Wer kann die Welt ernähren?
Wie kann eine Agrarwende ohne Träumereien aussehen? Das globale Ernährungssystem muss verändert werden. Die Herausforderungen sind gewaltig, geradezu beängstigend.
Alle Jahre wieder, wenige Wochen nach Weihnachten findet die "Grüne Woche" statt. Die landwirtschaftliche Leistungsschau wird von der Messe Berlin, dem Deutschen Bauernverband (DBV) und der Bundesvereinigung der deutschen Ernährungsindustrie (BVE) organisiert.
Für die Schulklassen der Hauptstadt ist das ein beliebtes Ausflugsziel, für die Unternehmen in der Agrar- und Lebensmittelbranche ein Pflichttermin: Die Grüne Woche ist eine der größten Agrarmessen überhaupt, mit der neuesten Technik und den neusten Produkten und Ausstellern aus der ganzen Welt.
Sozusagen zum Begleitprogramm gehört das Global Forum for Food and Agriculture (GFFA), während sich zeitgleich Agrarminister:innen aus 70 Ländern treffen.
Das Davos des Agrarbusiness und der Hunger
Bundeslandwirtschaftsministerium und das Auswärtige Amt sprechen vom "Davos des Agrarbusiness", in Anspielung auf das Weltwirtschaftsforum. Während die Besucher auf dem Messegelände von Stand zu Stand schlendern und Häppchen probieren, beraten Lobbyisten, Wissenschaftler und Politiker darüber, wie es weiter gehen soll mit dem globalen Ernährungssystem.
Das ist in keinem guten Zustand. "Eine weltweite Antwort auf multiple Krisen", lautet das Thema der GFFA-Konferenz dieses Jahr, und in der Einladung heißt es:
Zu Klimakrise, Artensterben und Covid-19 Pandemie kommt der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine hinzu. Es droht die größte globale Nahrungsmittelkrise seit dem Zweiten Weltkrieg.
In Wirklichkeit wachsen die Schwierigkeiten des Welternährungssystems schon seit geraumer Zeit. Am Ukraine-Krieg liegt es nur zum Teil, dass der Hunger wieder stärker um sich greift. Die Zahl der Menschen, die zeitweise oder dauerhaft Hunger leiden (definiert als "schwere Ernährungsunsicherheit"), steigt bereits seit Jahren.
2015 lag ihr Anteil noch bei 7,7 Prozent der Weltbevölkerung, 2021 bei 11,7 Prozent. Besonders schlimm trifft es Afrika (23,4 Prozent), gefolgt von Lateinamerika und der Karibik, wo sich der Anteil der Hungernden an der Bevölkerung nahezu verdoppelt hat (auf 14,2 Prozent im Jahr 2021).
Die Erfolge bei der Hunger- und Armutsbekämpfung der vergangenen Jahrzehnte werden durch die steigenden Weltmarktpreise für Weizen, Mais, Soja und Ölsaaten wieder zunichte gemacht.
Der "Wettlauf mit dem Bevölkerungswachstum"
Wie kann der Hunger zurückgedrängt werden? Die stereotype Antwort von Bauernverbänden und der Lebensmittelindustrie lautet: "Wir müssen die Erträge steigern." Sie stellen das Problem als Mangel an Lebensmitteln dar: Gäbe es mehr davon, dann könnten angeblich alle satt werden.
Wegen der wachsenden Weltbevölkerung müsse auch die Produktion wachsen, erklärt beispielsweise der DBV immer wieder, und deswegen dürften die Betriebe nicht zu sehr mit Umweltschutz-Auflagen behelligt werden.
Diese Argumentation ist beileibe nicht neu. Generationen von Agrarwissenschaftlern und -politikern lieferten sich angeblich einen Wettlauf mit dem Bevölkerungswachstum. Eigentlich wird die Menschheit seit Jahrhunderten vor dem Hungertod gerettet, allerdings ohne dass der Hunger dadurch ganz verschwunden wäre.
Schlechte Ernten nur ein Teil des Problems
Schlechte Ernten sind nur ein Teil des Problems. In modernen kapitalistischen Wirtschaften entsteht Ernährungsunsicherheit nicht unvermittelt wegen Missernten, sondern weil sich Menschen eigentlich vorhandene Lebensmittel nicht mehr kaufen können.
Die Steigerung der landwirtschaftlichen Produktivität schuf allerdings die Grundlage für den wirtschaftlichen Strukturwandel, für Industrialisierung, Urbanisierung und Wirtschaftswachstum. Ohne den Produktivitätsfortschritt hätte sich die Zahl der Erdbewohner sicher nicht vervierfachen können, wie es im 20. Jahrhundert der Fall war.
Malthus, der Schwarzmaler
Eigentlich setzte er bereits im 18. Jahrhundert ein, und schon damals war umstritten, ob er dauerhaft anhalten könne. Der anglikanische Geistliche Thomas Robert Malthus jedenfalls malte im Jahr 1798 ein düsteres Bild der Zukunft. Seiner Ansicht nach kann die Nahrungsmittelproduktion mit dem menschlichen Fortpflanzungstrieb nicht Schritt halten.
Die Kraft der Bevölkerungsvermehrung ist umso vieles stärker als die der Erde innewohnende Kraft, Unterhaltsmittel für den Menschen zu erzeugen, dass ein frühzeitiger Tod in der einen oder anderen Gestalt das Menschengeschlecht heimsuchen muss.
Thomas Robert Malthus
Die Argumentation geht so: Die Bevölkerung wachse mit steigender Geschwindigkeit, während die Landwirtschaft höchstens gleichbleibende Zuwächse erzielen könne, weswegen das Angebot nur linear zunimmt, die Nachfrage dagegen exponentiell wächst (Anm. d. Red: Hier stand zuvor eine Formulierung, die den Zusammenhang irrtümlich darstellte).
Die unvermeidliche Folge dieses Missverhältnisses seien Hunger und Elend. Unter keinen Umständen dürfe man den Armen helfen, argumentierte Malthus, denn die Folge sei lediglich mehr Geburten.
Wissenschaftlich-technische Innovationen steigern die Bodenfruchtbarkeit
Mittlerweile sind 224 Jahre seit der Veröffentlichung von Das Bevölkerungsgesetz vergangen. Intellektuell redlich lässt sich kaum noch bestreiten, dass beide Grundannahmen falsch sind.
Bevölkerungen sind in der Lage, ihre Vermehrung zu begrenzen. Und die landwirtschaftlichen Erträge können überproportional wachsen, die Landwirtschaft kann auf der gleichen Ackerfläche mehr Nahrung erzeugen.
Aber: Lässt sich die Nahrungsproduktion beliebig vermehren oder stoßen wir irgendwann an Grenzen?
Ein Beispiel: Die Ertragssteigerungen im 19. Jahrhundert beruhten maßgeblich auf der verbesserten Düngung. Mineralischer Dünger wurde damals aus Guano und anderen natürlichen Quellen gewonnen. Aus den Exkrementen von Seevögeln entsteht Salpeter.
Allmählich drang ins Bewusstsein, dass es sich dabei um eine endliche Ressource handelt. Der britische Chemiker William Crookes warnte im Jahr 1898:
Die Weizenernte der Welt hängt von Chiles Salpeter-Lagerstätten ab. Wenn es nicht gelingt, in großen Mengen Stickstoffdünger zu produzieren, wird in 20 bis 30 Jahren eine große Hungersnot über die Welt kommen. Es ist der Chemiker, der der bedrohten Welt zu Hilfe kommen muss.
Crookes' Argumentation hatte übrigens eine deutlich rassistische Stoßrichtung, die selten erwähnt wird: Ohne synthetische Düngemittel sei es bald vorbei mit der globalen Vorherrschaft der "Kaukasier", glaubte er.
Weizen ist das nahrhafteste Essen für die große kaukasische Rasse, wozu die Völker Europas, des britischen Amerikas, die weißen Einwohner Südafrikas, Australien und Asien gehören, außerdem Teile von Südamerika und die weißen Bevölkerungen der europäischen Kolonien. … Die große kaukasische Rasse wird nicht länger die vorherrschende der Welt sein und wird von anderen Rassen völlig verdrängt werden, für die Weizenbrot nicht lebensnotwendig ist.
William Crookes
Nach der Jahrhundertwende entwickelten die Chemiker Fritz Haber und Carl Bosch ein industrielles Verfahren, mit dem sich bei hoher Temperatur und hohem Druck Ammoniak herstellen lässt und daraus wiederum mineralischer Stickstoffdünger – die "weiße Rasse" war fürs erste gerettet.
Das Haber-Bosch-Verfahren schließt die Regeneration der Böden sozusagen kurz, indem Nährstoffe in mineralischer Form zwischen den Ernten zugeführt werden.
Energieintensive Düngung für Hochleistung
Die Stickstoffdüngung trug dazu bei, dass die Erntemengen im Verlauf des 20. Jahrhunderts kontinuierlich anstiegen. Mineraldünger war ein Element der "Industrialisierung der Landwirtschaft", so wie chemische Schädlingsbekämpfung, immer größere Landmaschinen und neue Hochleistungssorten. Zwischen 1960 und 2015 verdreifachten sich globalen Erträge nahezu, eine atemberaubende Steigerung.
Erreicht wurde sie allerdings durch einen immer größeren Verbrauch von Brennstoffen und anderen Inputs. Die Menge der eingesetzten Düngemitteln wuchs laut der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) zwischen 2000 und 2018 um 49 Prozent auf 201 Millionen Tonnen jährlich, die Menge der Pestiziden um 30 Prozent auf 2,7 Millionen Tonnen.
Die Landwirtschaft nutzt etwa 70 Prozent des geförderten Süßwassers weltweit, mit deutlich steigender Tendenz. Das erwähnte Haber-Bosch-Verfahren ist äußerst energieintensiv: Für die Ammoniaksynthese werden zwei Prozent des weltweiten Energieumsatzes aufgewendet, wobei nahezu ausschließlich Erdgas verbrannt wird. 1,4 Prozent der globalen Kohlenstoffemissionen entstehen als bloßer Nebeneffekt der Stickstoffdüngung.
Die Bevölkerung "explodiert" nicht
Der US-Agrarwissenschaftler Norman Borlaug spielte eine wichtige Rolle bei der Züchtung neuer Weizensorten, deshalb gilt er als "Vater der grünen Revolution". 1970 wurde ihm der Friedensnobelpreis überreicht. In seiner Dankesrede schlug er eine überraschend pessimistische Note an:
Die Grüne Revolution war noch nicht erfolgreich. Es stimmt, die Schlacht gegen den Hunger verlief in den vergangenen drei Jahren recht glücklich. Aber das Schlachtglück kommt und geht. Es mag uns gegenwärtig hold sein, aber es wird verschwinden, sobald wir selbstzufrieden werden und in unseren Bemühungen nachlassen. Denn wir haben es mit zwei entgegengesetzten Kräften zu tun: die wissenschaftliche Kraft der Nahrungsproduktion und die biologische Kraft der menschlichen Fortpflanzung.
Das ist es wieder, das falsche Bild vom Wettlauf zwischen landwirtschaftlicher Produktivität und menschlicher Vermehrung! Norman Borlaug argumentierte als Malthusianer, wenn auch als ein moderner Malthusianer. Er plädierte für Geburtenkontrolle und "Familienplanung", was der Begründer der Bewegung als unmoralisch ablehnte.
Es kann keinen dauerhaften Fortschritt geben, solange diejenigen, die für eine größere Nahrungserzeugung kämpfen, sich nicht mit denjenigen vereinen, die für eine Kontrolle des Bevölkerungswachstums kämpfen.
Norman Borlaug
Die Schreckensszenarien der Malthusianer haben allerdings keine Grundlage. 1971 – ein Jahr nach Borlaugs Rede – erreichte das weltweite Bevölkerungswachstum mit einem jährlichen Zuwachs von 2,1 Prozent seinen Höhepunkt. Seitdem nimmt die Wachstumsrate ab; sie lag zuletzt bei 0,84 Prozent (2022).
Gegenwärtig leben auf dem Planeten acht Milliarden Menschen. Um die achte Milliarde zu erreichen, dauerte es zwölf Jahre. Für die siebte brauchte es dagegen nur elf Jahre, obwohl zwischen 2010 und 2022 mehr Frauen im gebärfähigen Alter waren als jemals zuvor.
Die Menschheit wächst weiter, aber immer langsamer. Wenn es so weiter geht, wird die Weltbevölkerung in einigen Jahren zu schrumpfen beginnen.
Klimawandel: Landwirtschaft ebenso Opfer wie Verursacher
Dennoch wird es wohl nicht einfacher werden, alle Menschen satt zu machen. Der Klimawandel beginnt auf die Erträge zu drücken, Missernten drohen. Ein Team der Nasa und des Potsdamer Instituts für Klimafolgenforschung (PIK) untersuchte die Auswirkungen auf die Erntemengen.
Einbußen bei den wichtigsten Kulturpflanzen Mais, Weizen, Reis und Soja werden ihnen zufolge früher einsetzen als erwartet. In den Kernregionen des Getreideanbaus könnte es noch vor dem Jahr 2040 zu erheblichen Einbrüchen kommen, insbesondere bei Mais.
Die ersten Anzeichen einer ökologisch bedingten Agrarkrise sind bereits da. Niederschläge werden unregelmäßig oder bleiben aus. Dabei ist die Landwirtschaft ebenso Opfer wie Verursacher.
Die vorherrschenden Anbaumethoden mit Monokulturen und die Überdüngung von Gewässern und Böden treiben den Klimawandel, das Artensterben und den Wassermangel an. Wesentliche Grundlagen des Systems wie die Bestäubung der Pflanzen werden prekär oder fallen sogar ganz aus. Parasiten und Pflanzenkrankheiten verbreiten sich, weil sie nicht mehr wie bisher von Fraßfeinden eingedämmt werden.
Außerdem schrumpft die bestellbare Fläche aufgrund von Bodenerosion und es versalzen Gebiete, die unterhalb des Meeresspiegels liegen, zum Beispiel in Bangladesch und Vietnam.
"Landwirtschaft ohne Bauern" und wachsende Verflechtungen
Landwirtschaft als Erwerbsquelle wurde immer unwichtiger. Letztes Jahr trugen Wirtschaftswissenschaftler im Auftrag der FAO die verfügbaren Statistiken zusammen, haben viel gerechnet und noch mehr geschätzt.
Laut dieser Studie stellen kleinbäuerliche Betriebe immer noch die überwiegende Mehrheit der weltweit etwa 608 Millionen Betriebe.
Kleine Farmen machen 88 Prozent aus, soweit sich das aus den vorhandenen statistischen Erhebungen ableiten lässt, aber sie bewirtschaften nur etwa 12 Prozent der landwirtschaftlich genutzten Bodens und erzeugen ungefähr 35 Prozent der Nahrung (viel weniger als die 80 Prozent, die von Familienfarmen hergestellt werden).
Unter kleinbäuerlichen Betrieben verstanden die Autoren Höfe unter zwei Hektar, knapp so groß wie drei Fußballfelder. Sie betonen den Unterschied zwischen "Familienunternehmen" (ohne oder nur mit wenig fremden Arbeitskräften) und "kleinen Farmen". Erstere versorgen nicht nur die eigene Familie, sondern vermarkten einen erheblichen Teil ihrer Erzeugnisse.
Die Subsistenzlandwirtschaft dagegen – der Anbau für den eigenen Gebrauch – erzielt geringe Überschüsse. Im Globalen Süden betreiben außerdem überraschend viele Menschen urbane Landwirtschaft in Hinterhöfen und an Straßenrändern: laut einer Schätzung der FAO 800 Millionen Menschen!
Dass "Kleinbauern die Welt ernähren", wie oft behauptet wird, stimmt so nicht mehr. Dennoch ist ihr Beitrag beeindruckend, besonders wenn wir ihn mit der "großbäuerlichen" beziehungsweise agrarindustriellen Produktion vergleichen.
Konsequenzen der Mega-Farmen
Die durchschnittliche Betriebsgröße stieg in Europa, Nordamerika, Australien und Argentinien. Ein Prozent der Betriebe ist größer als 50 Hektar. Solche Mega-Farmen bewirtschaften 70 Prozent der globalen Agrarfläche.
Oft handelt es sich um riesige Weideflächen für die Fleischproduktion oder Getreidefelder, die mit gewaltigen Landmaschinen und wenig Personal bewirtschaftet werden – "Freiluft-Agrarfabriken".
Jahrzehnte der Rationalisierung haben eine Art "Landwirtschaft ohne Bauern" entstehen lassen. Der Anteil der Landarbeit an der Erwerbstätigkeit insgesamt sank zwischen 1991 und 2020 von 44 Prozent auf 27 Prozent (damit etwa 870 000 Millionen Menschen).
Jahrtausendelang bearbeiteten mindestens drei von vier Menschen den Boden. Nun hat sich das Verhältnis umgekehrt, nur noch einer von vier ist in der Landwirtschaft tätig. Niemals zuvor hat die Arbeit von so wenigen so viele ernährt.
Laut der FAO wuchs die jährliche Erntemenge der Hauptanbaukulturen zwischen 2000 und 2021 um mehr als die Hälfte, obwohl gleichzeitig die Zahl der Beschäftigten im Agrarsektor um 17 Prozent sank. Dabei handelt es sich vor allem um Mais, Weizen, Reis, Palmöl und Zuckerrohr.
Ein Schwerpunkt dieser Entwicklung lag in Asien, wo laut FAO jede vierte Bäuerin und jeder vierte Bauer den Sektor verließ. Die agrarische Rationalisierung schuf die Grundlage für eine gewaltige Landflucht. Gegenwärtig ziehen etwa 200 Millionen Menschen jedes Jahr vom Land in die Stadt. Bis zum Jahr 2030 werden voraussichtlich 60 Prozent der Weltbevölkerung in Städten leben.
Effizienz im Ernährungssystem und die Kehrseite
In der Phase der "Hyperglobalisierung" seit den 1990er Jahren wurde das Ernährungssystem immer stärker auf Effizienz im kommerziellen Sinn ausgerichtet, und dies ging auf Kosten der Resilienz. Die Bandbreite der angebauten Nahrungsmittel schrumpfte. Länder spezialisierten sich auf bestimmte Agrargüter, die von der Lebensmittelindustrie nachgefragt wurden.
Beispielsweise kommen 84 Prozent des Palmöls aus Indonesien und Malaysia, 50 Prozent der Sojabohnen aus Brasilien. Von dort stammen auch etwa 40 Prozent des Zuckerrohrs, aus den USA wiederum 31 Prozent der weltweiten Maisernte. Der Getreideanbau in den "Kornkammern der Welt" wie dem Mittleren Westen der USA oder Russland/Ukraine wurde immer wichtiger.
Die Kehrseite der globalen Arbeitsteilung zeigte sich im Jahr 2007. In Zentraleuropa litt das Getreide im Frühjahr unter Frost, dann folgte eine Hitzewelle und Dürre. Gleichzeitig fiel die Weizenernte in Australien und auch in der Ukraine schlecht aus. Daraufhin schossen die Weltmarktpreise in die Höhe.
Viele Exportnationen unterbanden die Ausfuhren, weil sie befürchteten, die Versorgung der eigenen Bevölkerung könnte zusammenbrechen. Die Importabhängigkeit hat zugenommen, in manchen Weltregionen müssen Überschüsse erzielt und ausgeführt werden, sonst können andere Regionen nicht versorgt werden.
Dabei erzeugt die globale Landwirtschaft rein rechnerisch genügend Kalorien für alle, zumal laut Schätzungen der FAO jede vierte Person übergewichtig ist. Über zehn Prozent der Nahrung geht auf dem Acker verloren, beinahe so viel wie bei den Endverbrauchern.
Das System ist geprägt von Verschwendung und Überversorgung einerseits, Mangel und Unterversorgung andererseits.
Das globale Ernährungssystem steckt in einer Klemme
Die Erntemengen müssen wenigstens stabil gehalten werden, aber ohne dadurch die ökologische Krise zu verschärfen. Die Politisierung des Welthandels und die geopolitischen Rivalitäten setzen das System zusätzlich unter Druck.
Dass nicht weiter gehen kann wie bisher, bestreitet eigentlich niemand – nicht einmal die Lobbyisten der Konzerne, die von dieser Form der Welternährung profitieren.
Auf der "Grünen Woche" in Berlin präsentieren sich die Agrarverbände und Lebensmittelindustrie als problembewusste "Stakeholder". Eine echte "Agrarwende" kommt dennoch nicht in Gang.
Auch der DBV führt seine alte Politik unverändert fort: für Agrarexporte und staatliche Unterstützung, um auf dem Weltmarkt zu reüssieren, im Schulterschluss mit der verarbeitenden und vermarktenden Industrie, gegen ökologische Reformen, die höhere Kosten verursachen.
Gewinner und ihre Pfründe: das "System"
Widerstand gegen eine Landwirtschaft, die den Planeten nicht zugrunde richtet, kommt nicht nur von den Bauern, nicht einmal in erster Linie. Die "industrialisierte Landwirtschaft" in Deutschland und anderswo ist immer noch geprägt von familien- und mittelständischen Unternehmen.
Die eigentliche Industrialisierung und Monopolisierung fand bei den Zulieferern und den Abnehmern statt – Züchter, Agrarchemie (Pestizide, Düngemittel) und Agrartechnik, die Lebensmittelindustrie, die verarbeitet und veredelt.
Diese vor- und nachgelagerten Sektoren lagern die besonderen geschäftlichen Risiken aus, die mit der Landwirtschaft verbunden sind und erzielen deutlich höhere Gewinne. Sie werden zunehmend von transnationalen Oligopolen beherrscht.
Laut einer Untersuchung aus dem Jahr 2022 der ETC Group, einer kanadischen Nichtregierungsorganisation, decken vier Hersteller zwei Drittel des weltweiten Bedarfs an Agrarchemikalien.
Vier Firmen kontrollieren 60 Prozent des Marktes für Tier-Pharmazeutika. Zwei Unternehmen kontrollieren 40 Prozent des Saatgut-Marktes. Einer dieser beiden Saatgut-Hersteller ist Syngenta, seit 2017 im Besitz des chinesischen Staates und der größte Hersteller von Agrarchemikalien und Saatgut weltweit.
Bei den Abnehmern ist die transnationale Monopolisierung nicht ganz so stark, in den einzelnen Ländern dennoch erheblich. Der Marktanteil der vier großen Lebensmittelketten Edeka, Rewe, Lidl und Aldi liegt in Deutschland bei fast 90 Prozent.
Sie präsentieren sich ihren Kunden gegenüber dreist als ökologisch nachhaltig – "Jeder Einkauf ein kleiner Beitrag zur Rettung der Welt!" – während sie gleichzeitig die Erzeuger unter Preisdruck setzen.
Wie kann dieses System reformiert werden?
Die Herausforderungen sind gewaltig, geradezu beängstigend: Die Agrarsysteme in großen Teilen von Afrika, Südamerika und Asien müssen agrarökologisch modernisiert werden, mit Anbaumethoden, durch die Bodenfruchtbarkeit und Erntemengen steigen, aber auch langfristig erhalten bleiben.
Machbar wäre das, sofern die notwendigen Investitionen getätigt und die nationalen Märkte von der Weltmarktkonkurrenz abgeschirmt würden.
In den Agrarsystemen Europas, Nordamerikas und Australiens dagegen und auf den Monokultur-Plantagen in Asien und Südamerika steht eine "Entintensivierung" an – kleinere Einheiten, verschiedene Ackerpflanzen, unterschiedliche und ungleichzeitige Fruchtfolgen, geringere chemische Inputs.
Dies allerdings geht nur, wenn mehr Arbeitszeit und Arbeitslohn eingesetzt wird.
Die Rationalisierung der vergangenen Jahrzehnte müsste zum Teil wieder rückgängig gemacht werden. Der breiten Bevölkerung die entstehenden Mehrkosten über die Lebensmittelpreise aufzubürden (worauf die gegenwärtige Politik des Grünen-Bundeslandwirtschaftsministers hinausläuft), ist wiederum illusorisch.
Kann dieses System reformiert werden? "Der Markt" wird dazu jedenfalls nicht in der Lage sein, auch nicht mit geschickt gesetzten, ökologischen Anreizen.
Eine Agrarwende zu erwarten, ohne die Eigentums- und Machtverhältnisse im Sektor tiefgreifend zu verändern, ist bloße Träumerei. Die entscheidenden Stakeholder haben an ihr keinerlei Interesse.