Wie Preußens Sieg über Frankreich die Einheit Europas verhinderte
Seite 2: Warum Versailles?
Die eilige Krönung Wilhelm des I. zum Kaiser und die Ausrufung des Deutschen Reiches noch während des Krieges am 18. Januar 1871 zeigt die Stärke des politischen Drucks. Zuallererst sollte es eine Inszenierung für das Militär und die politische Führung der Verbündeten sein – weniger für die Bevölkerung in der Heimat.
Das Zeremoniell erinnere aus heutiger Sicht mehr an eine Feldpredigt als eine Kaiserkrönung – trotz der pompösen Kulisse des Schlosses Versailles. Es verfehlte seine Wirkung nicht. Auch in historischer Perspektive überstrahlt die Propaganda von der Krönung das zunehmende Elend und die abnehmende Kriegsbegeisterung der deutschen Armee. So ist kaum bewusst, dass Versailles schon am nächsten Tag wieder als Lazarett genutzt wurde.
Im Rahmen der Zeremonie wurden die Süddeutschen Staaten nicht nur ins Deutsche Reich aufgenommen, sondern auch auf eine Kriegsteilnahme bis zum Sieg eingeschworen. Die reale Gefahr eines Ausbrechens aus der Kriegskoalition war gebannt.
Gleichzeitig sollten die Franzosen durch die Krönung in Versailles bewusst gedemütigt werden. Auch andere Schlösser um Paris oder eine kurze Rückkehr nach Deutschland wären möglich gewesen. Aber die Nutzung eines der bekanntesten Symbole der französischen Nation sollte dem Gegner seine Unterlegenheit vor Augen führen. Ein politisches Signal, endlich aufzugeben.
Denn die Zeit drängte. Der andauernde Beschuss von Paris und der in der eingeschlossenen Stadt um sich greifende Hunger (Gittermann 2020), ließ vor allem in England Stimmen laut werden, die ein militärisches Einschreiten an der Seite Frankreichs forderten. Der Krieg musste beendet werden, bevor eine weitere Großmacht in den Krieg einstieg. (Heinemann 2020)
Ende des (offiziellen) Krieges
Nach einem letzten gescheiterten Ausbruchsversuchen Ende Januar 1871 sah die französische Regierung den Krieg als verloren an. Sie bat, gegen den Widerstand der radikalen Linken, um einen Waffenstillstand. Es sollten Verhandlungen geführt und eine Parlamentswahl abhalten werden. Währenddessen ging der Krieg in Teilen des Landes weiter.
3. Phase des Krieges – Bürgerkrieg und Pariser Kommune
In Paris hatte man das Gefühl, dass Paris allein vom Hunger besiegt worden ist, aber nie wirklich militärisch. Als die Regierung den Waffenstillstand mit den Deutschen unterzeichnet, betrachten viele Pariser das als Verrat. Als besonders hart empfinden sie die Bedingungen für die Stadt Paris.
Dr. Karine Varley (Pöking und Sackarnd 2020b 46:50ff)
Niederlage und anschließende Bestrebungen französischer Konservativer, wieder zur Monarchie zurückzukehren, führten insbesondere in Paris zu Aufständen. Die spontanen Erhebungen mündeten in der Bildung eines unabhängigen Stadtrates – die Pariser Kommune. Sie wird heute als erste Räterepublik bezeichnet. Je nach politischem Standpunkt ergänzen Autoren das Adjektiv "sozialistisch".
Diese erste sozialistische Machtentfaltung hielt 72 Tage – vom 18. März bis 28. Mai 1871. Armeeeinheiten der monarchistisch dominierten Regierung kämpften über mehrere Wochen den politischen Aufbruch nieder. Der Volkskrieg wandelt sich zum offenen Bürgerkrieg mit dem Schwerpunkt. Aber Kampfhandlungen fanden in ganz Frankreich statt.
Die deutsche Regierung unterstützte die Monarchisten tatkräftig. U.a. öffnete sie den Ring um Paris und erlaubte bzw. ermöglichte die Aufstellung neuer bewaffneter Formationen. Ein sozialistisches Frankreich wurde als Bedrohung der eigenen Sicherheit gesehen. Schließlich diente der Krieg auch dem Ziel, die (nun gesamtdeutsche) Monarchie zu stärken, und linke Alternativen in Deutschland zu schwächen.
Tausende Kommunarden fielen in den Kämpfen oder wurden hingerichtet. Die wenigen Überlebenden wurden in die Kolonien verbannt. Bis heute ist die Bewertung der Pariser Kommune in beiden Staaten hart umkämpft. (Klingsieck 2021)
Ihre Forderungen – wie Gleichberechtigung der Geschlechter, Trennung von Staat und Kirche, Begrenzung der Mieten, Erlass von (Miet-)Schulden sowie kostenlose Schul- und Grundversorgung sind weiterhin aktuell. Prof. Étienne François fasst es prägnant zusammen: "Die Kommunarden waren ihrer Zeit weit voraus." (Vesper 2021)
Die Erhebung war realpolitisch gesehen zum Scheitern verurteilt. Die Machtmittel – ein paar tausend Revolutionäre gegen die französische und deutsche Armee – waren zu ungleich verteilt. Aber trotz ihres Scheiterns, oder vielleicht gerade deswegen, brachte die Pariser Kommune vielfältige Symbole der politischen Linken hervor bzw. verhalf ihnen zu politischer Dominanz.
Beispiele sind die roten Fahnen oder die Hymne der internationalen Arbeiterbewegung (Luckhardt 2023). Die internationale Wirkung spiegelt sich auch an den in aller Welt herausgegeben Briefmarken. (Fischer und Hecker 2021) Bis in die Gegenwart beziehen sich linke Bewegungen auf das Ereignis. So knüpfen beispielsweise auch die Gelbwesten bewusst an die Pariser Kommune an. (Vesper 2021)
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