Wer kann die Welt ernähren?
Seite 3: "Landwirtschaft ohne Bauern" und wachsende Verflechtungen
- Wer kann die Welt ernähren?
- Wissenschaftlich-technische Innovationen steigern die Bodenfruchtbarkeit
- "Landwirtschaft ohne Bauern" und wachsende Verflechtungen
- Das globale Ernährungssystem steckt in einer Klemme
- Wie kann dieses System reformiert werden?
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Landwirtschaft als Erwerbsquelle wurde immer unwichtiger. Letztes Jahr trugen Wirtschaftswissenschaftler im Auftrag der FAO die verfügbaren Statistiken zusammen, haben viel gerechnet und noch mehr geschätzt.
Laut dieser Studie stellen kleinbäuerliche Betriebe immer noch die überwiegende Mehrheit der weltweit etwa 608 Millionen Betriebe.
Kleine Farmen machen 88 Prozent aus, soweit sich das aus den vorhandenen statistischen Erhebungen ableiten lässt, aber sie bewirtschaften nur etwa 12 Prozent der landwirtschaftlich genutzten Bodens und erzeugen ungefähr 35 Prozent der Nahrung (viel weniger als die 80 Prozent, die von Familienfarmen hergestellt werden).
Unter kleinbäuerlichen Betrieben verstanden die Autoren Höfe unter zwei Hektar, knapp so groß wie drei Fußballfelder. Sie betonen den Unterschied zwischen "Familienunternehmen" (ohne oder nur mit wenig fremden Arbeitskräften) und "kleinen Farmen". Erstere versorgen nicht nur die eigene Familie, sondern vermarkten einen erheblichen Teil ihrer Erzeugnisse.
Die Subsistenzlandwirtschaft dagegen – der Anbau für den eigenen Gebrauch – erzielt geringe Überschüsse. Im Globalen Süden betreiben außerdem überraschend viele Menschen urbane Landwirtschaft in Hinterhöfen und an Straßenrändern: laut einer Schätzung der FAO 800 Millionen Menschen!
Dass "Kleinbauern die Welt ernähren", wie oft behauptet wird, stimmt so nicht mehr. Dennoch ist ihr Beitrag beeindruckend, besonders wenn wir ihn mit der "großbäuerlichen" beziehungsweise agrarindustriellen Produktion vergleichen.
Konsequenzen der Mega-Farmen
Die durchschnittliche Betriebsgröße stieg in Europa, Nordamerika, Australien und Argentinien. Ein Prozent der Betriebe ist größer als 50 Hektar. Solche Mega-Farmen bewirtschaften 70 Prozent der globalen Agrarfläche.
Oft handelt es sich um riesige Weideflächen für die Fleischproduktion oder Getreidefelder, die mit gewaltigen Landmaschinen und wenig Personal bewirtschaftet werden – "Freiluft-Agrarfabriken".
Jahrzehnte der Rationalisierung haben eine Art "Landwirtschaft ohne Bauern" entstehen lassen. Der Anteil der Landarbeit an der Erwerbstätigkeit insgesamt sank zwischen 1991 und 2020 von 44 Prozent auf 27 Prozent (damit etwa 870 000 Millionen Menschen).
Jahrtausendelang bearbeiteten mindestens drei von vier Menschen den Boden. Nun hat sich das Verhältnis umgekehrt, nur noch einer von vier ist in der Landwirtschaft tätig. Niemals zuvor hat die Arbeit von so wenigen so viele ernährt.
Laut der FAO wuchs die jährliche Erntemenge der Hauptanbaukulturen zwischen 2000 und 2021 um mehr als die Hälfte, obwohl gleichzeitig die Zahl der Beschäftigten im Agrarsektor um 17 Prozent sank. Dabei handelt es sich vor allem um Mais, Weizen, Reis, Palmöl und Zuckerrohr.
Ein Schwerpunkt dieser Entwicklung lag in Asien, wo laut FAO jede vierte Bäuerin und jeder vierte Bauer den Sektor verließ. Die agrarische Rationalisierung schuf die Grundlage für eine gewaltige Landflucht. Gegenwärtig ziehen etwa 200 Millionen Menschen jedes Jahr vom Land in die Stadt. Bis zum Jahr 2030 werden voraussichtlich 60 Prozent der Weltbevölkerung in Städten leben.
Effizienz im Ernährungssystem und die Kehrseite
In der Phase der "Hyperglobalisierung" seit den 1990er Jahren wurde das Ernährungssystem immer stärker auf Effizienz im kommerziellen Sinn ausgerichtet, und dies ging auf Kosten der Resilienz. Die Bandbreite der angebauten Nahrungsmittel schrumpfte. Länder spezialisierten sich auf bestimmte Agrargüter, die von der Lebensmittelindustrie nachgefragt wurden.
Beispielsweise kommen 84 Prozent des Palmöls aus Indonesien und Malaysia, 50 Prozent der Sojabohnen aus Brasilien. Von dort stammen auch etwa 40 Prozent des Zuckerrohrs, aus den USA wiederum 31 Prozent der weltweiten Maisernte. Der Getreideanbau in den "Kornkammern der Welt" wie dem Mittleren Westen der USA oder Russland/Ukraine wurde immer wichtiger.
Die Kehrseite der globalen Arbeitsteilung zeigte sich im Jahr 2007. In Zentraleuropa litt das Getreide im Frühjahr unter Frost, dann folgte eine Hitzewelle und Dürre. Gleichzeitig fiel die Weizenernte in Australien und auch in der Ukraine schlecht aus. Daraufhin schossen die Weltmarktpreise in die Höhe.
Viele Exportnationen unterbanden die Ausfuhren, weil sie befürchteten, die Versorgung der eigenen Bevölkerung könnte zusammenbrechen. Die Importabhängigkeit hat zugenommen, in manchen Weltregionen müssen Überschüsse erzielt und ausgeführt werden, sonst können andere Regionen nicht versorgt werden.
Dabei erzeugt die globale Landwirtschaft rein rechnerisch genügend Kalorien für alle, zumal laut Schätzungen der FAO jede vierte Person übergewichtig ist. Über zehn Prozent der Nahrung geht auf dem Acker verloren, beinahe so viel wie bei den Endverbrauchern.
Das System ist geprägt von Verschwendung und Überversorgung einerseits, Mangel und Unterversorgung andererseits.