"Wichtig, dass Kritik wieder den breiten medialen Raum füllt"
Ulrike Guérot über Panik-Politik, die Corona-Pandemie und darüber, was Kritik mit Wasser gemein hat (Teil 1)
Frau Guérot, auf 140 Seiten rechnen Sie in Ihrem Essay "Wer schweigt, stimmt zu", das kann man schon so sagen, mit zwei Jahren Corona-Politik, also Krisenmanagement ab. Immer wieder geht es Ihnen dabei um den Gesellschaftsvertrag, die Frage also, wie wir miteinander leben wollen und auch wie wir darüber sprechen und das Zusammenleben aushandeln.
Wenn wir uns den öffentlichen Raum ansehen: Wie unterscheidet sich dieser Raum jetzt, im März 2022 von dem öffentlichen Raum Anfang März 2020, bevor die Weltgesundheitsorganisation die Pandemie ausrief. Wie hat sich dieser öffentliche Raum und der Bezug des Individuums zu ihm verändert?
Ulrike Guérot: Ich würde inzwischen tatsächlich von zwei getrennten öffentlichen Räumen sprechen. Auf der einen Seite ein leitmedialer öffentlicher Raum – öffentlich-rechtliche Medien plus die großen Zeitungen, etwa die Süddeutsche Zeitung oder der Spiegel. Dem gegenübersteht ein Raum alternativer Online-Medien bis hin zu Podcasts und Plattformen wie Youtube. Diese Medien hat es vorher schon gegeben, sie haben aber definitiv mit Beginn und Fortschreiten der Coronapandemie einen starken Auftrieb bekommen.
Insofern habe ich über die Auseinandersetzung mit der Coronakrise, von der mein Buch ja eigentlich handelt, festgestellt, dass sich eine völlige Spaltung und Polarisierung der öffentlichen oder medialen Welt vollzogen hat. Dass die eine Gruppe der Bürger das eine gelesen hat und ein anderer Teil der Bürger etwas ganz anderes.
Ideologisch-mediale Sphären gab es aber doch auch zuvor. Was ist neu?
Ulrike Guérot: Dass in der Pandemie Glaubenssätze geschrieben, Glaubensgebäude erzeugt worden. Diese beiden Räume haben sich voneinander abgetrennt. Der Grund dafür ist, dass zu Beginn der Krise, so argumentiere ich in meinem Buch, die legitime Kritik an den Maßnahmen und dem Geschehen sowie seinen Folgen kaum mehr möglich war.
Kritik aber wandert wie Wasser immer dahin, wo es gehen kann. Deswegen ist die Kritik an dem Zeitgeschehen in der Pandemie halt in einen anderen medialen Raum abgewandert. Und zwischen diesen beiden Räumen gab es einen tiefen Graben.
Und es gab schwere Vorwürfe. Die einen sprachen von der Lücken- bis Lügenpresse, die anderen von den Verschwörung- und Schwurbelmedien. Gab und gibt es in der Krisensituation einen seriösen und unseriösen Raum?
Ulrike Guérot: So wurde das dann ja dargestellt: Dass es sozusagen die richtigen Medien gibt, die die Wahrheit haben. Daneben gibt es die sogenannten alternativen Medien, die man auch oppositionelle Medien nennen könnte, die Fakenews haben.
In einer ersten Reaktion auf diese Teilung der medialen Welten wurde die legitime Kritik, nachdem sie in den alternativen Raum abgewandert ist, gebrandmarkt. Das heißt, das, was wir in diesem Prozess der Teilung übersehen haben, ist, dass der Hermeneutik- oder Demokratiediskurs – zentral ist hier Habermas‘ Faktizität und Geltung, der herrschaftsfreie Diskurs – immer nur funktionieren kann, wenn man Sprecher und Argumente trennt. Aus dem richtigen Mund kann das falsche kommen und aus dem falschen Mund das Richtige.
Daher muss es immer um Argumente gehen, um den Inhalt, nicht um den Mund und das Medium.
In dem Moment, wo man – und das war vor allem in der Coronakrise so – sagt, dieses oder jenes kommt aber aus diesem Medium und deswegen ist es pfui oder rechts oder schwurbelig, wie auch immer, konnte man sich mit einem Schmähverweis auf das Medium der Auseinandersetzung mit den Argumenten entziehen. Mit dem Verweis auf den Mund war das Argument nichts mehr wert.
Insofern hat da auch keine Diskussion mehr stattgefunden, weil der leitmediale Raum dann alles, was nicht in ihm stattfand, ausgrenzen konnte, ohne sich um die Argumente zu kümmern, die vorgebracht wurden. Einfach mit dem Verweis: Das ist ein alternatives Medium, das sind Fakenews!
Und auf einmal war das keine Debatte mehr, sondern die Ausgrenzung einer Debatte. Ein Herrschaftsdiskurs, der einen Minderheitendiskurs ausgrenzt, statt ihm argumentativ zu begegnen.
Ulrike Guérot:
Wer schweigt, stimmt zu
Über den Zustand unserer Zeit. Und darüber, wie wir leben wollen.
144 Seiten, Hardcover 16,00 €, eBook 12,99 €
Erschienen im Westend-Verlag
Sie fallen immer wieder in das Perfekt, in Vergangenheitsformen. Haben wir diese Entwicklungen überwunden oder wirken sie im dritten Pandemiejahr nach?
Ulrike Guérot: Das ist inzwischen durchaus besser geworden, seit dem Jahreswechsel 2021/2022 erleben wir so etwas wie eine Diskursschmelze zu Corona. Auch Kritik oder Hinterfragen ist wieder in einem größeren Maße erlaubt, weil auch ja die Probleme z.B. mit der Impfung immer deutlicher werden.
… einhergehend mit der Entspannung Pandemie-Situation.
Ulrike Guérot: Durchaus. Zuvor aber haben die alternativen Medien über die lange Strecke der Pandemie hinweg die Rolle des investigativen Journalismus übernommen.
Es gibt aber doch immer noch journalistische Standards und Arbeitsweisen, einen Doppelcheck von Fakten durch unabhängige Quellen etwa. Alternative Redaktionen haben mitunter gar nicht das Know-how oder die Ressourcen etablierter Medien, was ja auch keine Schande ist. Und dann gab es da noch krude Theorien von Mikrochips in Impfstoffen oder andere vermeintliche Enthüllungen, die nichts als Mumpitz waren.
Ulrike Guérot: Den Eindruck von Pauschalisierung möchte ich nicht erwecken, das war nicht meine Absicht. Es gibt aber, das muss man dazu sagen, keine Seite des Guten und keine des Bösen; es gab Überschwang auf beiden Seiten, anders formuliert: Die Heftigkeit der Ausgrenzung legitimer Kritik hat wohl erst das Ausmaß der Verschwörungsmythen bedingt. Wo nicht gefragt werden darf, steigt das Maß der Vermutungen, auch der absurdesten.
Der leitmediale Raum hat sich im Übrigen auch einem Überschwang auch hingegeben – nämlich mit Blick auf Vertuschungen – z.B. den Divi-Skandal – oder den unhinterfragten Umgang mit RKI-Daten und anderes. Und weil das so war, sind alternative Medien in die Bresche gesprungen, haben investigativen Journalismus betrieben, Fragen gestellt und Debatten geführt, für die in den Leitmedien kein Platz mehr war.
Zum Beispiel?
Ulrike Guérot: Bei der Debatte um Übersterblichkeit, wer als Coronatoter gezählt wird, was die Pathologen sagen oder mit Blick auf die Validität des PCR-Tests war das der Fall. In dem Moment, in dem das Misstrauen erst einmal geweckt war, gab es dann natürlich auch in alternativen Medien Überreaktionen, Fehlentwicklungen und tatsächlich Mumpitz. Es ist etwas anderes, auf Impffolgen hinzuweisen, als von Chips-Implantaten zu sprechen.
Man war aus Prinzip gegen die RKI-Zahlen, weil sie eben von RKI stammten.
Ulrike Guérot: Genau, aber "Bias", also ein bestimmtes Framing, auf die Dinge zu schauen, gab es eben beiderseits und das hatte viel mit Vertrauen oder Misstrauen zu tun. Nur im alternativmedialen Raum gab es Stimmen, die gesagt haben: Wir müssen mal Fragen stellen zu den Grundannahmen des Pandemie-Geschehens: z.B. den PCR-Tests, über die Pandemie-Definition der WHO oder den Abbau von Intensivbetten, während der Divi-Betten-Skandal eben keine Cover-Story z.B. im Spiegel war.
Man könnte von einer gewissen Reziprozität sprechen: in dem Moment, in dem der leitmediale Raum in eine Uniformität geglitten ist, und bestimmte Sachen zu zementieren hat, die doch sehr fragwürdig waren, hat eben auch der alternative Raum Themen und Ansichten zementiert oder weitergedreht, die ebenso fragwürdig waren.
Deswegen halte ich es für ungemein wichtig, dass die Leitmedien wieder ihre kritische Funktion erfüllen, dass niemand mehr vom Diskurs ausgegrenzt wird – so wie bei Corona einige Wissenschaftler von Anfang an von Talkshows ausgeschlossen wurden –, und dass wieder offen über alles diskutiert und die Pluralität wieder zugelassen wird.
Medien sollen also weniger leiten und mehr begleiten, verstehe ich Sie da richtig?
Ulrike Guérot: Die Frage ist doch, ob wir davon ausgehen, dass wir emanzipierte, mündige Bürger haben, die das, was obskur ist, von etwas, was nicht obskur ist, unterscheiden könnten. Wenn wir diese Frage bejahen, können wir im Grunde alles zulassen, dann sollen die Leute doch alles lesen von der Jungen Freiheit bis zur jungen Welt oder von der SZ bis Multipolar. Wenn alle Leute alles lesen und zu allem Zugang, werden sie sich schon ihre Meinung bilden.
Aber dieses vorherige Herausfischen und diese Haltung, dass dies Bürger dieses oder jenes nicht lesen dürfen oder hören, das ist kein Pluralismus und das ist de facto nicht mehr demokratisch, das macht man eher in autoritären Regimen. Eine Demokratie braucht keine Faktenchecker, sondern Artikelvielfalt.
In Ihrem Buch verbinden Sie diese Kritik an den Medien, mit einer Kritik der politischen Prozesse, die wir in den letzten zwei Jahren erlebt haben. Sie schreiben: "Machtstrukturen als Treiber vermeintlich notwendiger Coronamaßnahmen zu durchleuchten, ergibt daher viel mehr Sinn, als diese nach Verschwörungsmythen zu durchforsten". Doch genau das ist ja geschehen: Oft spielte die Kritik an den Maßnahmen eine größere Rolle als die Maßnahmen an sich. Wann hat sich dieser Prozess verselbstständigt und warum?
Ulrike Guérot: Es ging ja alles sehr schnell. Innerhalb von zwei Stunden wurde am 16. März 2020 ein Lockdown beschlossen und europaweit durchgeführt, als hätte man einem System den Wasserhahn abgedreht. Das fand ich sehr merkwürdig. Zwar gab es ein Virus, es gab Heinsberg, es gab Ischgl. Aber noch war es ein abstraktes Risiko und keine konkrete Bedrohung für jedermann. Man hätte also die einzelnen Regionen abriegeln können, statt ganz Europa dichtzumachen.
Aber die epidemiologische Bedrohung Nordrhein-Westfalen, Österreich und andernorts war doch konkret.
Ulrike Guérot: Man ändert aber nichts an den Infektionszahlen in Ischgl, wenn man die Grenze bei Salzburg dichtmacht. Man hat also umgehend zu drakonischen Maßnahmen gegriffen. Und meine Überlegung zu Beginn war: Überwinden wir jetzt die Coronakrise mit unserem System oder gegen und ohne das System?
Diese sofortige Ankündigung, dass wir jetzt eine derart schwerwiegende Krise haben, die alles rechtfertigt, inklusive die fast vollständige Abschaffung von Freiheit, das erschien mir zumindest außergewöhnlich, um es mal so zu formulieren.
Natürlich wusste im Sommer 2020 noch niemand, was wirklich los war. Aber ab dem Herbst 2020, da wussten wir ungefähr, was los ist, in den Krankenhäusern, wie die Infektionsraten sind, dass das Virus in Wellen kommt, welches die Risikogruppen sind, wie sich die Mortalität entwickelt und so weiter.
Bei der zweiten, dritten, vierten Welle, da hätte man also anders diskutieren und handeln müssen, jedenfalls nicht so übergriffig, schematisch und rigoros. Ob da die Maßnahmen nach dem immer gleichen Muster noch Sinn gemacht hat, stelle ich infrage. Denn es gab zu diesem Zeitpunkt ja schon viele Daten darüber, dass wir mit den Lockdowns die vulnerablen Gruppen de facto nicht geschützt, die Gesamtgesellschaft aber schwer gefährdet haben.
In der Tat haben sich Experten wie der Internist Matthias Schrappe und weitere Fachleute mit der Forderung nach spezifischem Schutz gefährdeter Gruppen nicht durchsetzen können. Warum, denken Sie, wurde dieser Schritt zurück nicht getan, warum gab es keine Neuausrichtung der Pandemiepolitik?
Ulrike Guérot: Im Sommer 2020 hatte mich das schon auch gewundert, denn damals hätte man ja abermals umsteuern und sagen können: Wir haben das jetzt mal ein Vierteljahr angeguckt und überlegen uns Alternativen.
Rückblickend denke ich, dass sich der politische Prozess damals schon verselbstständigt hat. Wahrscheinlich – zurück zu den Medien –, weil der mediale Diskurs damals, im Frühjahr und Sommer 2020, noch sehr verfestigt war und Kritik jenseits bestimmter Grenzen kaum zugelassen wurde. Große Teile des medialen Systems hatten sich auf eine bestimmte Lösung eingeschossen und propagierten Alternativlosigkeit. Außerdem war in geradezu verantwortungsloser Art und Weise Angst und Panik geschürt worden.
Es war von einer massiven Bedrohung für jedermann die Rede. Überall umschwirrten uns Bilder dieses Virus mit seinen rosaroten Spikes in einer Massivität und Art, die schon an Propaganda grenzte. Ein beunruhigendes Papier des Innenministeriums machte im März 2020 die Runde. Es war nicht die Stunde der Besonnenen. Wenn Angst aber erst einmal geschürt ist, dann ist das gesellschaftliche Leben verformt. Dafür bezahlen wir heute einen hohen Preis.