Wessen Morgen ist der Morgen?

Seite 4: Geteilte Waren

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Die totale Freiwilligkeit von Spenden gilt vielen als problematisch, bei freier Software ist sie aber kaum vermeidbar. Das Shareware-Modell, das zu DOS-Zeiten seinen Höhepunkt erlebte, funktioniert etwas anders. Die Association of Shareware Professionals( ASP) definiert Shareware so: "Ein Shareware-Programm ist genau wie jedes andere Programm, das man in Geschäften, über Kataloge oder sonstwie kauft, mit dem Unterschied, dass Sie es benutzen können, bevor Sie es bezahlen."

Teilweise wird eine Probezeit durch das Programm forciert (Trial-Ware), teilweise wird mit sogenannten Nag-Screens, regelmäßig auftauchenden Erinnerungen, auf die Bezahlung (Registrierung) verwiesen (Nagware), teilweise sind die Programme in ihrer Funktionalität eingeschränkt (Crippleware), und manche Shareware baut allein auf das schlechte Gewissen oder den Altruismus der Nutzer.

Prinzipiell kann der Nutzer nach der Installation eines Shareware-Programms vier Dinge tun: Er kann das Programm registrieren lassen, es unter Missachtung etwaiger nichtforcierter zeitlicher Verbotsklauseln ("Sie dürfen das Programm 30 Tage testen, aber es deaktiviert sich danach nicht selbst") weiter benutzen, einen sog. Crack besorgen, der das Programm in eine Vollversion verwandelt, oder das Programm löschen.

Viele eher banale Shareware-Programme verlangen recht stattliche Preise (man blättere ein wenig bei Tucows), in diesem Fall ist die Reaktion der Nutzer natürlich ablehnend. Ingesamt kann das System jedoch auf jahrelangen Erfolg zurückblicken. Das sollte Kritiker der "Geschenkeökonomie" überraschen, denn während man bei kommerziellen Software-Paketen oft lange suchen muss, bis man im Netz das entsprechende Programm als "Raubkopie" gefunden hat, gestaltet sich das Finden von Cracks und Seriennummern zur Freischaltung von Shareware trivial (wenn sie denn überhaupt einer Freischaltung bedarf). Es existieren z.B. in Form des Paketes "OSCAR" der Crackergruppe "Phrozen Crew" gigantische Sammlungen von Seriennummern, mit denen Tausende Shareware-Programme in unterschiedlichen Versionen freigeschaltet werden können. Natürlich erfreuen sich diese Pakete großer Beliebtheit, aber ob die Nutzer der Cracks ohne sie die entsprechenden Programme registriert hätten, ist fraglich. Auf der anderen Seite registrieren manche Nutzer nach eigenen Angaben Software, obwohl sie Cracks jederzeit finden könnten - um die Entwicklung des Programms zu unterstützen. In einer solchen Situation entspricht das Shareware-Modell im Kern wieder dem Spenden-Modell, wobei noch der Faktor Illegalität hinzukommt, der aber erstens keinesfalls unumstritten ist und zweitens z.B. bei MP3s wenig Wirkung zeigt.

Neben dem klassischen Shareware-Verfahren gibt es noch verschiedene Abwandlungen, die teils auf Freiwilligkeit und teils auf Zwang setzen. Manche Programme fordern den Nutzer zum Verschicken einer Postkarte auf, andere Entwickler erhoffen sich Geschenke aller Art (Giftware), in manchen Fällen (z.B. beim freien Windows-Email-Client Pegasus Mail) wird Dokumentation oder anderer Mehrwert separat vom Programm verkauft.

Heutzutage werden Shareware-Programme zunehmend zu Adware, d.h. die Software enthält Werbebanner oder regelrechte "Werbetrojaner", kleine mitgelieferte Programme, die das Nutzerverhalten ausspähen oder auf andere Weise Ärger verursachen. Adware (in invasiven Varianten auch Spyware genannt) wurde erst durch die Massenverbreitung des Internet möglich. Werbetrojaner sind auf Open-Source-Software kaum anwendbar, da sie völlig legal entefernt werden können, dennoch enthält z.B. der Gnutella-Client LimeWire, der unter der GPL entwickelt wird, in der auf der offiziellen Website angebotenen Binärversion Spyware.

Open-Source-Business

In der Open-Source-Welt sind andere Geschäftsmodelle gefragt. Neben Spenden ist ein besonders beliebtes Verfahren das sogenannte "Dual Licensing", also die gleichzeitige Lizenzierung eines Programmes unter einer GPL-ähnlichen Lizenz, die eine Weitergabe proprietärer Versionen eines Programmes ausschließt, sowie einer zweiten kommerziellen Lizenz, die erworben werden muss und die Verwendung des Codes auch in proprietärer Software erlaubt. Dieses Verfahren findet vor allem bei Programmbibliotheken Verwendung, populärstes Beispiel ist Trolltechs Qt-Bibliothek (vgl. Konkurrenz der Systeme). Das freie Datenbankmodul BerkeleyDB steht ebenfalls unter einer doppelten Lizenz, was sich laut den beteiligten Entwicklern durchaus rentiert hat (vgl. Interview). Dual Licensing gestattet einer Firma, die Vorteile freier Software in Form von externer Weiterentwicklung und großer Verbreitung zu genießen und gleichzeitig auf konservative Weise mit der Software Geld zu verdienen.

Unbekannt ist, wieviel Software unter freien Lizenzen entwickelt wird, ohne sie zu veröffentlichen. Dies ist keineswegs abwegig, denn daraus ergeben sich für Software-Entwickler und Abnehmerfirmen oft eindeutige Vorteile: Die Copyright-Situation ist klar geregelt, beide Parteien können die Software auch in Zukunft unabhängig voneinander nutzen. Manch ein still und heimlich entwickeltes Paket könnte eines Tages den Weg in die Free-Software-Welt finden, wenn die Auftragsfirma es veröffentlicht.

Große Linux-Unternehmen wie Red Hat bemühen sich natürlich auch darum, mit dem Support von Linux und dazugehöriger Software Geld zu verdienen, und dank einer entsprechenden kürzlich eingegangenen Partnerschaft mit IBM dürfte dieses Modell für Red Hat die Haupt-Existenzgrundlage bilden. Bei von und für Privatpersonen entwickelter Software dürfte auf diesem Weg kaum ein akzeptabler Stundensatz erwirtschaftbar sein, auch wenn in Einzelfällen direkter Support am laufenden Programm über das Netz geleistet werden und mancher Teenager sich so einen schönen Nebenverdienst schaffen könnte.

Open-Source-Websites arbeiten häufig mit Standard-Werbebannern, die jedoch kaum noch zur Kostendeckung ausreichen. Immerhin sind die Werbebanner z.B. bei Slashdot wenigstens sehr zielgenau (IT-Services und typische Geek-Toys wie MP3-Player stehen im Vordergrund). Auch andere Modelle wären denkbar, z.B. die kostenlose Vergabe von Werbeplatz an Anbieter, die im Gegenzug für alle über die Werbung abgewickelten Verkäufe Provisionen abführen (das bekannte Referrer-Modell, wie das von Amazon.com & Co. bekannte Referrer-Modell, nur in umgekehrter Variante). Dabei könnte ein Algorithmus automatisch solche Werbung am häufigsten zeigen, die am ehesten zu Provisionseinnahmen führt. Sogenannte "Text-Ads" finden immer mehr Verbreitung, das sind einfache Links, die jeder für einen relativ geringen Betrag (meist über Paypal bezahlt) an prominenter Stelle auf einer Homepage für eine bestimmte Zahl von Page Impressions setzen lassen kann. Popularisiert wurden sie durch das kollaborative Weblog Metafilter.

Weitere Geschäftsmodelle wie das in Teil 5 vorgestellte Abo-Modell von Transgaming existieren, finden aber derzeit noch keine weite Verbreitung. Es zeigt sich vor allem eines: Der entsehende Free-Software-Markt ist nur in Randbereichen ein Markt, der große Firmen begünstigt. Support, Consulting und Abwicklung von Online-Payments werden solche Randbereiche sein. Die eigentliche Entwicklung von Software ist jedoch meist Sache kleiner Teams oder gar von Einzelpersonen, und mit den entsprechenden technischen Verfahren ist auch eine faire Bezahlung dieser Personen möglich, sei es gezielt für die Entwicklung bestimmter Funktionen, sei es als freiwillige Spende.

Ein erster Ansatz in eine völlig andere Richtung ist das Projekt freedevelopers.net, das es sich zum Ziel gesetzt hat, eine "demokratische Firma" zu gründen, die freie Software verkauft und die Erlöse in gerechte Entwicklerlöhne umwandelt, die in allen Ländern gleich hoch sein sollen. Mit heftiger, vom GNU-Projekt abgeleiteter Rhetorik fordert das Projekt zum Kampf gegen proprietäre Software auf. Bezahlt werden soll die Software durch Regierungen, denn Software sei öffentliche Infrastruktur wie Straßen und Abwassersysteme. Wie ernst zu nehmen das Unterfangen ist, lässt sich schwer sagen, Projektleiter Tony Stanco spricht von bereits 450 Entwicklern, die interessiert seien, doch solche unbestätigten Zahlen sind stets mit Vorsicht zu genießen.

Fazit

Die wachsende Fragmentierung von Open-Source-Lösungen erfordert neue technische Herangehensweisen. Abstimmungsverfahren sind notwendig, damit Vereinheitlichung erreicht werden kann. Dabei wird man unter Umständen Abschied von lieb gewonnenen Tools wie Mailing-Listen oder Newsgroups nehmen müssen. Für die Auswahl von Vorschlägen und Bug-Meldungen durch die Entwickler, aber auch für die Suche nach interessanten Programmen durch potentielle Nutzer ist es notwendig, ein "Meinungs-Netzwerk" aufzubauen, mit dem sowohl relevante Meinungsmacher als auch deren Bewertungen schnell lokalisiert werden können. Die direkte Verknüpfung eines solchen Netzwerks mit Abstimmungs-Systemen und neuen elektronischen Bezahlverfahren liegt nahe, wobei elektronische Münzen aufgrund ihrer Anonymität, dezentralen Speicherung und Sicherheit auch in Zukunft technologisch attraktiv bleiben. Um Nutzer stärker in die Bearbeitung von weniger technischen Projektdokumenten einzubeziehen, sollten grafische Editoren umfassende Versionsmanagement-Funktionen erhalten.

Als Geschäftsmodell für freie Software eignen sich, wie kaum anders zu erwarten, vor allem freiwillige Modelle, doch wer proprietäre Software nicht wie Richard Stallman völlig verdammt, für den tun sich weitere kommerzielle Verwertungsmöglichkeiten auf. Unumstritten ist, dass freie Software noch für einige Zeit mit proprietärer Software koexistieren wird.

Die Entwicklung von Tools, die das Netz langfristig seiner Urvision Xanadu annähern, wird in Kombination mit den genannten neuen Verfahren zur Bewertung von Inhalten auch in anderen Bereichen von großer Relevanz sein. Sichere demokratische Abstimmungssysteme können zur Diskussion politischer Vorschläge verwendet werden, wobei direkt integrierte Bezahlungsverfahren auch die praktische Umsetzung dieser Vorschläge erleichtern. Wenn Tausende oder gar Millionen von Menschen sich schnell und einfach organisieren und ihre nicht unbeträchtliche geballte finanzielle Macht einsetzen können, ergibt sich ein riesiges Feld neuer politischer Möglichkeiten. Relevante Informationen werden durch kollaborative Auswahl-Systeme schneller denn je verbreitet, und dank entsprechender Payment-Verfahren bleiben sie nicht unverarbeitet. Gerade bei einer Umsetzung in dezentraler Form wird Zensur schwierig, wenn nicht unmöglich.

Neue Risiken tun sich auf: Die gleiche schnelle Organisation und Verbreitung von womöglich anonymen Geldmitteln kann auch von Terrorgruppen genutzt werden. Doch in einem offenen Netz kann die Mehrheit der Benutzer den moralischen Konsens vorgeben, so dass sich Kriminelle in entsprechende Nischen zurückziehen müssen, wo sie auch heute nur schwer überwacht werden können.

Linux und freie Software stehen an einem kritischen Scheidepunkt. Die Qualität vieler wichtiger Programme wird weiter zunehmen, doch Zersplitterung und rechtliche Schritte z.B. aufgrund von Patenten bedrohen die Utopie. Die Free-Software-Bewegung muss also Motor von Technologien werden, die letztlich von breiter gesellschaftlicher Bedeutung sind.

Die Protagonisten des Movement stehen teilweise wie gelähmt vor dem Erfolg ihres Tuns, noch immer ein wenig ungläubig und unschlüssig über die nächsten Schritte. Fast jede Weltsicht ist bei den diversen Evangelisten zu finden, und damit erinnert die Bewegung tatsächlich ein wenig an die Lutherische Reformation. Auch das Magazin Salon verglich Linus Torvalds folglich mit Martin Luther, kein Superheld, wie man ihn nur in Comic-Heften findet, sondern ein wichtiger Mann mit vielen Fehlern. Anders als Luther ist Torvalds politisch zögerlich und wirkt (wenn man nicht seine deftigen Kommentare in technischen Foren liest) fast ein wenig schüchtern, doch auch er unterstützt bestehende Machtstrukturen, wenn er z.B. der Musikindustrie in der Napster-Frage Recht gibt. Manche Evangelisten wie Eric Raymond sind regelrecht reaktionär, andere wie Richard Stallman so dogmatisch, dass sie nur noch auf taube Ohren stoßen.

Es ist also eine Reformation, die zu beobachten ist, keine Revolution, eine Bewegung, die mittelfristig eine erhebliche Verbesserung der Situation verspricht, aber die keinesfalls unnötig glorifiziert werden sollte, damit nicht ihre Fehler zu den Problemen werden, die die nächste oder übernächste Generation lösen muss.

Linux ausprobieren

Wer auf den Geschmack gekommen ist, kann eine der erwähnten Linux-Distributionen bestellen, entweder im Original beim Distributor oder als gebrannte CD bei www.liniso.de (bei www.linuxiso.org kann man die Images zum Selber-Brennen herunterladen). Empfehlenswert ist auch das Demo-Linux Knoppix, eine Eigenentwicklung des Diplom-Ingenieurs Klaus Knopper. Es läuft vollständig von der CD und erlaubt das sofortige Erforschen des Linux-Desktops samt Anwendungen, ohne jede Installation.