Wer hat Angst vorm Schwarzen Mann?
Eine Calypso-Band durfte bei Ryanair nicht mitfliegen, weil ein Psychologe besorgt war
An diesem Fall ist eigentlich alles absurd: Dass es zu ihm kam, wie es zu ihm kam, dass er nicht sofort wieder gut gemacht wurde und dass die Verantwortlichen immer noch uneinsichtig sind.
In den letzten Tagen des Jahres 2006 fand in Olbia auf Sardinien das EMMAS-Festival (Ethnic Meeting of Music and Arts in Sardinia) statt, bei dem unter anderem auch CSI auftrat, „Caribbean Steel International“, eine Calypso-Formation aus London. Wer nicht weiß, wie Caribbean Steel klingt, kann die MySpace-Seite von Brent Holder, einem der CSI-Mitglieder besuchen, wo man sogleich von Steel Drums begrüßt wird.
Auf dieser Seite kann sich auch gleich ein Bild davon machen, wie die Musiker aussehen. Denn das Aussehen ist die Ursache, warum es zu dem Vorfall von Olbia kommt. Nachdem CSI also vom 29. bis 31.12.2006 auf dem EMMAS-Festival war (hier einige Fotos des Auftritts) sollte an Silvester der Rückflug nach London mit Ryanair stattfinden. Ryanair ist nach Meinung vieler Flugreisender ohnehin eine problematische Wahl, aber für CSI sollte es geradezu traumatisch werden.
Nachdem das Boarding abgeschlossen war, hätte das Flugzeug eigentlich starten können, wäre da nicht ein Passagier an Bord gewesen, der sich an das Kabinenpersonal wandte und als Universitätsdozent für Psychologie vorstellte. Ihm kämen die fünf schwarzen CSI’ler (übrigens die einzigen Schwarzen an Bord) verdächtig vor, und er konnte mit zwei schlagenden Indizien zeigen, dass es sich fraglos um Terroristen handeln müsse:
- Am Gate saßen sie fröhlich zusammen, jetzt sitzen sie getrennt.
- Einer von den fünf tue so, als sei er blind, dabei lese er jetzt Zeitung.
Was all das mit einer Gefährdung zu tun haben sollte, bleibt schleierhaft. Trotzdem gelang es dem wackeren Psychologen, zwei weitere Familien und eine Stewardess zu überzeugen, die sich an schließlich Flugkapitän Sam Dunlop wandte (der sein Cockpit nicht verließ). Die Familie des Psychologen, die beiden anderen Familien und die Stewardess weigerten sich mitzufliegen, wenn die „Gefährder“ an Bord blieben. Dunlop rief aufgrund der „Terroristen“ an Bord die italienische Polizei, die, Waffe in der Hand, ins Flugzeug stürmte und die nichts Böses ahnenden fünf CSI-Bandmitglieder mitnahm.
Die Flughafenpolizei von Olbia brauchte nicht einmal 30 Minuten, um eine Gefährdung durch die CSI’ler auszuschließen. Michael Toussaint, das blinde Bandmitglied, musste nur seine Brille abnehmen, um seine Blindheit nachzuweisen (wer sich’s antun will, kann sich hier selbst davon überzeugen). Ryanair ist ein Carrier, der mit „freier Sitzplatzwahl“ (d.h., Geprügel um die besten Plätze beim Boarding) arbeitet, was bedeutet, dass Gruppen bei guter Auslastung des Fluges nur dann zusammensitzen, wenn sämtliche Gruppenmitglieder gewisse Vorkenntnisse im Nahkampf besitzen. Gerade für blinde Passagiere dürften hier Nachteile entstehen. Nach einer gründlichen Durchsuchung – die natürlich nichts zu Tage förderte – wollte die Polizei die Fünf wieder ins Flugzeug schicken.
Aber die Polizei hatte nicht mit Kapitän Dunlop gerechnet, der sich weigerte, die CSI’ler mitzunehmen. Das Flugzeug stand aufgrund des Vorfalls fast zweieinhalb Stunden auf dem Flughafen, ehe es startete, und die Bandmitglieder verlangten immer wieder, mitgenommen zu werden, was Dunlop verweigerte.
Das Ende vom Lied: Die Maschine startete ohne die CSI’ler nach Stanstead - die verbrachten Silvester notgedrungen ohne Freunde und Familie in Olbia. Fliegen konnten sie erst am nächsten Tag, aber leider ging die Maschine nicht nach London, sondern nach Liverpool, und auch dort kamen sie zu spät an und durften eine eiskalte Januarnacht auf dem Busbahnhof mit den Instrumenten als Kopfkissen verbringen, ehe sie endlich am 2. Januar 2007 per Bus in London ankamen.
CSI musste erst Ryanair verklagen, um entschädigt zu werden. Letzte Woche sprach ihnen ein Richter eine Entschädigung von 1.116 Pfund pro Person zu – ziemlich preisgünstig für Ryanair verglichen mit den 60.001 Euro, die die Billigfluglinie an Sarkozy & Bruni zahlen muss, weil sie ein Foto des Klatschpaares ohne Genehmigung als Werbemotiv verwendete.
Bemerkenswert ist dabei nicht nur die Tatsache, dass CSI für diese ausgesprochen bescheidene Entschädigung erst vor Gericht gehen musste, sondern vor allem die Aussagen von Dunlop. Gefragt, warum der die Band nach dem Check durch die italienische Polizei nicht einfach wieder an Bord ließ, meinte er:
„Zu diesem Zeitpunkt war das mehr als nur eine Frage der formellen Sicherheit (a security issue). Es war eine Frage der echten Sicherheit (a safety issue) angesichts der Spannung an Bord zwischen den Klägern und den drei Familien.“
Der Anwalt der Gruppe fragte Dunlop: „Sehen Sie ein, dass Sie einen schrecklichen Fehler begangen haben?“, was der verneinte: „Nein, Sir, tue ich nicht. Wir taten das Beste, was wir tun können, in einer konservativen Branche … Das ist eine sehr schwierige Position.“
Zugeständen hätte den Bandmitgliedern eigentlich eine Entschädigung von 250 Pfund, die der Richter aber auf die genannten 1.116 Pfund erhöhte, denn er bezog auch Folgendes in seine Entscheidung mit ein:
„die Erniedrigung, mit vorgehaltener Waffe als die einzigen schwarzen Personen grundlos aus Flugzeug geführt zu werden, die Unmöglichkeit, mit Familien und Freunden Silvester und Neujahr zu verbringen, die Übernachtung in der Kälte Liverpools“
Hat sich ein absurder Fall so erledigt? Nein. Ein Ryanair-Sprecher kündigte an, dass die Fluglinie in Berufung gehen werden. Schließlich habe man nur nach „safety first“ gehandelt.
Warum niemand die alternative Möglichkeit angesprochen hat – nämlich einfach die drei besorgten Familien in Olbia zu lassen – bleibt schleierhaft. Immerhin provozierten sie grundlos einen Polizei-Einsatz und waren die eigentliche und einzige Ursache für die von Dunlop angeführte „Spannung“ an Bord. Vielleicht hätte der Aufenthalt auf dem Busbahnhof in Liverpool bei diesen Personen zudem eine pädagogische Wirkung entfaltet und sie hätten beim nächsten Flug akzeptiert, auch dann mit Personen mit anderer Hautfarbe zu fliegen, wenn diese nicht zusammensitzen und eventuell Sonnenbrillen tragen.