Wer gewinnt den Wettlauf?
Das menschliche Genom: "Open Source" oder geistiges Eigentum?
Das internationale, 1990 gestartete Human Genome Project, bei dem verschiedene Universitätsinstitute aus unterschiedlichen Ländern zusammenarbeiten, um das gesamte menschliche Genom aus 3 Milliarden DNA-Sequenzen und etwa 80000 Genen zu erfassen, ist zwar um einiges schneller vorangekommen, als ursprünglich geplant war, aber es besteht die Gefahr, daß ein Privatunternehmen noch schneller ist - und sich dann womöglich durch Patente Rechte sichern und für die Allgemeinheit den Zugang auf Gene sperren könnte.
Ursprünglich war die endgültige Analyse für das Jahr 2005 und die Veröffentlichung einer vorläufigen Version mit 90 Prozent des Genoms für 2001 vorgesehen. Die Forscher waren nicht nur schneller und konnten mit besseren Techniken auch die Kosten senken, so daß die vorläufige Version nächstes Jahr fertiggestellt sein wollte. Die Ergebnisse der am Human Genome Project beteiligten Institute werden so schnell wie möglich veröffentlicht, so daß die Daten anderen Wissenschaftlern, aber auch Bio-Tech-Firmen zur Verfügung stehen. Da die Daten im Web veröffentlicht werden, hat prinzipiell jeder zu ihnen Zugang. Das menschliche Genom wird nicht als Privateigentum verstanden und das mit öffentlichen Geldern finanzierte Projekt will mit dem "open source" des genetischen Codes verhindern, daß die weitere Erforschung der menschlichen Gene durch Patentierung blockiert oder für viele Institutionen zu teuer wird, wenn dafür erst die Einholung von womöglich teuren Lizensen erforderlich wäre.
Trotz der Internationalität des Projekts (s.a. Humangenomprojekt) gibt es natürlich einen nationalen und institutionellen Wettkampf. Die britische Regierung hat so dem Sanger Centre eine zusätzliche Unterstützung von 77 Millionen Dollar zugesagt, und in den USA erhalten das Whitehead Institute, die Washington University School of Medicine sowie das Baylor College in Medicine einen Zuschuß von weiteren 81 Millionen Dollar. Und es waren eben diese britisch-amerikanischen Institute, die die Erstellung der vorläufigen Version für das nächste Jahr ankündigten. Erst vor kurzem haben das Sanger Center und das Genome Sequencing Center in St Louis das Genom eines Wurms decodiert. Mit seinen 19000 Genen handelt es sich um das bislang größte sequenzierte Genom.
Doch da gibt es noch Celera, ein im Mai letzten Jahres gegründetes und mit 257 neuen Sequenzierungsmaschinen ausgestattetes amerikanisches Privatunternehmen. Dahinter steht Perkin-Elmer, ein Unternehmen, das nahezu ein Monopol auf automatische DNA-Sequenzierungsmaschinen innehat, und J. Craig Venter, der bereits im ebenfalls zu Perkin-Elmer gehörenden Institute for Genomic Research (TIGR), ein neues Verfahren zur Sequenzierung entwickelt hat. Während die am Human Genome Project beteiligten Institute das Genom Stück für Stück analysieren, basiert das Verfahren von Venter darauf, die DNA einer Reihe von menschlichen Zellen zu nehmen und sie in zufällige, sich überschneidende Fragmente zu zerlegen, die dann von beiden Seiten aus jeweils bis zu 500 Basenbuchstaben sequenziert werden.
Mit dieser "random shotgun"-Methode konnte Venter zwar bereits das Genom von einigen Bakterien schnell decodieren, die Frage aber ist, ob das auch beim menschlichen Genom klappt, das wesentlich umfangreicher ist. Hier geht es um 70 Millionen Fragmente, die sich teilweise überlappen, während das Genom überdies voller sich wiederholender Sequenzen ist. Die Schwierigkeit besteht darin, den sequenzierten Code wieder richtig durch einen Algorithmus zur Musteranalyse den größeren Einheiten zuzuordnen und an die richtige Stelle im Genom einzuordnen. Da man jeweils das sequenzierte Paar der Fragmentenden habe und die Gesamtlänge kenne, wäre das kein Problem, sagt Venter. Möglicherweise könnte er dazu die Ergebnisse der allgemein zugänglichen Datenbank des Human Genome Project benötigen, auf jeden Fall wird die Sequenzierung von Celera ungenauer als die des öffentlichen Projekts sein.
Gleichwohl hat Celera angekündigt, bis 2001 das menschliche Genom sequenziert zu haben - und das mit einem Zehntel der Kosten des Human Genome Project. Zur Verfügung stehen dabei 257 neue Sequenzierungsmaschinen, die eine größere Kapazität haben als die meisten, über die die Universitätsinstitute verfügen. So geht Celera davon aus, an einem Tag so viel sequenzieren zu können wie die Institute im gesamten letzten Jahr. Konkret: 100 Millionen der Basenbuchstaben.
Wie ungenau auch immer die Daten von Celera sein werden, so werde sie vermutlich doch gut genug sein, um sie vermarkten zu können, denn darum geht es schließlich. Angeblich werde man die Rohdaten in der GenBank öffentlich zugänglich machen, aber sie in aufbereiteter Form an pharmazeutische Firmen verkaufen, die dann die Daten nach Genen für medizinische Anwendungen duchsuchen. Celera wird aber selbst zuerst einige Hundert Gene identifizieren und sie patentieren lassen. Man will auch Informationen über individuelle Unterschiede bei den Nukleotiden nicht veröffentlichen, die möglicherweise einen Hinweis darauf liefern können, welche Menschen eher die Tendenz zu einer Krankheit besitzen. Aber es geht nicht nur um das menschliche Genom. So hat Monsanto den Wunsch, daß Celera das Reis-Genom sequenziert.
Es geht also jetzt um einen Wettlauf um den Besitz am menschlichen Genom, einer ungeheuer wertvollen Ressource, und wer ihn ausbeuten darf. Wenn es Celera tatsächlich gelingt, schneller zu sein und entsprechende Patente anzumelden, dann wird paradoxerweise das menschliche Genom, das ja jeder mit sich als sein "Eigentum" herumträgt, zum ausschlachtbaren Privateigentum und zur Ware.
Die Frage und die Beantwortung, was geistiges Privateigentum und was öffentliches Gut ist, wird zum primären Konflikt in der Wissensgesellschaft: nicht nur in der Informationsindustrie und im Internet, sondern eben auch in der Biotechnologie, die gleichfalls mit Informationen zu tun hat. Das Problem freilich ist, ob die Sequenzierung alleine schon das Anrecht auf ein Patent rechtfertigen kann und vor allem soll. Die WHO arbeitet gerade eine Vorlage für eine internationale Bioethik aus, über die die Vollversammlung im Mai beraten wird und die als eine internationale Erklärung verabschiedet werden soll. darin wird unter anderem gefordert, daß die Forschungsergebnisse bei jeder Analyse des menschlichen Genoms veröffentlicht werden sollen, aber auch, daß die Menschen, mit deren Genen Forschung betrieben wird, einen angemessen Anteil an den daraus entstehenden Gewinnen erhalten sollen.
Auch in der Bangalore-Erklärung, die im Vorfeld der von der UNESCO organisierten Weltkonferenz über das Wissen vornehmlich von asiatischen Entwicklungsländern formuliert wurde, wird der Trend kritisiert, die Wissenschaft immer weniger als öffentliches Unternehmen zu verstehen und Wissen immer mehr als geistiges Privateigentum zu schützen, was die Ungleichheit in der Welt zementiert und Wissen monopolisiert. Der Zugang zu wissenschaftlichen Erkenntnissen sei ein ebenso fundamentales Recht wie das Recht auf Ausbildung: "Es besteht die Notwendigkeit sicherzustellen, daß die Bemühungen um die Wahrung der Rechte auf geistiges Eigentum nicht in einem Mechanismus zur Erzeugung neuer Formen von Wissensmonopolen münden." Die Aussichten auf mehr "open source" in der Wissenschaft, dem primären Produktionsmittel der Wissensgesellschaft, sind freilich schlecht. Schon allein aus standortpolitischen Gründen werden diejenigen Staaten, die in der Wissensgesellschaft führend sind, nicht das Copyright und die Patentverfahren beschränken, um das Allgemeingut des Wissens und das Recht auf Zugang zu Informationen zu erweitern.