Wenn ich groß bin
Mario und Luigi bekommen Nachwuchs, Sony kämpft gegen dunkle Kolosse und Namco rollt klebrige Kugeln durch surreale Welten. Zum Jahresauftakt wollen Videospiele hoch hinaus
Zum Start der Saison 2006 machen gleich drei Titel für den Nintendo DS und die Playstation 2 die Unterschiede zwischen Groß und Klein zum Thema. So treffen Mario und Luigi im Rollenspiel "Zusammen durch die Zeit" auf ihre Alter-Egos als Kleinkinder. In Sonys "Shadow of the Colossus" schlüpft der Spieler in die Rolle eines japanischen tapferen Schneiderleins, das 16 riesige Kolosse erklimmen und niederstrecken muss. Namco bringt endlich "We love Katamari" nach Europa, in dem man nach dem Schneeballprinzip mit einer kleinen klebrigen Kugel immer mehr Gegenstände aufrollt - von der Büroklammer bis zum Hochhaus. Size does matter. Ob auch der Spaß dabei nicht zu kurz kommt, zeigt unser kleiner Test der großen Spiele (Wertung: 1 = mickrig, 10 = gigantisch).
Nintendo kommt derzeit mit der Produktion seiner Zweischirmkonsole DS kaum nach. Der Engpass führte in Japan dazu, dass die Verkaufszahlen kurzfristig hinter die Playstation Portable zurückfielen, um in der vergangenen Woche wieder über die 100.000er Marke zu klettern. Neben der Hundesimulation Nintendogs dürften vor allem die gelungenen Fortsetzungen alter Gameboy-Klassiker wie "Advance Wars" und "Mario Kart" zum Höhenflug beigetragen haben. Auch "Mario & Luigi: Zusammen durch die Zeit" (engl. Partners in Time) ist eine DS-Fortsetzung des Gameboy-Titels "Superstar Saga". Nintendo selbst nennt es ein Action-Rollenspiel. Jedoch muss man nicht wie bei Diablo in Hack-and-Slay-Manier Monsterhorden umhauen, sondern löst Jump-and-Run-Puzzle. In den rundebasierten Kämpfen kommt es auf Reaktionsschnelligkeit und das richtige Timing für die Angriffskombinationen an.
Die Geschichte ist schnell erzählt: Prinzessin Peach wird von Aliens durch ein Zeittor entführt. Mario und Luigi folgen ihr in die Vergangenheit und treffen dort sich selbst als Kleinkinder. Zu viert machen sie sich auf die Suche nach Kristallsplittern, um das Pilz-Königreich von den Aliens zu befreien. Für die Kämpfe und Puzzle ist Teamwork gefragt. Das Rollenspiel besticht durch seine einfache Steuerung, bei der jeder Spielfigur genau eine Taste zugeordnet ist, mit der sie springt oder andere Aktionen ausführt. Mario und Luigi junior erschrecken sich zwar leicht und fangen wie Schlosshunde an zu weinen, durch ihre geringe Körpergröße können sie jedoch Winkel erreichen, in die ihre Onkel nicht hineinpassen. Sonst nehmen die Großen sie einfach Huckepack.
Die Kämpfe bestreitet man nicht mit Schwert und Keule, sondern mit kombinierten Kopfsprüngen oder Schildkrötenpanzer-Geschossen. Wie bei einem Flipper muss man die Panzer im Spiel halten oder den Gegnern mit einem Vorschlaghammer vor den Kopf stoßen. Später kommen immer komplexere Angriffe hinzu. Im Unterschied zu anderen Rundenkämpfen hat Nintendo das Zufallsmoment eliminiert. Selbst mit nur wenigen Lebenspunkten kann man mit dem richtigen Timing übermächtige Gegner bezwingen.
Das ungewöhnliche Heldenquartet und der gut austarierte Schwierigkeitsgrad macht "Mario & Luigi: Zusammen durch die Zeit" auch ideal für Kinder. Da die rund 20 Stunden dauernde Geschichte ohne Sprachausgabe erzählt wird, sollten sie aber lesen können.
Die Kleinfamilie kann gerade dann, wenn sie zusammenarbeitet, die größten Gegner bezwingen. Besonders kleinen Jungen bietet diese kooperative Spielweise große Identifikationsmöglichkeiten, können klein Mario und Luigi doch ihren großen Vätern zeigen, dass sie für die Abenteuer unerlässlich sind. Während das Mario-Universum viele männliche Spielfiguren zur Auswahl bietet, wird Mädchen hingegen nur Peach als schöne Prinzessin zur Identifikation angeboten, die hilflos entführt wird und auf die männlichen Retter angewiesen ist. Nintendo tut sich schwer, Mädchen hier genauso anzusprechen wie Jungen. Immerhin soll Peach demnächst ihr eigenes Jump-and-Run-Spiel bekommen, indem sie aus ihrer bisher passiven Rolle ausbrechen kann. Doch es fehlen weitere weibliche Charaktere, wie etwa ein Muttertyp oder eine böse Pendatin zu Wario.
Zusammen durch die Zeit spielt sich deutlich glatter als noch Superstar Saga, das vor kreativen Ideen nur so überquoll. Allzu komplexe Kampfkombinationen haben die Entwickler von Alphadream wegrationalisiert und so das Spiel für Anfänger noch zugänglicher gestaltet, die zudem sehr behutsam in das Aufbewahrungssystem und die Kampfkombinationen eingeführt werden. Das mag Profispielern des ersten Teils eventuell etwas zu seicht sein, es passt jedoch zu Nintendos Maßgabe, vor allem bisherige Nichtspieler vor die DS-Konsole zu locken.
Technisch nutzt das 2D-Rollenspiel einige grafische Tricks des DS, die der Gameboy Advance noch nicht kannte. Der zweite Bildschirm zeigt eine Übersichtskarte oder weitere Levelabschnitte, wenn die Gruppe sich teilt. Den Touchscreen oder das Mikrofon nutzt das Spiel hingegen nicht, sondern konzentriert sich auf seine bisherigen stärken. (9)
In "Shadow of the Colossus" für die Playstation 2 erzählen die die Macher des Kunst-Adventures "ICO" in wunderschönen Bildern den Kampf eines kleinen Helden gegen 16 übermächtige Kolosse. Nur mit einem Schwert und Bogen ausgerüstet, durchreitet der Spieler Steppen und Wälder um die sprichwörtlichen Wolkenkratzer zu stellen. Jeder Gegner hat bestimmte Schwachstellen, zu denen es empor zu klettern gilt. Dazu muss der Spieler wie bei einem Rodeo auf einem wütenden Godzilla reiten, auf dessen Körper von Plattform zu Plattform springen und versuchen, das Kopfplateau zu erreichen und den tödlichen Stoß anzubringen. Zwei Tasten reichen zum Greifen und Springen, doch je länger er an einer Stelle baumelt, desto mehr schwinden seine Kräfte. Ein Sturz in die Tiefe ist zwar nicht tödlich, der erneute Weg nach oben aber sehr lang.
Größere Gegner hat man in Videospielen bisher nicht gesehen. Neben den Kolossen wirkt selbst King Kong wie ein kleines Äffchen. Während der Spieler bei Mario und Luigi kooperativ vorgeht, ist er hier ganz auf sich allein gestellt. Die rostbraunen Giganten aus Fell und Fellsen sind leicht als Synonyme für unkontrollierbare Technik und betonierte Städte zu sehen, denen man sich auch im Alltag gegenüber verloren vorkommt. Shadow of the Colossus gibt den Spieler die Möglichkeit, die Kontrolle über sie zu erlangen, auch wenn dies alles andere als leicht ist. Dies ist natürlich die Aufgabe eines jungen Mannes. Die einzige Frau im Spiel liegt wie Dornröschen im Todesschlaf und wartet nur darauf, vom Helden erweckt zu werden.
Das Spieldesign konzentriert sich auf wenige Elemente, setzt diese jedoch nahezu perfekt um. So gibt es keinerlei Zwischengegner oder neue Waffen zu entdecken -- Shadow of the Colossus verläst sich auf seine intelligenten Endgegnerkämpfe und die malerische, verlassene Landschaft, die es zu erkunden gilt. Die in Brauntönen gehaltene Architektur wird durch gleißende Lichteffekte in Szene gesetzt. Je nach Umgebung verhallen Geräusche anders.
Anfänger werden sich beim ungleichen Kampf in der japanischen Fantasywelt allerdings wie Sysiphus vorkommen. Beim Aufstieg ist kein Zwischenspeichern möglich und so gilt es, immer wieder von neuem Anlauf zu nehmen, bis man die Kolosse in einem Durchgang besiegt hat. Könner benötigen pro Kampf vielleicht eine halbe Stunde. Sind alle 16 Monster besiegt und das mysteriöse Mädchen im Tempel vom Todesfluch befreit, so darf man das Abenteuer auf drei weiteren Schwierigkeitsstufen von neuem durchspielen und sich am Ende einem geheimen 17. Koloss stellen.
Durch seinen puristischen Aufbau und faszinierende Grafik, gehört "Shadow of the Colossus" zu den ungewöhnlichsten Spielen überhaupt. Sicherlich nichts für die breite Masse, aber etwas für Leute, die in Videospielen mehr als nur einen reinen Zeitvertreib sehen. (8)
Was dabei herauskommt, wenn japanische Spieledesigner zuviel LSD schlucken und alte Beatles-Zeichentrickfilme anschauen, sieht man bei Namcos "We love Katamari" für die Playstation**2. Der König will neue Sterne an den Himmel setzen und so muss der kleine Prinz mit einer kleinen klebrigen Kugel Gegenstände aufrollen, sodass sie wie bei einem Schneeball immer größer wird. Anfangs nimmt sie nur kleine Krümel, Socken, Kugelschreiber oder Kaffeetassen auf, später dann Kühlschränke, Autos, Häuser und Wolken.
Die Spielfiguren aus Katamari sehen aus wie plattgewalzte Teletubbies und entziehen sich fast vollständig einer geschlechtsspezifischen Zuordnung. So stellt das Spiel keinerlei Identifikationshürden auf. Jeder und jede kann zum Sternenmacher werden. Über allem thront jedoch die übermächtige Vaterfigur des Königs, der die Aufgaben und Zeitlimits verteilt und über Erfolg oder Versagen entscheidet.
Das Grafikdesign lehnt irgendwo zwischen "South Park" und "Yellow Submarine". Dazu tönen herrlich kitschige Japan-Pop-Songs aus den Lautsprechern. Wer den -- in Europa nie erschienenen -- Vorgänger "Katamari Damacy" kennt, findet hier eher einen Remix als grundlegend Neues. Es gibt mehr von allem und spezielle Themenlevel, in denen man etwa einen Sumo-Ringer aufpäppeln muss oder im Turbomodus über eine Formel-1-Piste jagt.
Die Steuerung ist für einen Spieler allein bereits etwas gewöhnungsbedürftig. Die Analogknöpfe bewegen den Ball nicht direkt, sondern steuern die Hände des Prinzen, der die Kugel rollt. Haarig wird die Sache allerdings am Splitt-Screen, wenn sich zwei Spieler einigen müssen, in welche Richtung sie den Ball nun weiter drehen wollen.
Für Solisten funktioniert das einfache, aber originelle Spieldesign auch dieses Mal. Katamari kommt völlig ohne aggressive Kämpfe oder aufgekochte Heldengeschichten aus, sondern ist ein für sich stehendes Videospielkunstwerk -- und als Droge äußerst wirksam. (8)