Westsahara: "Neokoloniale Wende in der deutschen Außenpolitik"

Seite 2: Die ausweichende Haltung der Bundesregierung

Insgesamt kann in allen Antworten auf die Fragen eine ausweichende Haltung festgestellt werden. Dagdelen hatte unter anderem gefragt:

"Hat die Bundesregierung Kenntnisse, dass die völkerrechtswidrige Besetzung der Westsahara nur durch Androhung bzw. Anwendung von Gewalt aufrechterhalten wird?"

Darauf wird lapidar geantwortet:

"Die Bundesregierung hat keine Kenntnisse im Sinne der Fragestellung."

Dabei ist allseits bekannt, dass massive Gewalt des marokkanischen Militärs sogar in der entmilitarisierten Zone letztlich mit vielen weiteren Provokationen zum Ende des Waffenstillstandsabkommens geführt hatte.

Mit Drohnen werden auch Unbeteiligte von Marokko ermordet. Mit brutalster Gewalt hatten zum Beispiel marokkanische Sicherheitskräfte ein Protest-Zeltlager der Saharauis geräumt.

Im Juni führte dann das extrem brutale Vorgehen marokkanischer Sicherheitskräfte an der Grenze zur spanischen Exklave Melilla zu mindestens 40 Toten vor laufenden Kameras.

Man kann sich angesichts der brutalen Bilder an der Grenze ausmalen, was in den besetzten Gebieten passiert, zu denen Journalisten keinen Zugang erhalten. Sogar Parlamentariern aus ganz Europa wird immer wieder der Zugang von Marokko zu den besetzten Gebieten verwehrt.

Es würde aber ein Blick auf die Webseiten von Menschenrechtsorganisation reichen, um "Kenntnisse" über massive Gewaltanwendung in der Westsahara zu erhalten, so etwa bei Amnesty International.

Bei Human Rights Watch (HRW) ist zu lesen, dass Marokko "weiterhin hart gegen Journalisten, Aktivisten, Kommentatoren in sozialen Medien" vorgehe:

"In der Westsahara verfolgen die marokkanischen Behörden weiterhin Aktivisten, die sich für die Selbstbestimmung der Saharauis einsetzen."

Verwiesen wird auch darauf, dass 19 Aktivisten aus dem brutal geräumten Protest-Zeltlager "in unfairen Verfahren" zu lebenslänglichen Strafen oder zu Haftstrafen zwischen 20 und 30 Jahren verurteilt wurden. Das geschah angeblich auf Basis von "Folter" und "gefälschten Geständnissen".

Keine Kenntnisse über brutale Gewalt, weil man sie nicht haben will?

Die Bundesregierung hat nur deshalb keine Kenntnisse über die brutale Gewalt der Besatzungsmacht Marokko, weil es sie nicht haben will. In der Westsahara werden die Doppelstandards und das "Geschwätz" über die angeblich "wertgeleitete Außenpolitik" von Baerbock auf den Punkt gebracht.

So machte auch Noam Chomsky, der bekannte emeritierte US-Professor und einer bekanntesten linken Intellektuellen aus den USA, in Bezug auf den Ukraine-Krieg auf das heuchlerische Vorgehen des Westens in anderen Regionen aufmerksam. Der Westen verurteile zwar "berechtigterweise Putins Annexionen", heiße aber die "illegale Annexion der syrischen Golanhöhen und Groß-Jerusalems sowie Marokkos illegale Annexion der Westsahara" gut.

Gegenüber Telepolis erklärt deshalb auch die Obfrau der Linken Dagdelen:

Während man die Menschenrechte im Mund führt, sind es offenbar allein zynische Machtinteressen auf deren Altar man die Menschen in der Westsahara und das Schicksal der Flüchtlinge in Tindouf opfert, indem man sich nun einseitig auf die Seite des marokkanischen Königshauses stellt und so die bisherigen Positionen der Bundesregierung aufgibt.

Sevim Dagdelen

Was im Hintergrund der deutschen Außenpolitik auch in der Westsahara steht, sind keine angeblichen westliche Werte oder Menschenrechte.

Sowohl in den Antworten auf die Linken-Anfrage als auch in den Ausführungen von Baerbock nach ihrem Marokko Besuch wird deutlich, dass tatsächlich andere Punkte wichtig sind.