Wie Ungarn und Polen spanische Grundrechtsverletzungen nutzen
Die beiden Länder, denen die Verletzung des Rechtsstaatsprinzips vorgeworfen wird, planen die Einrichtung eines Instituts zur Prüfung von Rechtsstaatlichkeit. Kommentar
Polen und Ungarn wollen ein Institut gründen, das überprüfen soll, ob die Rechtsstaatlichkeit in der EU eingehalten wird. Beide Länder wollen sicherstellen, dass sie nicht ungerecht behandelt werden, denn sie sprechen von "Brüsseler Doppelstandards". Der ungarische Außenminister Peter Szijjarto erklärte am Montag: "Das Ziel dieses Instituts des vergleichenden Rechts wäre, dass wir nicht zum Narren gemacht werden." Das sagte Szijjarto nach einem Treffen mit Polens Außenminister Zbigniew Rau in Budapest. Er habe genug von einigen europäischen Politikern, "die uns wie einen Sandsack benutzen".
Die Einschätzung ist aus Sicht der beiden Länder nicht einmal falsch. Sie wollen Gleichbehandlung. Sie wollen das Rechtsstaatsprinzip genauso mit Füßen treten dürfen, wie das zum Beispiel Spanien erlaubt wird. Das Land leistet es sich sogar, einen katalanischen Politiker in Haft zu halten, obwohl Oriol Junqueras auch nach Ansicht des Europäischen Gerichtshof (EuGH) Immunität genießt.
Will man in Polen und Ungarn auch illegal Politiker wie in Spanien wegsperren? Das musste nach Urteilen des Menschenrechtsgerichtshofs in Straßburg sogar die spanische Justiz einräumen, wenngleich das keine Konsequenzen für die Richter hatte, die das Recht massiv gebeugt und Politiker für mehr als 6 Jahre willkürlich mit erfundenen Anschuldigungen inhaftiert haben. Will man auch unliebsame Regionalpräsidenten über die Justiz mit Bagatellen aus dem Amt jagen, wie es die politisierte Justiz in Spanien gerade mit dem katalanischen Präsident Quim Torra gemacht hat, nur weil er ein Transparent nicht schnell genug abgehängt hat?
Quim Torra hat sich keines Ungehorsams schuldig gemacht, erklärt der andalusische Verfassungsrechtsprofessor Javier Pérez Royo erneut.
Dass Spanien sogar foltern und misshandeln darf, auch Journalisten, ohne dass das Land wie Ungarn oder Polen mit Rechtsstaatsverfahrens aus Brüssel überzogen wird, die zum Entzug der Stimmrechte führen können, halten beide Länder natürlich für ungerecht. Aus dieser Sicht ist es nur konsequent, nun dieses Institut einrichten zu wollen, um die Verstöße anderer Länder, wie Spanien, zu dokumentieren, um sie zum gegebenen Zeitpunkt der EU unter die Nase reiben zu können.
Druck machen auf dem Sondergipfel
Das passiert ohnehin schon und funktioniert auch. Das haben auch die Verhandlungen um den sogenannten "Wiederaufbaufonds" gezeigt. Das Rechtsstaatsprinzip blieb dabei längst weitgehend auf der Strecke. Man knickte dabei schon weitgehend vor Ungarn und Polen ein. Polen steht beim Empfang der Hilfsmilliarden sogar auf dem vierten Platz, obwohl es recht unbeschadet durch die Krise kam.
Die Ankündigung, das Institut für vergleichendes Rechts zu gründen, dient nun dazu, um beim EU-Sondergipfel am Donnerstag und Freitag in Brüssel erneut Druck zu machen. Ungarn und Polen wollen durchsetzen, dass die Gewährung von Hilfsgeldern definitiv nicht von der Einhaltung der Rechtsstaatlichkeit abhängig gemacht werden kann.
Diverse Medien berichten bereits, dass der Plan schon aufgeht. "Deutschland knickt vor Polen und Ungarn ein", titelt z. B. Die Welt. Sie führt mit Blick auf ein internes Papier aus, dass "Ungarn, Polen und Bulgarien" nicht "mit einer Kürzung ihrer EU-Mittel rechnen" müssen. Das sehe ein Kompromissvorschlag vor, den die deutsche Ratspräsidentschaft am Montag vorgelegt habe. Demnach soll "der Mechanismus für die Einhaltung rechtsstaatlicher Grundlagen deutlich zahmer ausfallen, als noch im Sommer von der Kommission vorgeschlagen wurde", schreibt die Zeitung.
Die Zeit formuliert weniger zugespitzt und titelt: "Bundesregierung kommt Polen und Ungarn entgegen." Im Kern beschreibt aber auch diese Zeitung, dass der ohnehin abgeschwächte Beschluss vom Juli weiter verwässert wurde und die "Initiative der Kommission abgeschwächt werden" solle. "Kürzungen von EU-Finanzhilfen wären nur nach der Feststellung möglich, dass Verstöße gegen die Rechtsstaatlichkeit direkte Auswirkungen auf den Umgang mit Geld der EU haben", berichtet die Zeitung. Damit wird klar, dass es praktisch keine Verbindung mehr von Gewährung von Geldern und der Einhaltung der Rechtsstaatlichkeit geben soll.
EU-Doppelstandards
Die Zeit zitiert den FDP-Abgeordneten Moritz Körner (FDP), der kritisiert, dass die Bundesregierung auf Kuschelkurs zu Ungarn und Polen gehe. Das ist richtig. Angesichts der Tatsache, dass aber auch Körner zu den Vorgängen in Spanien schweigt, wo die FDP-Schwesterpartei Ciudadanos in Andalusien, Madrid und Murcia mit Unterstützung der rechtsextremen Vox regiert, ist das heuchlerisch.
Über die massiven Menschenrechtsverstöße in Spanien schaut die FDP geflissentlich hinweg. Ihr ist egal, wenn in Katalonien friedliche Wähler in einer "militärähnlichen Operation" zusammengeprügelt werden, die an einem Referendum teilnehmen wollten. Auch die FDP richtet ihren Blick lieber nach Osten.
So ist offensichtlich, dass es in der EU Doppelstandards gibt. Die Vorgänge in Spanien werden konsequent, wie die willkürliche Absetzung von Quim Torra gerade, als "innere Angelegenheit" Spaniens bezeichnet. Für Weißrussland gilt das natürlich weder in Brüssel noch in Berlin, wo zu den Vorgängen in Spanien und Katalonien ebenfalls geschwiegen wird. Dabei kennt man die spanischen Erfindungen, mit der Politiker für viele Jahre inhaftiert werden.
Es war schließlich das Oberlandesgericht in Schleswig, das die Auslieferung des Exilpräsidenten Carles Puigdemont wegen einem erfundenen Aufruhr oder Rebellion abgelehnt hat, da Spanien dafür keine Beweise vorlegen konnte.
In allen anderen europäischen Ländern verhält sich die Justiz zu katalanischen Exil-Politikern genauso. Solange also Brüssel, Berlin und Paris zu derlei Vorgängen schweigen, müssen sie sich von Ungarn und Polen anhören, Doppelstandards anzuwenden.
Letztlich kann man von beiden Ländern die Einhaltung des Rechtsstaatsprinzips nur fordern, wenn man das auch von Spanien fordert. Und dieses Land wird sogar mit Hilfsmilliarden besonders begünstigt, ist der eigentliche Nutznießer. Im Ergebnis werden die "europäischen Werte" immer weiter nach unten nivelliert und daran wird die EU letztlich zerfallen, der auch nach außen in Menschenrechtsfragen immer mehr Glaubwürdigkeit abhanden kommt.