Wer kann die Welt ernähren?

Seite 2: Wissenschaftlich-technische Innovationen steigern die Bodenfruchtbarkeit

Mittlerweile sind 224 Jahre seit der Veröffentlichung von Das Bevölkerungsgesetz vergangen. Intellektuell redlich lässt sich kaum noch bestreiten, dass beide Grundannahmen falsch sind.

Bevölkerungen sind in der Lage, ihre Vermehrung zu begrenzen. Und die landwirtschaftlichen Erträge können überproportional wachsen, die Landwirtschaft kann auf der gleichen Ackerfläche mehr Nahrung erzeugen.

Aber: Lässt sich die Nahrungsproduktion beliebig vermehren oder stoßen wir irgendwann an Grenzen?

Ein Beispiel: Die Ertragssteigerungen im 19. Jahrhundert beruhten maßgeblich auf der verbesserten Düngung. Mineralischer Dünger wurde damals aus Guano und anderen natürlichen Quellen gewonnen. Aus den Exkrementen von Seevögeln entsteht Salpeter.

Allmählich drang ins Bewusstsein, dass es sich dabei um eine endliche Ressource handelt. Der britische Chemiker William Crookes warnte im Jahr 1898:

Die Weizenernte der Welt hängt von Chiles Salpeter-Lagerstätten ab. Wenn es nicht gelingt, in großen Mengen Stickstoffdünger zu produzieren, wird in 20 bis 30 Jahren eine große Hungersnot über die Welt kommen. Es ist der Chemiker, der der bedrohten Welt zu Hilfe kommen muss.

Crookes' Argumentation hatte übrigens eine deutlich rassistische Stoßrichtung, die selten erwähnt wird: Ohne synthetische Düngemittel sei es bald vorbei mit der globalen Vorherrschaft der "Kaukasier", glaubte er.

Weizen ist das nahrhafteste Essen für die große kaukasische Rasse, wozu die Völker Europas, des britischen Amerikas, die weißen Einwohner Südafrikas, Australien und Asien gehören, außerdem Teile von Südamerika und die weißen Bevölkerungen der europäischen Kolonien. … Die große kaukasische Rasse wird nicht länger die vorherrschende der Welt sein und wird von anderen Rassen völlig verdrängt werden, für die Weizenbrot nicht lebensnotwendig ist.

William Crookes

Nach der Jahrhundertwende entwickelten die Chemiker Fritz Haber und Carl Bosch ein industrielles Verfahren, mit dem sich bei hoher Temperatur und hohem Druck Ammoniak herstellen lässt und daraus wiederum mineralischer Stickstoffdünger – die "weiße Rasse" war fürs erste gerettet.

Das Haber-Bosch-Verfahren schließt die Regeneration der Böden sozusagen kurz, indem Nährstoffe in mineralischer Form zwischen den Ernten zugeführt werden.

Energieintensive Düngung für Hochleistung

Die Stickstoffdüngung trug dazu bei, dass die Erntemengen im Verlauf des 20. Jahrhunderts kontinuierlich anstiegen. Mineraldünger war ein Element der "Industrialisierung der Landwirtschaft", so wie chemische Schädlingsbekämpfung, immer größere Landmaschinen und neue Hochleistungssorten. Zwischen 1960 und 2015 verdreifachten sich globalen Erträge nahezu, eine atemberaubende Steigerung.

Erreicht wurde sie allerdings durch einen immer größeren Verbrauch von Brennstoffen und anderen Inputs. Die Menge der eingesetzten Düngemitteln wuchs laut der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) zwischen 2000 und 2018 um 49 Prozent auf 201 Millionen Tonnen jährlich, die Menge der Pestiziden um 30 Prozent auf 2,7 Millionen Tonnen.

Die Landwirtschaft nutzt etwa 70 Prozent des geförderten Süßwassers weltweit, mit deutlich steigender Tendenz. Das erwähnte Haber-Bosch-Verfahren ist äußerst energieintensiv: Für die Ammoniaksynthese werden zwei Prozent des weltweiten Energieumsatzes aufgewendet, wobei nahezu ausschließlich Erdgas verbrannt wird. 1,4 Prozent der globalen Kohlenstoffemissionen entstehen als bloßer Nebeneffekt der Stickstoffdüngung.

Die Bevölkerung "explodiert" nicht

Der US-Agrarwissenschaftler Norman Borlaug spielte eine wichtige Rolle bei der Züchtung neuer Weizensorten, deshalb gilt er als "Vater der grünen Revolution". 1970 wurde ihm der Friedensnobelpreis überreicht. In seiner Dankesrede schlug er eine überraschend pessimistische Note an:

Die Grüne Revolution war noch nicht erfolgreich. Es stimmt, die Schlacht gegen den Hunger verlief in den vergangenen drei Jahren recht glücklich. Aber das Schlachtglück kommt und geht. Es mag uns gegenwärtig hold sein, aber es wird verschwinden, sobald wir selbstzufrieden werden und in unseren Bemühungen nachlassen. Denn wir haben es mit zwei entgegengesetzten Kräften zu tun: die wissenschaftliche Kraft der Nahrungsproduktion und die biologische Kraft der menschlichen Fortpflanzung.

Das ist es wieder, das falsche Bild vom Wettlauf zwischen landwirtschaftlicher Produktivität und menschlicher Vermehrung! Norman Borlaug argumentierte als Malthusianer, wenn auch als ein moderner Malthusianer. Er plädierte für Geburtenkontrolle und "Familienplanung", was der Begründer der Bewegung als unmoralisch ablehnte.

Es kann keinen dauerhaften Fortschritt geben, solange diejenigen, die für eine größere Nahrungserzeugung kämpfen, sich nicht mit denjenigen vereinen, die für eine Kontrolle des Bevölkerungswachstums kämpfen.

Norman Borlaug

Die Schreckensszenarien der Malthusianer haben allerdings keine Grundlage. 1971 – ein Jahr nach Borlaugs Rede – erreichte das weltweite Bevölkerungswachstum mit einem jährlichen Zuwachs von 2,1 Prozent seinen Höhepunkt. Seitdem nimmt die Wachstumsrate ab; sie lag zuletzt bei 0,84 Prozent (2022).

Gegenwärtig leben auf dem Planeten acht Milliarden Menschen. Um die achte Milliarde zu erreichen, dauerte es zwölf Jahre. Für die siebte brauchte es dagegen nur elf Jahre, obwohl zwischen 2010 und 2022 mehr Frauen im gebärfähigen Alter waren als jemals zuvor.

Die Menschheit wächst weiter, aber immer langsamer. Wenn es so weiter geht, wird die Weltbevölkerung in einigen Jahren zu schrumpfen beginnen.

Klimawandel: Landwirtschaft ebenso Opfer wie Verursacher

Dennoch wird es wohl nicht einfacher werden, alle Menschen satt zu machen. Der Klimawandel beginnt auf die Erträge zu drücken, Missernten drohen. Ein Team der Nasa und des Potsdamer Instituts für Klimafolgenforschung (PIK) untersuchte die Auswirkungen auf die Erntemengen.

Einbußen bei den wichtigsten Kulturpflanzen Mais, Weizen, Reis und Soja werden ihnen zufolge früher einsetzen als erwartet. In den Kernregionen des Getreideanbaus könnte es noch vor dem Jahr 2040 zu erheblichen Einbrüchen kommen, insbesondere bei Mais.

Die ersten Anzeichen einer ökologisch bedingten Agrarkrise sind bereits da. Niederschläge werden unregelmäßig oder bleiben aus. Dabei ist die Landwirtschaft ebenso Opfer wie Verursacher.

Die vorherrschenden Anbaumethoden mit Monokulturen und die Überdüngung von Gewässern und Böden treiben den Klimawandel, das Artensterben und den Wassermangel an. Wesentliche Grundlagen des Systems wie die Bestäubung der Pflanzen werden prekär oder fallen sogar ganz aus. Parasiten und Pflanzenkrankheiten verbreiten sich, weil sie nicht mehr wie bisher von Fraßfeinden eingedämmt werden.

Außerdem schrumpft die bestellbare Fläche aufgrund von Bodenerosion und es versalzen Gebiete, die unterhalb des Meeresspiegels liegen, zum Beispiel in Bangladesch und Vietnam.