Wie blinder Menschenrechtsaktivismus den Kollaps von Nepal in Kauf nimmt

Seite 2: Arbeitsmigration: Die fehlenden Alternativen aus deutscher Sicht

In Kathmandu und auf entlegensten Gebirgspfaden wird man jeden Tag mehrmals gefragt, woher man sei. Und danach immer öfter, warum Nepalesen in Deutschland nicht arbeiten können. In der Regel geht das Gespräch (stark verkürzt) so weiter:

"Leute aus eurer Liga (Habenichtse) legal nur als anerkannter Asylant oder Flüchtling – ihr seid weder verfolgt noch habt ihr Krieg" – "Und wenn wieder Krieg wäre?" – "Dann schon, wenigstens theoretisch" – "Ein Verwandter von mir ist in Deutschland, illegal" – "recht hat er, ist viel einfacher für alle".

Es ist paradox. Deutschland hat lange mit sich gerungen, bis der Islam in der Mitte akzeptiert wurde. Mit der Bezeichnung "Einwanderungsland" fremdelt es bis heute, mindestens 20 Prozent der Deutschen lehnen sie ab.

Ein kohärentes Einwanderungsgesetz gibt es trotz dringenden Bedarfs noch immer nicht, die Debatten fürchten alle Parteien. Faktisch brauchen Gesellschaft und Wirtschaft Einwanderer, hunderttausende jedes Jahr.

Das drängt die große Mehrheit von Migranten aus Nicht-EU-Staaten in Asyl- und Flüchtlingsverfahren; Gesetze, die für diesen Zweck gar nicht vorgesehen sind. Oder gleich in die Illegalität. Resultat dieser verkorksten Lage ist eine zynische und heuchlerische Politik, die als Krönung den Interessen der deutschen Wirtschaft zuwiderläuft, deren Wohlergehen der wahre Zweck allen staatlichen und gesellschaftlichen Handelns ist.

Tragischerweise beherrscht diese Debatte wie kaum eine andere (Corona sorgt momentan für etwas Abwechslung und neuerdings Russland) den öffentlichen Diskurs. Über das Thema kann nicht nüchtern und sachlich diskutiert werden. Wäre das der Fall, würde vermutlich bald die Frage der Migranten und selbstverständlich Migrantinnen aus Nepal auf den Tisch kommen.

Deutschland braucht nicht nur ausgebildete Fachkräfte, es bedarf auch "ganz normaler" Arbeiter und Arbeiterinnen, für Jobs, die viele Deutsche, mit und ohne Migrationshintergrund, nicht erledigen wollen.

Vielleicht ist es verwerflich, Fähigkeiten und soziale Kompetenzen verschiedener Arbeitsmigranten zu vergleichen. Im Persischen Golf ist es jedoch ein deutlicher Trend: Die Scheichtümer bevorzugen Arbeitskräfte aus Nepal gegenüber ihren Glaubensbrüdern aus Pakistan, Bangladesch und arabischen Staaten. Nepalesen sind auf dem globalen Arbeitsmarkt in ihrem Qualifikationssegment begehrte (so schlimm das klingt) "Ware".

Dank seiner absurden, heuchlerischen Migrationspolitik hat Deutschland keine Möglichkeit, von dieser Ware zu profitieren. Dabei würde genau das, als Beifang sozusagen, die Nachfrage erhöhen und den Marktwert (es ist – leider – alles ein Handel) der Nepalesen steigern. Das würde Katar und andere tatsächlich zum Umdenken zwingen, wenn auf einmal mehr Nachfrage als Angebot bestände. Das hälfe mehr als Boykottaufrufe. Das wäre nach den Regeln des Spiels, das alle spielen. Das wäre eine jener Alternativen, die bisher nicht in Sicht sind.

So ein Vorschlag kann im aktuellen Klima nicht gemacht werden, er ginge im Gebrüll unter. Dabei genügt der Blick nach Japan. Dort ist die Migrationspolitik rigider und der Altersdurchschnitt höher. Das Rentensystem beider Länder ist obskur. Offiziell geht man mit 65 in Rente. Seit einem Jahr ist es "erlaubt" bis 70 weiterzuarbeiten. Selbst danach besteht das Einkommen vieler angeblicher Rentner aus – Arbeit.

Das rechte politische Spektrum muss gefragt werden, was ihm lieber ist, mehr Migranten oder mehr Arbeit. Wie die Engländer sagen: "You can't have your cake and eat it". Sie sollten an Katar denken, 88 Prozent der Bevölkerung Migranten und das Land eine Erfolgsgeschichte! Das ist nun nicht ganz Ernst gemeint.

Eine Zwickmühle

Es ist schier unmöglich, in diesem Durcheinander von Fakten und Argumenten für und wider den Überblick zu behalten. Im Anflug auf Doha, zumeist in einer Katar Airways Maschine (ja, auch schon öfter der Autor), taucht aus Hitzedampf und Wüstenstaub ein fantastisches, groteskes Gewimmel Wolkenkratzer auf, als ob Kinder von Giganten in ihrem überdimensionalen Sandkasten gewütet hätten.

Wenn es Geld, im wahrsten Sinne des Wortes, wie Sand am Meer gibt, warum bezahlt man dann den armen Tröpfen, die das alles in der glühenden Hitze hinstellen, solange sich Herr und Frau Scheich in einem der zahllosen Luxushotels vergnügen, Hungerlöhne?

Bei solchen Gedanken könnte man den Glauben an den Menschen verlieren. Und dafür, das sprengt die Vorstellungskraft endgültig, sollen die armen Tröpfe Herrn und Frau Scheich auch noch dankbar sein? Im wahren Leben ist leider alles möglich.

Szenenwechsel Kathmandu: In einem vormals erzkonservativen Land hat sich die modernste Gesellschaft Südasiens entwickelt. Das heißt vielleicht global nicht viel, aber in Südasien, wo ein Viertel der Menschheit lebt. Frau Scheich mag im Goldenen Käfig absolut überzogenem Luxus frönen und die Gitterstäbe nie bemerkt haben.

In Kathmandu und anderen Städten und sogar vielen ländlichen Regionen haben Frauen nun Freiheiten und Rechte, die selbst für die meisten Inderinnen unerreichbar sind. Das verdanken sie ihren Vätern und Müttern, die in Katar und sonst wo ihre Haut zu Markt tragen. Ein letztes, wie so oft fast unglaubliches Detail: Im Persischen Golf kommt es regelmäßig bis zum Mord zu Verbrechen an weiblichen Hausangestellten.

Nepals Regierung hat deshalb schon mehrfach seinen Frauen die Migration dorthin verboten. Jedes Mal musste die Regierung dieses Verbot nach einiger Zeit aufheben, und das auf Druck der Frauen – jene, die durch das Verbot geschützt werden sollten. Die Scheichs von Katar und anderswo sollten sich dafür in Grund und Boden schämen. Das werden sie nicht tun, natürlich. Andererseits wäre in Nepal alles beim Alten oder weit schlimmer, wenn es sie nicht gäbe.