Widerstand gegen die G 192
In New York soll die bislang größte Konferenz zur Weltwirtschaftskrise stattfinden. Doch Vertreter der Industriestaaten bremsen das Vorhaben
Mehrere internationale Konferenzen haben sich in den vergangenen Monaten mit der andauernden Weltwirtschaftskrise befasst. Doch Miguel D'Escotos Treffen sollte einmalig werden: Alle Staats- und Regierungschefs der 192 Mitglieder der Organisation der Vereinten Nationen hatte D´Escoto als Präsident der UNO-Vollversammlung nach New York eingeladen. Mit dem Treffen plante der ehemalige Außenminister der linksgerichteten sandinistischen Regierung Nicaraguas, ein Gegengewicht zu dem exklusiven Kreis der Industrienationen zu schaffen. Die Zusammenkunft der 20 wirtschaftsstärksten Staaten (G 20) Anfang April in London war schließlich vor allem in den südlichen Ländern auf harsche Kritik gestoßen. Die Krisenkonferenz aller UN-Mitglieder hätte vor diesem Hintergrund ein deutliches Zeichen für eine Demokratisierung des internationalen Wirtschafts- und Finanzregimes sein können. Inzwischen ist die für Anfang Juni geplante Konferenz jedoch um drei Wochen verschoben worden. Aus den Industrieländern des Nordens wird wohl kein Staat- oder Regierungschef teilnehmen.
Offiziell wurde die Verlegung des Termins mit den laufenden Verhandlungen um das Abschlussdokument begründet. Die Delegationen der fast zweihundert UN-Mitgliedsstaaten bräuchten mehr Zeit für die Ausarbeitung der 17-seitigen Erklärung. In New York ist es jedoch ein offenes Geheimnis, dass das gesamte Vorhaben einer „Weltkonferenz“ auf den Widerstand der Industrienationen stößt. Dabei wäre ein solches Treffen fernab der G-20-Politik eine Chance, „dass sich auch die übrigen 172 UNO-Staaten über die Krise austauschen können“, sagte Roberto Bissio, Präsident des in Uruguay ansässigen Third World Institute, gegenüber der Nachrichtenagentur IPS.
Der US-Aktivist Larry Hales der Gruppe FIST (Fight Imperialism, Stand Together) davon überzeugt, dass „derzeit ein ungemeiner Druck durch die so genannten entwickelten Staaten ausgeübt wird, diese Konferenz nicht stattfinden zu lassen“. Grund dafür ist offenbar die politische Ausrichtung: In dem Entwurf des 75-jährigen D´Escoto für eine Abschlusserklärung wird unter anderem die Abschaffung des US-Dollars als internationale Leitwährung gefordert.
Aus der „Entwicklungskonferenz“ wird eine „Konferenz für Entwicklungsländer“
Die Vorbehalte gegen ein globales Krisentreffen zeigen sich auch in der Berichterstattung in Deutschland. Obgleich die Konferenz als globales Treffen für alle Mitglieder der Weltgemeinschaft geplant ist, spricht das deutsche Entwicklungsministerium (BMZ) von einer „UN-Konferenz zu den Folgen der Finanz- und Wirtschaftskrise auf die Entwicklungsländer“. Dabei wird in der gleichen Erklärung der englische Titel genannt, in dem von einem Treffen „on the World Financial and Economic Crisis and Its Impact on Development” die Rede ist, von einer Konferenz also „über die weltweite Finanz- und Wirtschaftskrise und ihre Auswirkung auf Entwicklung“.
Mit dem vermeintlich lapidaren Übersetzungsfehler bestätigt die deutsche Regierung den Hauptvorwurf der Organisatoren: Die G-8- und G-20-Staaten wollten ihre Konzepte allen Staaten der Welt aufzwingen. Im Selbstverständnis der Industriestaaten übersetzten sich die eigenen Konzepte zugleich in globale Strategien. Werde von der Mehrheit der internationalen Staatengemeinschaft aber eine Initiative ergriffen, würde ihr die Legitimität aberkannt.
Ende Mai hatte die Tageszeitung „Handelsblatt“ von einem „höchst umstrittenen Entwurf“ des Präsidenten der UNO-Vollversammlung berichtet. „Einen Gegenentwurf, den vor allem die westlichen Länder als ausgewogener beurteilten, ließ er unter den Tisch fallen.“ Doch wer hatte die Ausgewogenheit der G-20-Beschlüsse hinterfragt?
Die deutsche Entwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul äußerte öffentlich indes ihr Bedauern über die Verschiebung der Konferenz. „Wir hätten uns zusammen mit den europäischen Mitgliedsstaaten gewünscht, dass die Konferenz zum geplanten Zeitpunkt Anfang Juni stattgefunden hätte“, so die SPD-Politikerin.
Miguel D´Escoto: „Wir sitzen alle im gleichen Boot“
D´Escoto zweifelt ebendies an. „Die Europäer waren von vornherein gegen dieses Projekt“, beklagte der Präsident der UN-Vollversammlung bereits Mitte Mai. Später hätten die Vertreter der EU-Staaten in New York für eine Verschiebung plädiert. „Vielleicht wollten sie die Konferenz so lange verzögern, bis ich den Posten abgegeben habe“, sagte der gebürtige Nicaraguaner und katholische Theologe. Diese Version der Dinge steht der Darstellung der deutschen Bundesregierung entgegen, der zufolge D´Escoto selbst um die Verschiebung gebeten haben soll.
„Die Vertreter der Europäischen Union haben sich leider gegen den Entwurf für die Abschlusserklärung ausgesprochen, als wir ihn präsentiert haben“, sagte der Organisator der „G-192“-Tagung Mitte Mai gegenüber der spanischen Nachrichtenagentur EFE. "Ich weiß nicht, worin ihre Kritik am Inhalt besteht“, fügte D´Escoto bei einer Pressekonferenz in Genf an. Die Vertreter der EU-Staaten hätten lediglich gegen die Vorgehensweise Einspruch erhoben.
Dennoch appellierte der Politiker für die Beilegung der Konflikte. Die Staaten des industrialisierten Nordens und des unterentwickelten Südens säßen schließlich im gleichen Boot. Es sei angesichts der Weltwirtschaftskrise schon deswegen nicht zu akzeptieren gewesen, dass die Industriestaaten bei einer UNO-Konferenz zunächst nur die Auswirkungen der aktuellen Weltwirtschaftskrise auf die eigenen Binnenökonomien behandeln wollten.
Doch geht es nicht nur um solche Verfahrensfragen. Das 21. Jahrhundert müsse ein Jahrhundert der Demokratie werden, indem „die Herrschaft einiger weniger über die Gemeinschaft“ überwunden wird, so D´Escoto zu den Gründen des Vorhabens. Zuvor hatte der einstige Priester und Außenminister die „Diktatur“ von Internationalem Währungsfonds und Weltbank verurteilt.
Unterstützung von Nichtregierungsorganisationen
Während Industriestaaten sich weiter gegen das Vorhaben sperren, ist die Idee einer Krisenkonferenz aller UNO-Staaten bei regierungsunabhängigen Organisationen und sozialen Bewegungen auf große Resonanz gestoßen. Parallel zu dem ursprünglich geplanten Termin der Weltkonferenz Anfang Juni hatten zahlreiche Organisationen zu einem Treffen unweit des UNO-Hauptsitzes in New York mobilisiert. Auch bei dieser Konferenz wurden die Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise auf die weniger entwickelten Staaten ins Zentrum gerückt. Neben einem Krisenschutz für die Entwicklungsländer forderten die Aktivisten eine Reform des Bankenwesens, einen generellen Schuldenerlass und freie medizinische Versorgung für die Bevölkerung in armen Ländern, wie IPS-Korrespondentin Haifa Jedea berichtete.
Zu den Unterstützern der Krisenkonferenz in der UNO zählt auch die globalisierungskritische US-Gruppe Bail Out the People. Ihre Aktivisten planen angesichts der sich global verschlechternden Wirtschaftslage weitere Proteste bei Konferenzen der G 8 und G 20. „Der Zweck dieser hochrangigen Treffen zwischen Regierungen und Bankiers ist es nicht, die Weltbevölkerung vor Arbeitslosigkeit, Hausräumungen, Obdachlosigkeit, Armut, sozialer Ungleichheit und Krieg zu retten“, heißt es auf der Internetseite der Gruppe. Ziel der Industrie- und einiger Schwellenstaaten sei es, ein System zu retten, das die Gewinne über die Menschen stellt.
Die Krisenkonferenz der UN-Mitgliedsstaaten wurde vorerst auf den 24., 25. und 26. Juni verlegt. Der belgische Soziologe und Theologe François Houtart, der D´Escoto bei der Planung des Treffens unterstützt hatte, rief zivilgesellschaftliche Akteure in Europa indes zur Unterstützung der Weltkonferenz auf. Die G-20-Staaten hätten bei ihrer Londoner Konferenz „eine Serie von Maßnahmen verkündet, ohne die Mehrheit der Länder dieser Welt zu konsultieren“, schrieb der Vorsitzende der Nichtregierungsorganisation Centre Tricontinental, die in der Nähe von Brüssel arbeitet. Der Kern der bestehenden Probleme sei von der Konferenz Anfang April jedoch nicht erfasst worden. Es gehe darum, die Ernährungskrise, die Energiekrise, die Klima- und die Sozialkrise zu thematisieren. Um dies zu vermeiden, übten „einige der G-20-Staaten derzeit starken Druck auf die UNO aus, um nur auf niedrigem Niveau an dieser Konferenz teilnehmen zu müssen.“ Zivilgesellschaftliche Gruppen sollten deswegen ihre Regierungen dazu drängen, an dem Treffen Ende Juni teilzunehmen.