Werbung für den Karrierefeminismus
- Werbung für den Karrierefeminismus
- Männerrollen
- Der harte akademische Arbeitsmarkt
- Auf einer Seite lesen
Wie "Die Anstalt" Rollenbilder festigt, statt die Emanzipation voranzubringen
Die Diskussion um Chancengerechtigkeit dreht sich zurzeit um Gehaltsunterschiede zwischen den Geschlechtern. Die Kabarettshow Die Anstalt zeichnete daraus ein Gesellschaftsbild, in dem Frauen typischerweise benachteiligt, Männer typischerweise bevorteilt werden. Dies verkennt, dass immer mehr Menschen geschlechtsunabhängig billige Arbeitskräfte auf Abruf sind. Das Beispiel des harten akademischen Arbeitsmarkts macht dies deutlich.
Nach medienkritischen Folgen der Sendung Die Anstalt zur Ukraineberichterstattung und der Eurokrise schien es, als hätten Kabarettisten die Aufgabe von Journalisten übernommen, nachdem Journalisten sich im Karikieren übten. Dabei war es Max Uthoff, Claus von Wagner und ihrem Team stets gelungen, komplexe finanzielle Sachverhalte oder Interessenkonflikte der Medienlandschaft in allgemeinverständlicher Weise zu erklären. Ihre beißende Kritik an einer bekannten Wochenzeitung hielt sogar der gerichtlichen Prüfung stand.
In der Sendung vom 28. April ging es um das (angebliche) Ende des Feminismus. Zusammen mit Carolin Kebekus, Lisa Politt und Christoph Sieber wurde diesmal die Chancengleichheit von Frauen und Männern auf den Prüfstand gestellt. Eher nebenbei ging es um Flüchtlingspolitik und Griechenland. Im anschaulichen Höhepunkt am Ende der Folge wurde der "typische Lebenslauf von Mann und Frau" wissenschaftlich simuliert.
Der Lauf des Lebens
Dabei vertrat Christoph Sieber den "typischen Mann", Carolin Kebekus ging stellvertretend für die Frauen an den Start des Lebens- und Karrierewettrennens. Sieber läuft schon vor dem Startschuss los und auf den Einspruch der Mittbewerberin kontert Professor Wagner, der die Simulation leitet, das sei ganz normaler Alltag. Schließlich würden Männer im selben Beruf bei gleicher Qualifikation 8% mehr verdienen als Frauen.
Das Wettrennen wird mit jeder Runde absurder. Hochzeit, Kinder, Haushalt, Scheidung, Unterhaltsstreitigkeiten und die Pflege Angehöriger, erfahren wir, führen letztlich dazu, dass Kebekus trotz des arbeitsreichen Lebens weit abgeschlagen mit einer Monatsrente von 600 Euro auskommen muss. Der Professor ergänzt, dass 40% der Frauen noch weniger bekommen. Nachdem Kebekus für ihre Lage selbst verantwortlich gemacht wird, sie hätte eben vorsorgen müssen, fällt sie erschöpft in den Sarg. In ihm wurde am Anfang der Sendung schon der Feminismus beerdigt.
Berechtigte Kritik erhält falsches Gesicht
Wie in den vorherigen Folgen wird damit Gesellschaftskritik ausgedrückt: Das steuerliche Ehegattensplitting, die Reintegration in den Arbeitsmarkt nach einer Karriereunterbrechung, Arbeitsbedingungen im Niedriglohnsektor und die Härten für Alleinerziehende seien problematisch. Anders als vorher erhalten diese Missstände jetzt aber ein bestimmtes Gesicht, nämlich das des "typischen Mannes", dem dazu in der Sendung bloß dumme Witze einfallen.
Dabei sind aber Männer, die weniger oder gleich viel verdienen wie ihre Ehepartnerinnen (2013 ein Viertel der Paare)1, die ihre Karriere - freiwillig oder unfreiwillig - unterbrechen, die im Niedriglohnsektor landen oder Kinder alleine erziehen (2013 waren das 385.000 Väter)2 von denselben Härten betroffen. In der Praxis leiden vielleicht mehr Frauen unter der Benachteiligung - aber die Mechanismen der Benachteiligung sind in vielen Fällen für Frauen und Männer dieselben: Das ökonomische Denken bestraft Entscheidungen gegen die Nutzenmaximierung.
Geschlechtsrollen gelten für Frauen und Männer
Hier verspielt Die Anstalt eine wichtigen Chance zur Emanzipation, nämlich eine Aufklärung darüber, wie die gesellschaftlichen Verhältnisse Geschlechtsrollen für Frauen und Männer festlegen. Im Gegenteil werden die Zuschauerinnen und Zuschauer sogar in die Irre geführt: Ihnen wird suggeriert, die Ungerechtigkeiten seien vom typischen Mann verursacht, der schon am Anfang - also als Schulkind? als Auszubildender? als Studierender? - mit seinem Frühstart die Regeln des Wettbewerbs bricht und damit die Frau überholt.
Kabarettisten können sich immer auf den Standpunkt zurückziehen, dies alles sei ja "nur" Kabarett. Doch gerade Die Anstalt gab sich durch ihre tiefen Recherchen zu brennenden tagespolitischen Themen bisher den Anschein, eine sonst in den Medien so vernachlässigte wie wichtige alternative Sichtweise zu vermitteln. Zum Thema Feminismus kann sie aber nicht der Versuchung widerstehen, einen verbreiteten Fehler dieser Debatte zu wiederholen. Dieser besteht darin, statistische Durchschnittsfrauen mit Durchschnittsmännern zu vergleichen und daraus weitreichende Schlüsse zu ziehen.
Den Durchschnittsmenschen gibt es nicht
So betrug zum Beispiel die durchschnittliche Kinderzahl pro Frau in Deutschland im Jahr 2012 1,38.3 Natürlich wissen wir, dass diesem Ergebnis zum Trotz keine einzige Frau 1,38 Kinder hat. Dieser Durchschnittswert ist eine abstrakte Größe, die kein einziges Mal in der Welt vorkommt. So ist auch die Aussage, dass Frauen im gleichen Beruf und bei gleicher Qualifikation im Mittel 8% weniger verdienen, mit Vorsicht zu genießen.
Mittelwerte sind - anders als der Medianwert - anfällig für extreme Ausreißer. Sie verraten auch nichts über die Verteilung innerhalb der Gruppen. So könnte ein Großteil der Frauen und Männer in etwa gleich verdienen, jedoch nur eine kleine Gruppe männlicher Ausnahmen sehr viel mehr. Diese könnten die 8% Unterschied verursachen. Das Absurde ist: Diese wenigen Ausnahmen würden dann auch sehr viel mehr verdienen als alle anderen Männer. Dennoch schiebt man die 8% dem typischen Mann in die Schuhe.
Viel größere Einkommensunterschiede
Vor wenigen Jahren war noch in der Diskussion, dass in der heutigen Arbeitswelt zunehmende Ungleichverteilung von Gehältern herrscht. So ist zum Beispiel das Verhältnis der Vorstandsvergütung in den DAX-30-Unternehmen zu den durchschnittlichen(!) Personalkosten pro Kopf von 1:14 im Jahr 1987 auf 1:49 im Jahr 2010 gestiegen.4 Die Schweizer Initiative zur Begrenzung der höchsten Löhne in einem Unternehmen auf "nur" das Zwölffache der niedrigsten zu begrenzen, scheiterte 2013.
Uns scheint zurzeit viel weniger zu kümmern, dass die Gehälter vieler Führungskräfte weit mehr als 1.200% der am geringsten verdienenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in einem Unternehmen betragen, als die 8% Unterschied im Mittel zwischen Frauen und Männern. Natürlich ist ein Gehaltsunterschied nur aufgrund des Geschlechts ungerechtfertigt, aber die Durchschnittsgröße verrät uns nichts über die tatsächliche Häufigkeit des Problems oder über die Mechanismen, aus denen es entsteht. Für die Praxis wäre dieses Wissen entscheidend, doch Politik, Journalismus und Kabarett haben dazu auffallend wenig zu sagen.
Klassische Frauen-Männer-Bilder
Es passt eben zu gut in unser Bild, dass Frauen im Nachteil, Männer im Vorteil sind. Widersprechende Zahlen über Schulabbrecher (40% Frauen, 60% Männer), bei denen ferner ein extremes Ost-West-Gefälle herrscht (z.B. 14 und 12% in Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen gegenüber 4 und 5% in Bayern und Baden-Württemberg)5, Wohnungslose (22% Frauen, 78% Männer)6, Gefangene (6% Frauen, 94% Männer)7, Alkoholabhängigkeit (EU-weit 23% Frauen, 77% Männer)8 oder die geschätzte Lebenserwartung (83 Jahre für Frauen gegenüber 78 Jahren für Männer, Jahrgänge 2010-2012)9 erhalten kaum Aufmerksamkeit.
Ein einseitiger Fokus auf die Schwierigkeiten vieler Frauen verdeckt den Blick auf die Schwierigkeiten vieler Männer. Wenn diese ausgegrenzt werden und sich in Reaktion darauf radikalisieren, kann das für die gesamte Gesellschaft zum Problem werden. Dabei ist es eine Binsenweisheit der Genderforschung, dass das Geschlecht nicht die einzige Kategorie ist, die die gesellschaftliche Teilhabe beeinflusst: Bildungsniveau, Wohlstand, Hautfarbe, Herkunft und Religion sind ebenfalls von Bedeutung.
Erwartungen, Klischees, Stereotypen
Auch dreihundert Jahre nach der sogenannten Aufklärung, trotz öffentlicher und politischer Bildung, selbst in Zeiten von Wikipedia und Google hat sich dies nicht geändert: Unser Wahrnehmen und Denken ist durch Erwartungen, Klischees, Stereotypen, ja Vorurteile aller Arten und Weisen geprägt. Wir alle sind davon betroffen.
Dank Emanzipationsbewegung und Feminismus sind wir uns der Konsequenzen für Frauen besser bewusst. Dabei geht es nicht nur darum, wie Männer mit Frauen umgehen, sondern auch Frauen mit anderen Frauen und mit sich selbst. Dieses Wissen allein reicht leider nicht, um die negativen Konsequenzen der stereotypischen Sichtweise aus der Welt zu schaffen. Durch die neueren Debatten um Feminismus und Sexismus werden wir immer wieder anschaulich daran erinnert.