Wie Preußens Sieg über Frankreich die Einheit Europas verhinderte
Seite 3: Bedeutung des Krieges
[...] so wollte es die geschichtliche Ironie, dass Bismarck den Bonaparte stürzte und dass der König Wilhelm von Preußen nicht nur das kleindeutsche Kaisertum herstellte, sondern auch die französische Republik. Das allgemeine Ergebnis aber war, dass in Europa die Selbständigkeit und innere Einigung der großen Nationen, mit Ausnahme Polens, eine Tatsache geworden war. [...] Die Totengräber der Revolution von 1848 waren ihre Testamentsvollstrecker geworden. Und neben ihnen erhob sich schon drohend der Erbe von 1848, das Proletariat." Friedrich Engels (1895)
1. Mit dem Deutsch-Französischen Krieg schlossen die westlichen Großstaaten ihren Vereinigungsprozess ab. Dabei setzte sich der kleindeutsche Weg ohne Österreich endgültig durch. Die geeinten Nationen werden sich in den nächsten Jahrzehnten den verbliebenen Vielvölkerstaaten (Österreich-Ungarn, das zaristische Russland und dem osmanischen Reich) als überlegen erweisen. Der von ihnen ausgehende politische, wirtschaftliche und letztlich auch militärische Druck führte am Ende des Ersten Weltkrieges zum Verfall der Vielvölkerstaaten.
2. Außer auf den Balkan fanden nach den Deutsch-Französischen Krieg in Europa über 40 Jahre keine (Bürger-)Kriege mehr statt. Innere Einigung und außenpolitische Stabilität waren Grundlage eine neue Phase westlicher Globalisierung. Eine bis dahin nie erreichte Dimension der wirtschaftlichen und infrastrukturellen Verflechtung zwischen den Nationalstaaten entstand. Ihren Höhepunkt erreichte diese in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg und dann erst wieder in den 1990er-Jahren.
Die wirtschaftliche Prosperität ermöglicht ein letztes koloniales Projekt – die Kolonialisierung des inneren Afrikas. Durch sie werden einerseits endgültig alle Weltregionen in die globalen Märkte einbezogen. Erstmals entsteht eine wirklich globale Wirtschaft. Andererseits führen die mit der Kolonialisierung einhergehende Abolitionskriege zur endgültigen Durchsetzung des kapitalistischen Wirtschaftssystems. Erst die Entstehung der Sowjetunion wird hier ein Gegenprojekt setzen.
Franzosen und Deutsche gehen davon aus, dass sie im Falle eines weiteren europäischen Krieges Feinde seien werden. Das ist die gefährlichste Konsequenz dieses Krieges.
Robert Tombs (Pöking und Sackarnd 2020c 48:40ff)
Die Frage der Revanche wird Frankreich am Ende des 19. Jahrhunderts entscheidend prägen. Noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts ist sie in den Köpfen der Franzosen verankert. Sie ist wie ein Gespenst um das 47 Jahre lang die öffentliche Meinung in Frankreich kreist.
Laurent Thurnherr (Pöking und Sackarnd 2020c 50:10ff)
3. Der Deutsch-Französische Krieg und insbesondere die Gebietsannexion Elsass-Lothringen schrieben eine Feindschaft zwischen Deutschland und Frankreich für Generationen fest. Beide Seiten richten ihre Außen- und Sicherheitspolitik der kommenden Jahrzehnte wesentlich an der Kleinhaltung des Anderen aus. In Folge wurde die wirtschaftliche Globalisierung, das "erste weltumspannende Zeitalter" (Engelberg 1998) nicht politisch untersetzt und abgesichert. Alle Versuche paneuropäischer Strömungen eine politische Integration zu erzielen, scheitern vor allem an deutsch-französischen Konflikt.
"Von der Kommune und vom Deutsch-Französischen Krieg datiert sein gewaltigster Aufschwung. Die totale Umwälzung des gesamten Kriegswesens durch die Einrangierung der ganzen waffenfähigen Bevölkerung in die nur noch nach Millionen zu berechnenden Armeen […] machte einerseits der bonapartistischen Kriegsperiode ein jähes Ende und sicherte die friedliche industrielle Entwicklung, indem sie jeden anderen Krieg unmöglich machte als einen Weltkrieg von unerhörter Greuelhaftigkeit und von absolut unberechenbarem Ausgang.
Friedrich Engels (1895)
Kai Kleinwächter arbeitet als selbstständiger Dozent (Themen: Volkswirtschaftslehre, Marketing, Unternehmensführung). Derzeit studiert er Politikwissenschaft / Geografie auf Lehramt an der Universität Potsdam. Er ist Verlagsleiter (digital) von WeltTrends – Das außenpolitische Journal. Ebenfalls bloggt der Autor auf seiner Homepage zeitgedanken.blog.
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