Wer zahlt für politische Eigentore?
Die Zocker gewannen beim Griechenlandanleihen-Poker, die Griechen fragen, ob wirklich alle Opfer bringen müssen
Während in Europa die Parlamente über die Hilfskredite für die klammen Hellenen diskutierten, konzentrieren sich nahezu alle internationalen Medien auf das brutale Sparpaket der Regierung Papandreou und die daraus resultierenden Proteste der Bevölkerung. Immer neue und umfangreichere Streikaktionen erschüttern das Land. Ausländische Beobachter wundern sich, warum die finanziell gebeutelten Hellenen ihr bankrottes Land mit den Streiks weiter in den Ruin treiben. Doch die Griechen selbst beschäftigt außer der Wut über die vom IWF und der EU verordnete Armut vor allem die Frage nach den Schuldigen des Desasters.
Staatspräsident Karolos Papoulias beschwor Papandreou angesichts der Lage im Land, endlich die Hauptverantwortlichen der Krise zur Rechenschaft zu ziehen. Nur so könne die Bevölkerung beruhigt werden. Der Premier versprach, dies unverzüglich zu tun, doch es scheint, dass er das Vertrauen der Bevölkerung zunehmend verliert. Zu konträr waren seine letzten Aktionen.
Kurz nach seinem Hilferuf an den IWF und die EU und wenige Tage vor der Verkündigung der jüngsten Lohnkürzungen, Steuererhöhungen und sozialen Kahlschläge hatte er noch beteuert, dass sein vorheriges, erst im März beschlossenes Sparprogramm alle Forderungen des IWF mehr als erfüllen würde. Ein weiteres Schockprogramm sei nicht notwendig.
Tagtäglich kommen neue Affären und Skandälchen der griechischen Regierungen ans Tageslicht. Viele der von Lohnkürzungen bis zu 40 Prozent bedrohten Hellenen wundern sich, dass sowohl in der ausländischen als auch in der lokalen Presse Berichte über Lokführer erscheinen, die mit Hilfe von Überstundenregelungen stolze 100.000 Euro verdient haben sollen. Trotz Dementis seitens der Politik, wird nun jede noch so krude Meldung ungeprüft als wahr befunden.
Die Mehrzahl der Griechen kämpft mit steigenden Preisen und trotz Lohnsteigerungen in den vergangenen Jahren immer noch mit relativ niedrigen Löhnen ums blanke Überleben. Ein Sparprogramm nach dem anderen soll, so die PASOK Regierung, das Land auf Vordermann bringen. Alle müssten Opfer bringen, so verkündet der Premier in seinen Ansprachen. Wirklich alle? – fragen sich die Bürger, die sich über die erst vor wenigen Tagen erfolgte Einstellung eines Pferdetrainers für die Parlamentarier wunderten.
"Krieg gegen die Spekulantenbanden"
Widersprüchlich erscheint den Hellenen ebenfalls, dass die Regierung um Ministerpräsident Georgios Papandreou die akute Liquiditätskrise vor allem als verschwörerisches Werk skrupelloser Spekulanten ansieht, welche die Misswirtschaft der vorherigen Regierungen schlicht ausgenützt hätten. Er selbst habe doch alles Menschenmögliche getan, entschuldigt sich Papandreou bei seinen Wählern. Er habe aber bei seinem Wahlkampf im vergangenen September und bis vor kurzem keine Kenntnis über das wahre Ausmaß der Misswirtschaft gehabt, behauptet der Regierungschef. Daher könne er entgegen seinen Wahlversprechungen, die Löhne der gering Verdienenden nicht erhöhen, er müsse sie vielmehr im Interesse der Zukunft des Landes kürzen. Spekulanten hätten das Land in den Ruin gehetzt, so lautet die offizielle Version. Der Premier hatte auf seinen vertrauensbildenden Roadshows der letzten Monate bei allen befreundeten Regierungen um tatkräftige Hilfe im Kampf gegen die Währungszocker gefleht.
Wie aber ist es dann zu erklären, dass während seine Regierung frisch im Amt war, die Bank of Greece, die hellenische Staatsbank, mit einer großzügigen Fristverlängerung dem Finanzmarktpoker Tür und Tor öffnete? Bis zum Herbst mussten so genannte "Short-Sellers" ihre Schulden bei der Staatsbank innerhalb von drei Arbeitstagen nach Fälligkeit einlösen. Eine generöse Fristverlängerung von weiteren sieben Tagen erlaubte es ihnen seit dem, erst nach dem Ablauf von zehn Arbeitstagen ihren Wetteinsatz tatsächlich vorzulegen. Hatten sie die Wette verloren - was angesichts der stets steigenden Risikozulagen kaum vorkam -, so konnten sie auf die Einlösung verzichten und schlicht die ursprüngliche Wette erneuern.
Dies belegen jüngste Veröffentlichungen der konservativen Tageszeitung Eleftheros Typos. Mittlerweile beschäftigt das Thema die Staatsanwaltschaft und das griechische Parlament.
In der Praxis spekulieren die Finanzprofis im Fall von Griechenland auf steigende Risikoprämien (Spreads). Zu Beginn der Spekulationsphase lag die Risikoprämie beim Dienstantritt Papandreous bei 150 Basispunkten. Praktisch bedeutete dies, dass der Staat im Vergleich zu Deutschland um 1,5 Prozent höhere Kreditzinsen zahlen musste. Je mehr Hiobsbotschaften über das Staatsdefizit an die Öffentlichkeit gelangten, umso höher stieg der Zinssatz.
Wettet ein Finanzmarktjongleur auf steigende Prämien, so muss er bei Fälligkeit der Wette Papiere mit dem von ihm prognostizierten Risikozuschlag einlösen. Steigt der Prämiensatz noch höher, so gehört der sich ergebende Zinsgewinn dem Spekulanten. Je höher die Zinsen für Staatsanleihen steigen, umso mehr wächst der Schuldenberg für den Kredit suchenden Staat und umso näher kommt der Staatsbankrott. Wirtschaftlich sinnvolle Anleihen können dann nicht mehr auf dem freien Markt platziert werden.
Der Gang zum IWF brachte der hellenischen Regierung in diesem aussichtslosen Kampf eine dreijährige Verschnaufpause, die mit den rigorosen Einschnitten zu Lasten der Bevölkerung bezahlt werden muss.
Papandreou wollte dies verhindern, indem er bei den europäischen Partnern um die Vorbereitung eines Unterstützungspakets nachsuchte. Seine Theorie war, dass dadurch der Staatsbankrott verhindert und den Zockern der Wind aus den Segeln genommen werden konnte. Er bezeichnete den Hilfsfond als "Pistole, die nun auf dem Tisch liegt" und die im "Krieg gegen die Spekulantenbanden" helfen würde.
Derart markige Worte klingen eindrucksvoll bei einigen Wählern, kühl rechnende Bankprofis beeindruckt man so nicht. Die Geldexperten sahen offenbar hinter Papandreous Äußerungen Angst und Unsicherheit. Zu allem Unglück für den Premier hatte die internationale Presse Griechenland ins Visier genommen. Der Stoff versprach Auflagen. Jeder Wasserstandsbericht aus dem sinkenden Staatsschiff verschärfte den Druck der Finanzmärkte zusätzlich. Zu zögerlich reagierte das frische, weitgehend unerfahrene, sozialistische Regierungsteam auf Presseberichte. Papandreou hatte buchstäblich auf das falsche Pferd gesetzt.
Spiel mit künstlichen Feindbildern
Die im Nachhinein gesehene falsche Taktik gepaart mit der Möglichkeit, auf Zeit zu spielen machte Griechenlandwetten besonders attraktiv. Das Risiko für die Zocker war gleich Null. Das Zögern von "Madame non", Bundeskanzlerin Angela Merkel, bei der Verhandlung um das Hilfspaket verstärkte nach Meinung der Griechen den Aufwind der Risikozuschläge zusätzlich. Eine Win-win-Situation für die Geldhaie, eine Loose-loose-Ausgangslage für die Hellenen.
An den idealen Spielbedingungen für die Krisengewinnler hatte die Kanzlerin jedoch keine Beteiligung. Vielmehr dient sie den hellenischen Medien als ideales Feindbild, auf das die Auslöser für sämtliche Desaster projiziert werden können. Ein äußerer Feind dient dabei praktisch auch noch dazu, das eigene murrende Volk auf die externe Bedrohung einzuschwören und so zu einigen. Ein geeinigtes Volk kann leichter auf Umstrukturierungen und Sozialabbau eingeschworen werden, so zumindest urteilen griechische Oppositionspolitiker über die jüngsten medialen Stellvertreterkriege.
Nichts Anderes erleben die Deutschen, die mit Berichten über "Pleitegriechen" überflutet werden. An den Spielregeln für Währungszocker ändern die künstlichen Feindbilder allerdings nichts, sie wirkten im Nachhinein beurteilt eher katalytisch und beschleunigten den Niedergang.
Erst Anfang April, als die Risikoprämien bereits auf mehr als 700 Basispunkte angestiegen waren, wurde die Zehn-Tages-Frist wieder abgeschafft. Künftig müssen Wetten innerhalb eines Arbeitstages eingelöst werden.
Offenbar hat die griechische Regierung hier mal wieder zu spät reagiert. Denn nun ist der IWF schon im Land und selbst mit dem EU-Hilfsfond werden im Vergleich zum Herbst 2009 viel höhere Zinssätze fällig. Ob dieses offensichtliche Eigentor der hellenischen Führungseliten aus böser Absicht erfolgte oder schlicht durch Unerfahrenheit verursacht wurde, ist noch unklar. Die Rechnung zahlen müssen am Ende allerdings die Bürger Europas. An der Krise verdienen können sie nicht. Die einfachen Anleger ziehen beim Zocken mit Wertpapieren sowieso immer eine Niete. Merke, wenn Politiker einen "kleinen" Fehler machen, zahlt der Steuerzahler eine dicke Rechnung.
Dazu passt ein Passus der Ansprache Papandreous anlässlich des griechischen Hilferufs an Europa. Pathetisch kommentierte der Ministerpräsident die Zukunft des Landes, das "einen Teil seiner Souveränität eingebüßt" habe und nun in einer neuen Odyssee auf einer beschwerlichen Reise gen Ithaka segeln müsse. Der Weg sei aber bekannt und kartographisch erfasst, schloss Papandreou seinen Kommentar. Böse Zungen bemerken dazu, dass Odysseus seine Reise als Einziger beendete, die Gefährten kamen dabei um.