Wer nicht kuscht, wird getasert
Nichttödliche Waffen wie Elektroschockpistolen senken die Schwelle zur Gewaltanwendung, wie ein Fall in Florida zeigt, über den es ein Video gibt
Elektroschockpistolen wie diejenigen, die das US-Unternehmen Taser herstellt und mit denen bereits viele Sicherheitskräfte ausgerüstet sind, gelten als nichttödliche oder, wie man manchmal sicherheitshalber sagt, weniger tödliche Waffen mit einer Reichweite von bis zu 7 Metern. Sie sollen die Notwendigkeit des Einsatzes von Schusswaffen verringern und trotzdem die Träger der Waffe schützen, während Verletzungen bei den Opfern vermieden werden. Wie ein besonders drastisches Exempel zeigt, senken solche angeblich harmlosen Waffen die Schwelle zur Gewaltanwendung erheblich.
Menschenrechtsorganisationen wie amnesty international warnen schon seit längerem, dass nichttödliche Waffen, vor allem aber Elektroschockpistolen, keineswegs so harmlos sind, wie Hersteller und Sicherheitsbehörden dies gerne darstellen. Auch wenn relativ wenige Menschen angesichts der weiten Verbreitung von Elektroschockwaffen in den USA und Kanada umgekommen sind – amnesty spricht von "mehr als 70 Toten" seit 2001 -, so waren diese Opfer in aller Regel unbewaffnet und meist angeblich keine wirkliche Bedrohung für die Polizisten. Mit einem Elektroschock von 50.000 Volt wird das Opfer gelähmt und erleidet große Schmerzen.
Anstatt tatsächlich gefährliche Situationen durch die Verwendung von Elektroschockwaffen zu entschärfen, werden dies offenbar immer häufiger eingesetzt, um Menschen gefügig zu machen oder zu strafen, wenn diese, aus welchen Gründen auch immer, nicht gleich machen, was ihnen von Sicherheitskräften befohlen wird. Nach amnesty setzen Polizisten in den USA und Kanada – und man kann sich denken, was in Ländern geschieht, die kein Rechtsstaat sind – ihre Taser ein auch gegen "widerspenstige Schulkinder, unbewaffnete geistig verwirrte oder betrunkene Menschen, Verdächtige, die vom Ort eines Kleinverbrechens fliehen, und Personen, die sich mit Polizisten streiten oder nicht unmittelbar ihren Befehlen gehorchen". In der Schweiz beispielsweise, in der Taser bereits verwendet werden, ist etwa das so genannte Zwangsanwendungsgesetz in Diskussion. Es soll allen "Behörden, die beim Vollzug der Ausländer- und der Asylgesetzgebung polizeilichen Zwang anwenden müssen", also etwa beim Abschieben", sowie allen Behörden, "die im Auftrag einer Bundesbehörde Personen mit Freiheitsbeschränkungen transportieren", aber auch "Privaten, die von diesen Behörden für die Erfüllung ihrer Aufgaben beigezogen werden", den Einsatz von Elektroschockwaffen ermöglichen.
Elektroschockwaffen gehorchen den gleichen Gesetzen wie viele andere Techniken auch. Sind sie einmal vorhanden, werden sie auch für Zwecke gebraucht, die ursprünglich nicht vorgesehen sein mögen, sich aber aufdrängen. Weil sie normalerweise keine bleibenden und nachweisbaren Schäden verursachen, gleichwohl aber große Schmerzen verursachen, lassen sie sich natürlich auch für die Folter oder zur Demütigung einsetzen. Ihre angebliche Harmlosigkeit verleitet zum schnellen Einsatz gelegentlich auch dann, wenn Sicherheitskräfte – oder wer auch immer eine solche Waffe verwendet - früher weder Schusswaffen noch körperliche Gewalt eingesetzt hätte. Schließlich haben Elektroschockpistolen den Vorteil, dass sie aus der Distanz abgefeuert werden können. Sie werden dann sicherheitshalber oder präventiv eingesetzt, da niemand sich gerne einer auch nur möglichen Gefahr aussetzen will, wenn es durch "harmlose" Mittel verhindert werden kann, aber auch zur Demonstration der Macht, zur Bestrafung einer Person und aus Ärger.
Taser im Einsatz bei Straßenkontrollen
Ein Vorfall, der allerdings schon ein Jahr zurückliegt, der aber von der Polizei gerechtfertigt wird und von dem ein Video vorliegt, das vom Polizeiauto aus gemacht wurde, zeigt exemplarisch, mit was die Menschen überall dort, wo Elektroschockpistolen eingesetzt werden, rechnen müssen, wenn es nicht zugleich strenge Regeln gibt. Im Palm Beach County und der Treasure Coast (Florida) wurden nach Recherchen der Zeitung The Palm Beach Post seit 2001 mehr als 1.000 mal Taser-Waffen eingesetzt, u. a. bei sechs Personen über 65 Jahren, sogar bei einem 86-jährigen Mann, sowie bei 35 Jugendlichen unter 16 Jahren. Ein Viertel der Personen, die geschockt wurden, war unbewaffnet, nicht gewalttätig und stellte keine Gefahr für die Polizisten dar. Oft wurden Personen auch mehrmals geschockt.
Das war auch der Fall bei einer 22-jährigen Frau, die im August 2004 wegen überhöhter Geschwindigkeit in Boynton Beach von zwei Polizisten gestoppt wurde. Die junge Frau hielt an, öffnete die Türe, weigerte sich aber, ihre Zigarette auszumachen, ihr Handy wegzulegen und auszusteigen. Sie schimpfte, während der Polizist bemängelte, dass die Windschutzscheibe und ein Rücklicht kaputt seien und sie nicht angeschnallt gewesen wäre. Überdies wäre ihr Führerschein abgelaufen gewesen. Nach einem Wortwechsel und einigem Hin und Her gingen beide Polizisten zum Fahrzeug und öffneten die Türen, um ihr das Handy wegzunehmen und sie festzunehmen (die Frau sagte später, sie habe ihren Bruder anrufen wollen, damit er als Zeuge kommt). Der Polizist an der Fahrerseite befahl der Frau auszusteigen, sonst würde er sie "tasen". Und das tat er dann auch. Die Frau fiel schreiend und voll Panik aus dem Auto. Der Polizist befahl ihr, ruhig zu sein, sich auf den Bauch zu legen und die Arme auf den Rücken zu legen, sonst würde er noch einmal die Waffe verwenden. Sie sagte wimmernd, dass sie das nicht könne. Der Polizist gab daraufhin einen zweiten Schuss ab, worauf die Frau weiter vor Schmerzen schrie, wahrscheinlich aber auch, weil sie damit nicht gerechnet hatte.
Später rechtfertigte ein Polizeioffizier das Vorgehen der beiden Polizisten. Wenn eine Person Befehlen nicht gehorcht, müsse ein Polizist verschiedene Optionen überdenken. Würde er beispielsweise die Person gewaltsam aus dem Fahrzeug zerren und auf den Boden legen, könnte er sie verletzen (was heißt, ein Elektroschock ist keine Verletzung). Die Person könnte eine Waffe im Fahrzeug versteckt haben (die Frau hat allerdings nie den Versuch gemacht, weiterzufahren, sie war "nur" widerspenstig). Wenn der Polizist Pfefferspray verwendet hätte, hätten die Augen der Frau für eine Stunde beeinträchtigt sein können, zudem hätte er seinen Kollegen ebenfalls damit ansprühen können. Also sei der Einsatz der Elektroschockwaffe richtig oder der bestmögliche gewesen.