Widerstand gegen Terrorismus
Mit der Intervention des Hamburger Völkerrechtlers Norman Paech ist die Debatte um die Israelkritik des britisch-kanadischen Moralphilosophen Ted Honderich erneut entbrannt
Dass sein Beitrag zu Debatte recht spät kommt, erklärt der Völkerrechtler Norman Paech gleich zu Beginn seines offenen Briefes an Micha Brumlik, den Leiter des Fritz-Bauer-Institutes "zur Geschichte und Wirkung des Holocausts". Es habe ihn "einige Zeit und Mühe" gekostet, an das Buch "Nach dem Terror" des britischen Moralphilosophen Ted Honderich zu gelangen. Wen wundert es? Das Buch ist nach der Intervention im August aus dem Programm des Suhrkamp-Verlages gestrichen worden. Der Fall hat die Debatte um die Trennlinie zwischen Israelkritik und Antisemitismus wieder einmal entfacht (Antisemitischer Antizionismus im Sommerloch). Zur Klärung trägt sie bislang kaum bei.
Den Stein des Anstoßes hatten zwei Sätze aus Honderichs Buch gegeben, die Brumlik als "antisemitischen Zionismus" brandmarkte:
So wie die Dinge liegen, wurde der Zionismus von den Vereinten Nationen zu Recht als rassistisch verurteilt.
Ich für meinen Teil habe keinen ernsthaften Zweifel, um den prominenten Fall zu nehmen, dass die Palästinenser mit ihrem Terrorismus gegen Israel ein moralisches Recht ausgeübt haben.
Während Micha Brumlik sich bei solchen Aussagen "nur noch an den Kopf greifen" konnte und sie Jürgen Habermas "aufstöhnen lassen" - obschon er das Buch dem Suhrkamp-Verlag ursprünglich empfohlen hatte, um seine Position nach dem Brumlik-Brief zu revidieren -, kamen Norman Paech bei der Lektüre des Buches nun "immer mehr Zweifel, ob Sie (Brumlik) das Buch überhaupt ganz gelesen haben". Schließlich stelle Honderich sein Resümee in einen inhaltlichen und historischen Kontext. Und der lehre, dass mancher Terrorismus als eine Reaktion auf das, was andere strukturelle Gewalt nennen, gerechtfertigt werden könnte. Wie eben in Nordirland, Südafrika, oder, im weiteren historischen Abstand, die Vereinigten Staaten von Amerika selber.
Der Einsatz von Terrorismus, so man bei diesem Terminus bleiben möchte, ist gerade im Nahostkonflikt kein neues Phänomen. Mehr noch: Militärische Aktionen aus dem Untergrund, bei denen der Tod unbeteiligter Zivilisten billigend in Kauf genommen wurden, gehörten schon vor der Gründung des Staates Israel zum Repertoire der Interessengruppen, die sich auch heute gegenüberstehen.
Beispielhaft etwa war das Geschehen am 22. Juli 1946, als sich in den frühen Morgenstunden ein Kommando der hebräischen Untergrundbewegung Etzel in einer Schule in Jerusalem traf. Das Ziel des siebenköpfigen Kommandos unter der Führung des späteren israelischen Ministerpräsidenten Menachim Begin war das Hotel "King David", in das sie, als arabische Zivilisten und Hotelangestellte verkleidet, mehrere hundert Kilogramm Sprengstoff einschleusten. Mit dem Anschlag sollte der britischen Mandatsverwaltung ein Schlag zugefügt werden. Es starben 91 Menschen: 28 Briten, 41 Araber, 17 Juden und 5 andere. Zwar spaltete der Anschlag den hebräischen Untergrund. Doch wirft die Gegenüberstellung der damaligen Arbeitsmethoden später führender israelischer Politiker mit denen heute operierender palästinensischer Organisationen die Frage nach dem Recht auf Widerstand auf - so wie er in den siebziger Jahren von den UN legitimiert wurde.
Für Paech bestehen an diesem Punkt wenig Zweifel, dass mit dieser Definition auch der bewaffnete Kampf der PLO anerkannt wurde. Jedoch - und hier liegt der eigentliche Kern der Debatte - wurde Gewalt gegen die Zivilbevölkerung und zivile Einrichtungen dabei ausgeschlossen.
Obwohl Honderich den "Terrorismus für Humanität" rundheraus ablehnt, da es "in unserer heutigen Welt keine vernünftige Hoffnung für den Terrorismus im Namen der Menschlichkeit" gibt, rächt sich hier seine begriffliche Unschärfe, indem er zwei so unterschiedliche Kategorien wie Moral und Recht im "moralischen Recht" aufweicht und den völkerrechtlich legalen Befreiungskampf mit dem illegalen Terrorismus zum "Befreiungsterrorismus" koppelt.
Norman Paech
Eben darin liege das zentrale Problem der Moralphilosophie von Honderich. Terror sei niemals zu legitimieren, "aber er ist streng vom legalen Befreiungskampf zu trennen". Im Gespräch mit Telepolis nahm nun Honderich selber Stellung. Abgesehen davon, dass moralische Wertungen der Rechtsprechung immer zugrunde lägen, "wurden und werden in jedem Krieg Zivilisten getötet".
Heutzutage heißt das dann "Kollateralschaden", wenn Zivilisten den Tod finden. Und kein US-Amerikaner wird US-Amerikanern etwa verbieten, in den Krieg zu ziehen, weil diese Menschen sterben werden. Sie tun dies im vollen Wissen dieser Konsequenz und stützen sich auf gesellschaftliche Akzeptanz.
Ted Honderich
Jeder stimme darin überein, dass palästinensische Aktivisten keine israelischen Kinder töten dürfen, so Honderich. "Aber schließt das Aktionen ein, bei denen der Tod von Kindern in Kauf genommen wird?", fragt der Philosoph und greift damit die Idee eines "schwachen Terrors" des deutschen Kollegen Georg Meggle auf (Ted, glaubst du wirklich ....). Auch die israelische Armee schließt bei ihren Einsätzen den Tod von Frauen, Kindern und alten Menschen nicht aus, argumentiert Honderich und verweist auf die jüngst entbrannte Kontroverse in der israelischen Armee um die Legitimität solcher Einsätze.
All dies, das sage ich wiederholt, rechtfertigt in keinem Fall das vorsätzliche Töten von Kindern, von Frauen oder von irgendwelchen Zivilisten.
Ted Honderich
Was bleibt am Ende also von den ursprünglichen Vorwürfen? In seiner Antwort verurteilt Micha Brumlik "selbstverständlich" die Ermordung vermeintlicher palästinensischer Attentäter durch die israelische Armee wie auch die Selbstmordanschläge der Hamas, um Honderich vorzuwerfen, diese Unterscheidung unterlassen zu haben. Honderich sei antisemitisch, weil er das Beispiel Israel gewählt habe. "Warum eigentliche nicht Tschetschenien?", fragt Brumlik, und bleibt dabei: "Die Feststellung, Honderich verbreite antisemitischen Antizionismus trifft ungebrochen zu".