Werden Maschinen schon in hundert Jahren den Menschen ersetzen?
Auf einem "KI-Gipfel" zeigten sich die Forscher angesichts der Frage nach der Zukunft des Menschen gespalten
Nanobots, die unser Gehirn scannen, auf Chips downloadbare Fremdsprachenfertigkeiten, Haushaltsroboter und sich selbst fertigende Produkte werden die Zukunft bestimmen, glauben Forscher wie Kurzweil oder Moravec. Die Warner sehen dagegen zusammen mit den wissensbasierten Technologien die Hölle auf Erden anbrechen. Auf einem Panel an der Stanford University diskutierten die führenden Köpfe aus den Disziplinen KI, Robotik und Nanotechologie erstmals gemeinsam über den weiteren Verlauf der Evolution von Mensch und Maschine.
"Hier noch eine aktuelle Tickermeldung: Roboter erobern New York City ... Der Bürgermeister schiebt die Schuld auf Moore's Law." So war die Ankündigung eines für den 1. April an der Stanford University anberaumten Panels überschrieben. Diskutieren sollten auf Einladung des Kognitionswissenschaftlers Douglas Hofstadter "Stars" aus der Forschung rund um Künstliche Intelligenz, Robotik und Nanotechnologie wie Hans Moravec, Ray Kurzweil (Spirituelle Maschinen) und der Wired-Redakteur Kevin Kelly, die in jüngster Zeit mit Büchern wie "Robot: Mere Machine to Transcendent Mind", "The Age of Spiritual Machines" und "Out of Control" für Aufsehen sorgten. Die Rolle des Advocatus Diaboli schien Bill Joy in aller Eile noch zugeteilt worden zu sein, dessen Wired-Artikel über die ohne den Menschen auskommende Zukunft (Angst vor der Zukunft) nach wie vor Wellen schlägt. Der Verdacht lag nahe, dass sich ein übereifriger, auf den Spuren Orson Welles' und dessen Alien-Rundfunk-"Reportage" wandelnder Student einen April-Scherz erlaubt hatte.
Doch sie waren alle da am Samstag, die wohl momentan wichtigsten und bekanntesten Köpfe aus der das künftige Zusammenleben von Mensch und Maschine erforschenden Informatik - und zwar in Fleisch und Blut. "Werden spirituelle Roboter die Menschheit im Jahr 2100 ersetzen?", lautete die von Hofstadter in den Raum gestellte Frage. Und natürlich führte kein Weg vorbei an dem die ganze Computerwissenschaft seit 1965 beflügelnden Gesetz des Intel-Mitbegründers Gordon Moore, demnach sich die Leistungsfähigkeit von Prozessoren alle 18 Monate verdoppelt, während ihre Größe sich gleichzeitig halbiert. Angesichts dieser Entwicklungen, für die entgegen Moores eigenen Prognosen momentan kein Endpunkt in Sicht ist, erscheint es mehr als legitim, sich Gedanken zu machen über die immer "mächtiger" werdende Technologie - im Gegensatz zu den kaum noch steigerungsfähigen Informationsverarbeitungsprozeduren des Homo sapiens.
Reverse Engineering des menschlichen Geistes
Dass den Menschen seine eigenen Kreaturen überholen, sich gegen ihn auflehnen oder "böse Charakterzüge" annehmen, ist eine uralte Angst des zivilisierten, die Technologie fürs eigene Überleben benötigenden Menschen und spätestens seit Frankenstein fester Bestandteil der westlichen (Mythen-)Kultur. Doch nie war die Erfüllung des alten (Alp-)Traumes greifbarer als heute: "Wir werden Maschinen mit Bewusstsein erleben", ist sich Kurzweil sicher, der davon ausgeht, dass beim andauernden exponentiellen Wachstum der Rechenkräfte spätestens 2060 die "Intelligenz" aller menschlichen Gehirne in einem einzigen Chip steckt. Bei diesen Berechnungen geht der Erfinder des elektronischen Keyboards von "konservativen Zahlen" aus, wie er immer wieder betont.
Die ganze Rechenpower bringt ohne intelligente Software allerdings nichts, sagt Kurzweil. Die will er beschaffen durch das "Reverse Engineering" und das "Scannen" von Vorgängen des menschlichen Gehirns. Dank Moore's Law hat er genau ausgerechnet, wann Nanobots erstmals so klein sein werden, dass sie mit dem Blutfluss ihre Entdeckungsreise durchs Gehirn antreten können: Im Jahr 2029 soll es soweit sein. Danach wird es Kurzweils Meinung nach nicht nur möglich sein, mit Hilfe der Mini-Bots gezielt Hirnregionen zu stimulieren und so eine perfekte Virtuelle Realität "von innen" zu schaffen.
Wichtiger ist es für Kurzweils missionarisch angehauchtes Projekt, die im Kopf des Menschen ablaufenden komplexen Informationsverbindungen "viel detaillierter" zu verstehen als heute: "Wir werden diese Algorithmen emulieren können", lässt der Forscher keinen Zweifel an den neuen, vom Mensch gesteuerten Evolutionsschritten. Am Ende dieser Entwicklung sieht Kurzweil allerdings nicht Maschinenmonster, die den Menschen ersetzen. Vielmehr würde die Durchsichtigkeit des Gehirns dabei helfen, die menschliche Intelligenz zu vergrößern. Dem Visionär schweben etwa Applikationen vor, in denen sich das Vermögen, eine fremde Sprache zu sprechen, auf einen Chip herunter laden und in ein anderes Gehirn einsetzen lässt.
Robocops zur Kontrolle der intelligenten Roboter
Weniger "humanistisch" sind die Darlegungen von Hans Moravec, dem Leiter des "Mobile Robot Lab" an der Carnegie Mellon University. Er gibt zwar zu, dass die jahrelange Roboterforschung bisher nicht einmal Wesen hervorgebracht hat, die mit dem Denkvermögen eines "kleinen Fisches" ausgestattet sind. Doch der Durchbruch sei nun endlich zum Greifen nahe (Die Evolution postbiologischen Lebens).
Fast schon konkrete Formen nimmt der Staubsaug-Roboter an, der noch vor 2010 die letzten noch verbliebenen Hausmädchen ersetzen soll. "Sein erster Instinkt wird sein, das Haus zu erforschen und eine dreidimensionale Karte davon zu zeichnen", gibt Moravec Einblicke in das Innenleben des praktischen und Geräts. Auch die Lebensgewohnheiten der Bewohner werde der wegen seiner Rüsselschnauze an eine Mischung aus niedlichem Schoßhund und Ameisenbär erinnernde Staubschlucker zu verstehen versuchen, um seiner Drecksarbeit möglichst dann nachzugehen, wenn keiner im Haus sei. Ausgerüstet sei der sicher ein Marktrenner werdende Roboter mit einem auf der nach oben offenen Intelligenzpower-Skala 1000 "Mips" erreichenden Rechnergehirn. Mips ist die für Moravec über Sein oder Nicht-Sein der Roboter entscheidende Einheit (Millionen Operationen pro Sekunde).
Der nächste Schritt bringt laut Moravec den universell in Haus und Hof verwendbaren "Nutzroboter". 3000 Mips sollen ihn so schnell und schlau machen wie eine Eidechse. Es folge die auf der "Maus-Stufe" stehende zweite Generation, die begrenzt lernfähig sei. Weiter gehe es mit einem Robot, der die physikalische Umwelt bereits imitieren und auch kulturell verstehe. Vorläufiges Ende der Roboterentwicklung, die Moravec vorhersehen mag, sind Maschinen, die Symbole deuten und auf ihr Eigenleben beziehen, sich in Menschen hinein versetzen können. Für mehr als zum Small-Talk reiche das aber nicht. Von der Welt außerhalb des Hausbereichs würden zudem auch diese Roboter einfach gar nichts verstehen.
Intelligenzbestien scheinen daher auch die für die nächste Jahrhundertwende von Moravec "phantasierten" Robots noch nicht zu sein. Da ist es verwunderlich, dass sich der Freak trotzdem Sorgen darum macht, was passieren könnte, wenn "Roboter zufällig seltsame Ideen entwickeln". Den Amoklauf verhindern sollen - wie könnte es anders sein - Robocops, die für die Selbstkontrolle des Systems sorgen. Generell würden die Maschinenmenschen allerdings so programmiert, dass sie ihre Eigentümer beschützen und sich sogar selbst aufopfern. Das sei allein schon für ihren Markterfolg nötig, da solche Modelle von ihren Besitzern natürlich weiter empfohlen würden.
Automate, innovate, and/or evaporate
Beruhigen können diese Aussichten Bill Joy allerdings nicht. Der Mitbegründer von Sun Microsystems, der selbst auch dank seiner Haushaltsgeräte mit Plug-and-Play-Fähigkeiten ausrüstenden Jini-Software Computergeschichte geschrieben hat, hat mit seinem Wired-Artikel unwiderruflich eine neue Karriere als Warner in der Techno-Wüste eingeschlagen. Prinzipiell sei er zwar ein Optimist, was die ihn selbst längst zum Millionär hat werden lassende Computerentwicklung anbelange. Doch die Geschichten vom unglaublichem Reichtum im Silicon Valley und die Weltverbesserungstheorien höre man ja bereits täglich. Also wolle er etwas Wasser in den überall von den Medien ausgeschenkten Wein gießen und die "unangenehmen Dinge" aussprechen.
Die umschreibt Joy mit den Schlagwörtern Gen- und Nanotechnologie sowie Robotik. Diese Entwicklungen sind für den Softwareprogrammierer gleichbedeutend mit dem Arsenal der Massenvernichtungswaffen des 20. Jahrhunderts. Was ihre Sprengkraft aber noch verstärke, sei die Tatsache, dass sie nicht mehr auf materiellen Ressourcen, sondern nur noch auf reinem Wissen beruhten. Statt dem Militär sei zudem der kommerzielle Sektor in der Entwicklung dieser Bereiche führend. Die große - an die Angst der US-Politiker vor dem Cyberterrorismus erinnernde - Furcht, die Joy umtreibt, ist daher, dass in ihrer Gefährlichkeit noch gesteigerte (Waffen-)Technologien plötzlich für Jedermann verfügbar sind. 2030, ist sich der "Optimist" mit dem so fröhlich klingenden Namen sicher, würden diese Gefahren für die menschliche Rasse existenzielle Ausmaße annehmen.
Um die Bedrohung farbig auszumalen, liest Joy sogar aus einem Augenzeugenbericht vom Wüten der Pest im mittelalterlichen Athen vor. Wir hätten vergessen, dass der schwarze Tod in Kriegszeiten bewusst in Städte eingeschleppt worden sei, beschwört Joy die alte und eventuell neue Geschichte. Wenn die "Life Sciences" oder die Roboter erst einmal außer Kontrolle geraten würden, stehe uns viel Schlimmeres bevor. An die These der Apologeten dieser Technologien, wonach die Technik selbst auch Abwehrmittel zur Verfügung stelle, glaubt der Apokalyptiker nicht. Ein "Nanoschutzschild" könnte noch unvorhersagbarere Nebenfolgen haben wie das zu Recht eingestellte SDI-Projekt zur Abwehr von Nuklear-Raketen. Wie Joy bei Augustinus gelesen hat, sei auch die Wiederkunft Christi nicht sehr wahrscheinlich, da Gott der Evolution freien Lauf lasse. Auf die zur Rettung der Menschheit bestimmten Aliens glaubt der vom Programmierer zum Philosophen sich wandelnde Joy genauso wenig. Das einzige Hilfsmittel seiner Meinung nach: Die Finger von der Forschung an den umstrittenen "Zukunftstechnologien" lassen.
Auf derartige Forderungen sind die Forscher selbst natürlich spätestens seit der Erfindung des Dynamits vorbereitet. "Es ist unverzeihlich, potentiell Leben rettenden Technologien den Rücken zuzukehren", kontert Ralph Merkle, Pionier im Bereich der molekularen Nanotechnologie. In Diktaturen sei die Forschung eh nicht zu unterbinden. Glaubt man dem Computerwissenschaftler, wird die Nanotechnologie zahlreiche Produktionsparadigmen umwandeln. Merkle geht davon aus, dass Produkte in Zukunft nicht mehr in Fabriken zentral hergestellt werden, sondern unmittelbar in den Haushalten selbst. Dabei helfen sollen Fertigungsstationen, in denen sich Produkte gleichsam auf ihrer atomaren Ebene selbst vervielfältigen. Die Fähigkeit zur "Selbstreplikation" sei allerdings auf diese Produktionssysteme beschränkt. Die Endprodukte selbst trügen diese Eigenschaft nicht mehr in sich, so dass sie kein ungewolltes Eigenleben entfalten, sondern einfach wie gewohnt verbraucht würden.
Die Ängste Joys wischte auch Moravec rasch mit dem Argument fort, dass es sich dabei um eine allgemein Angst vor dem Wandel handle: "Wir ändern uns aber unausweichlich, wir können nicht immer in der Wiege leben." Statt Steinblöcke auszulegen, gehe es eher darum, die neuen Möglichkeiten bewusst durchzugehen und die gewollten Szenarien auszuwählen. Auf die Entwicklung der menschlichen Rasse bezieht der aus Österreich stammende Forscher daher einen Sinnspruch, der in Japan in den 1980ern die Runde machte: "Automate, innovate, or evaporate."
Moorsches Gesetz trifft nicht für die Entwicklung von Software zu
Was die baldige Entwicklung von Intelligenz in Maschinen betrifft, so kamen die fundiertesten Einwände gegen die Extrapolationen von Kurzweil und Moravec vor allem aus der Ecke des genetischen Programmierens, einer der jüngeren Richtungen im sich immer weiter ausdifferenzierenden Feld der Künstlichen Intelligenz. Algorithmen, die sich am Funktionieren des Zehntausende Kontakte gleichzeitig verarbeitenden Zentralen Nervensystems (ZNS) orientieren, sieht zumindest John Holland von der University of Michigan in den nächsten 100 Jahren keineswegs ihre Dienste in Computern verrichten. Der KI-Pionier verweist darauf, wie das Gehirn mit visuellen Informationseingaben umgeht: Gesteuert vom ZNS würden dabei winzig kleine Schnappschüsse aufgenommen, die so genannten Sakkaden. "Wir haben keine Ahnung, wie man das mit Computern machen kann", gibt Holland zu. Die Mustererkennung hänge von dieser Fähigkeit aber sehr stark ab. Was der KI nach wie vor fehle sei eine relevante Theorie, mit der diese Forschungsprobleme überhaupt anzugehen seien. Außerdem folge die Entwicklung im Bereich der Software bekanntlich keineswegs Moore's Law, was der dann doch noch zum Scherzen aufgelegte Bill Joy allerdings nur teilweise bestätigen mochte: "Die Größe der Applikationen verdoppelt sich alle 18 Monate. Die Leistungsfähigkeit stagniert."
Allein das ständige Wachstum der Computerpower könne noch lange kein Bewusstsein im Silizium wecken, glaubt auch John Koza, der Erfinder des genetischen Programmierens. Die 3000 Mips, die Moravec seinen Roboterkindern der zweiten Generation zuspricht, entsprächen vielleicht den Fähigkeiten einer einzelnen Zelle im Gehirn einer Eidechse. Mit Hilfe von 1000 parallel geschalteten 350-Megahertz-Prozessoren sei es zwar heute schon möglich, die rund 30 "Hirnsekunden" entsprechende Rechenkraft zu erzeugen. Computer könnten definitiv auch Aufgaben erledigen, in denen sie mit dem Menschen konkurrieren. Sie würden das aber auf eine ganz andere Weise tun als die der Biologie verhaftete Menschen.
Ob oder wann Maschinen wirklich Menschen ähnliche Intelligenz und damit am Besten auch gleich noch Ethik und Moral entwickeln, ist selbst unter KI-Forschern also noch keineswegs entschieden. Douglas Hofstadter beendete die Diskussion daher mit einer Weisheit Albert Einsteins: "Das Vorhersagen ist nicht einfach, besonders, wenn es die Zukunft anbelangt."