Wer soll denn nun Finanzminister werden?
Seite 2: Der neue Block der Besserverdienenden
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Der Moloch wird jetzt zusätzlich vom Steuerzahler mit frischen Opfern gefüttert, und das bekannte Problem der Finanzialisierung der Wirtschaft verstärkt werden. Dabei ähneln die Kurs-Gewinn-Verhältnisse und insbesondere das Shiller-KGV bereits denen kurz vorm Platzen der Internetblase im Jahr 2000.
Für die Aktienrente sollen zehn Milliarden Euro an der Börse geparkt und damit dem Geldkreislauf entzogen werden. Zum Zeitpunkt, da dieses Geld zurückgeholt werden soll, wird ein Betrag X dann abermals (!) dem Geldkreislauf entzogen, dessen Höhe davon abhängig ist, ob der Aktienkurs zwischenzeitlich gesunken oder gestiegen ist.
Zum Betrag X wäre als ein Gewinn immer lediglich ein etwaiger Zufluss aus dem Ausland zu addieren, falls Ausländer Aktien kaufen - tatsächlich besteht aber tendenziell ein Nettoabfluss. In der Zwischenzeit fehlen unserer Volkswirtschaft zehn Milliarden Euro, die ihr wachsendes Einkommen brächten, das so verloren geht.
Die Aktienrente ist eben nichts weiter ein indirektes Umlageverfahren, das teurer ist als das etablierte Verfahren, weil sie dem Geldkreislauf der Volkswirtschaft und damit dem jeweiligem Volkseinkommen Mittel gleich zweimal entzieht und darüber hinaus das Wachstum beeinträchtigt. Volkswirtschaften sind im Gegensatz zu Individuen schlicht nicht in Lage, im Inland Ersparnisse zu bilden.
Mit diesem Unfug haben sich FDP und Grüne bereits gegenüber der SPD durchgesetzt. Nach der Wahl sprachen beide Parteien nicht erst mit dem Wahlsieger oder der Union. Christian Lindner lud die Grünen zu Gesprächen, bei denen die beiden Besserverdienenden-Parteien einen Block für die kommenden Verhandlungen mit der SPD bildeten - ein offener Affront der grünen Parteispitze gegenüber der SPD.
Kleinigkeiten wie ein Tempolimit auf Autobahnen störten nur und wurden geknickt. Das so genannte Zugeständnis eines Mindeststundenlohns von zwölf Euro durch die FDP ist keines, denn die EU-Kommission strebt eine verbindliche Regelung an, die den Mindestlohn auf 60 Prozent des Medianlohns der jeweiligen Länder festschreibt - das entspricht in etwa jenen zwölf Euro.
Zur Durchsetzung der Aktienrente brauchte es nicht einmal den ehemaligen Blackrock-Lobbyisten Friedrich Merz, das schafften Lindner, Habeck und Baerbock im Alleingang. Blackrock und andere Aktionäre profitieren nun erst einmal bis zur nächsten periodischen Wertkorrektur am Aktienmarkt durch staatlich alimentierte Aktienkurse.
Mit der Aktienrente begibt sich der Staat freiwillig in eine Geiselnahme. Er dürfte künftig nicht nur Banken retten, sondern voraussichtlich auch Börsenkurse stützen. Und dies alles geschieht auf Betreiben von Neoliberalen, die sonst gern etwas von "Zombie-Unternehmen" unken...
Die Glaubwürdigkeit der Grünen ist ramponiert, und der vernünftige Teil der Jugend, der wohl eher nicht FDP wählte, geht freitags wieder auf die Straße.
Die neue rot-grün-gelbe Regierung, so sie denn gebildet wird, wird in einer Zeit regieren, in der vieles zu meistern ist. Zum einen müssen Weichen gestellt werden, um die irreversible Klimakatastrophe abzumildern, was nur in der Gemeinsamkeit der Nationen geschafft werden kann, zum Anderem muss ein Auseinanderbrechen der EU vermieden werden, die durch deutsche Wirtschaftspolitik gefährdet ist, ohne dass diese Gefahr im deutschen Bewusstsein überhaupt angekommen ist.
Von außerhalb scheint die Gefahr klarer erkennbar. So wird eine Intervention eines Nobelpreisträgers für Wirtschaftswissenschaft verständlich, der auch zeitweise Chefökonom der Weltbank war. Der US-Amerikaner Joseph Stiglitz veröffentlichte gemeinsam mit dem britischem Volkswirt Adam Tooze einen Artikel in der Wochenzeitung Die Zeit, mit dem sie davor warnen, Christian Lindner das Finanzministerium anzuvertrauen.
Sie sprechen sich gegen die klischeehafte neoliberale Politik aus, die noch in den Neunzigern verharre und blind für die veränderte ökonomische Entwicklung in der Eurozone sei. Lindner verfolge obsolete ökonomische Ansätze, die Deutschland schaden und die EU gefährden:
Diese Art Crashtest kann sich weder Deutschland noch Europa erlauben.
Joseph E. Stiglitz und Adam Tooze
Christian Lindner wird in das Amt eines neu zu bestallenden Bundesministers für Digitalisierung und Modernisierung weggelobt. Wie auch seiner Partei wird ihm jegliche ökonomische Kompetenz abgesprochen.
Die Autoren lehren an der Columbia University in New York, Adam Tooze arbeitet auch zur deutschen Wirtschaftsgeschichte, beide sind glaubwürdig. Der Artikel enthält zudem einiges Lob für den derzeitigen Finanzminister, den Juristen Olaf Scholz.
Die SPD könnte gemeinsam mit den Grünen versuchen eine Minderheitsregierung zu bilden
Es ist in Deutschland heute fast Usus, dass Finanzminister Juristen sind und keine Volkswirte. Früher war das einmal anders. Unter Bundeskanzler Willy Brandt war der Professor der Volkswirtschaftslehre Karl Schiller Wirtschafts- und Finanzminister.
Auf Schiller folgte der Volkswirt Helmut Schmidt, der selber später Bundeskanzler wurde und den Volkswirt Hans Apel mit dem Amt betraute. Auch dessen Nachfolger Manfred Lahnstein und später Hans Matthöfer waren studierte Volkswirte.
Heute gilt es gleich zwei entscheidende Ämter zu besetzen, das des Bundesbankpräsidenten und das des Finanzministers. Sollte die SPD keinen Kandidaten in den Koalitionsverhandlungen durchsetzen können, der für eine Fortführung der Finanzpolitik von Olaf Scholz steht, könnte sie gemeinsam mit den Grünen versuchen eine Minderheitsregierung zu bilden und Olaf Scholz notfalls erst im dritten Wahlgang zum Kanzler wählen zu lassen.
Die Kandidaten müssen keine Politiker sein. Damit würde sich die SPD in eine Tradition stellen, die auf Willy Brandt zurückgreift. Als Finanzminister kommt Prof. Marcel Fratzscher in Betracht und als Bundesbankpräsidentin vielleicht Prof. Isabel Schnabel, sofern beide sich denn zur Verfügung stellten. Eine professorale Besetzung des Ministerposten ließe Christian Lindner das Gesicht bewahren und würde den Streit um das Amt zwischen Robert Habeck und ihm zufriedenstellend beenden.