifizieren.
Denn tatsächlich tolerierte die CDU das von Ramelow geführte Kabinett für eine begrenzte Zeit. Die ist nun abgelaufen und die Union ist bereits im Wahlkampfmodus. Denn eigentlich sind sich FDP, CDU und AfD darin einig, dass sie Ramelow weghaben wollen. Doch das starke Empörungspotential nach der Kemmerich-Wahl zeigte, dass ein offen rechter Block unter Einschluss der AfD zurzeit auch in Thüringen politisch nicht möglich ist.
Das schränkt den Handlungsspielraum der Konservativen ein und stört vor allen den rechten Flügel der Union, der sich eine Kooperation mit der AfD gut vorstellen kann. Die Nominierung des CDU-Rechtsaußen Hans-Georg Maaßen zum Kandidaten für die Bundestagswahl ist hierfür ein klares Symbol. Maaßen hatte die Wahl von Kemmerich zustimmend kommentiert.
Wie sich Linke den bürgerlichen Block schönreden
Nun könnte die Linke die diffuse Anti-Rechtsstimmung nutzen, die sich nach der Kemmerich-Wahl auch auf den Straßen und Plätzen ausdrückte, um gegen den Bürgerblock eine linke Alternative zu stellen. Aber das Gegenteil geschieht.
Mit der Parole "Alles gegen die AfD" wird vielmehr eine Anpassung an die rechte Mitte betrieben. Das beginnt schon damit, dass Linke heftig bestreiten, dass ein Bürgerblock Kemmerich zum Kurzzeitministerpräsidenten gemacht hat. So versuchen Linke, die AfD als nicht-bürgerlich hinzustellen, um sich selber in der bürgerlichen Mitte zu verorten. Linke außerparlamentarische Initiativen könnten dieses Mitte-Image natürlich beschädigen und sind daher unerwünscht.
Dafür verärgert Ministerpräsident Ramelow seine traditionalistischen Parteigenossen, indem er in seinem Tagebuch den Jahrestag des deutschen Überfalls auf die Sowjetunion und den Bau der Berliner Mauer als historische Ereignisse bezeichnet, die "auf natürlich sehr verschiedene, aber dennoch einschneidende Weise für viele Millionen Menschen in Deutschland, Europa und der Welt katastrophale Wendepunkte ihres Lebens" darstellen.
Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern
Vor allem aber verlieren sich Parlamentarier der Linkspartei in merkwürdigen Ausreden, wenn sie begründen solle, warum sie nun selbst von den Neuwahlen nichts mehr wissen wollen. So erklärt der Vorsitzende der Linksfraktion in Thüringen, Steffen Dittes: "Unsere Verantwortung ist es nicht, alle Jahre zu versuchen, den Landtag aufzulösen."
Da stellt sich natürlich gleich die Frage, warum kam ihm die Erkenntnis nicht schon früher, als die Linke vehement auf Neuwahlen drängte? Warum hat er dann die CDU dafür attackiert, dass sie nicht die nötigen Mehrheiten ohne die AfD für die Landtagsauflösung garantieren konnte? Warum überhaupt wurde die Bedingung erhoben, die Mehrheit für die Landtagsauflösung müsse ohne die Stimmen der AfD zustande kommen?
Schließlich ist es ja wohl ein Unterschied, ob man sich mit den AfD-Stimmen zum Regierungschef wählen lässt oder ob damit eine Landtagsauflösung erreichen will. Noch wählerischer ist die Landtagsabgeordnete der Linken in Thüringen, Kati Engel, was die Stimmen für die Landtagsauflösung betrifft. In einem Interview mit der Tageszeitung Neues Deutschland wollte sie auch nicht von der Stimme einer Abgeordneten abhängig sein, die aus der FDP ausgetreten ist, was der FDP übrigens ihren Fraktionsstatus im Thüringer Landtag kostet.
Es hat sich gezeigt, dass Frau Bergner bei den Demos gegen die Corona-Maßnahmen, bei den Corona-Leugnern eine führende Rolle einnimmt. Vom Gefühl her kann man sie nicht mehr dem demokratischen Spektrum zuordnen. Es wäre für mich ein Graus gewesen, wenn es an ihrer Stimme gehangen hätte. Wenn wir sie durch die Auflösung des Landtags zur Retterin der Demokratie erhoben hätten. ...
Kati Engel, ND
Nun ist es schon ein bemerkenswertes Verständnis von bürgerlicher Demokratie, wenn man Oppositionsabgeordneten so mal vom Gefühl her nicht dem demokratischen Spektrum zuordnet, also aus dem Spektrum der bürgerlichen Demokratie ausschließt.
Wäre es nicht eigentlich die Aufgabe der Wählerinnen und Wähler darüber zu entscheiden und nicht die Aufgabe einer Abgeordneten einer Regierungsfraktion, die ja nach den formalen Regelungen der bürgerlichen Demokratie sich nicht aussuchen soll, von welchen Abgeordneten sie kontrolliert wird?
Zudem wäre ja die Frage, ob die von Klein inkriminierte Landtagsabgeordnete Bergner Neuwahlen eigentlich mehr fürchten müsste. Denn es ist nach allen Prognosen unwahrscheinlich, dass die Regionalpartei Bürger für Thüringen in den nächsten Landtag einziehen würde. Das müsste doch eigentlich die Linke begrüßen.
So wird durch das ganze Herumeiern bei der Frage der Neuwahlen nur deutlich, dass die Prognosen für die gegenwärtigen Regierungsparteien so gut nicht ausschauen und da will man nichts riskieren und präsentiert sich plötzlich als Hort der Stabilität, die nicht alle halbe Jahre den Landtag auflösen wollen.
Insofern ist die aktuelle Debatte um Neuwahlen in Thüringen ein Beispiel für eine Täuschung: Wenn Linke nur bürgerliche Mitte sein wollen und sich dann wundern, dass viele Wähler lieber für das Original stimmen.