Wie der "Geldflut" begegnet wird

Die EZB entwickelt ein "neues Instrument"? Kurzer Durchgang durch die Verlautbarungen zum aktuellen Preisauftrieb, (Teil 2 und Schluss).

Mit den ersten vorsichtigen Leitzins-Erhöhungen seit elf Jahren und weiteren Maßnahmen versucht die EZB, auf die schon zitierte "Bremse" zu treten, die laut Lehrmeinung "die Geldflut beendet". "Wegen der hohen Unsicherheit über die Zukunft sei es aber nicht möglich, einen präzisen Pfad für die Zinsentwicklung zu nennen".

Dieser trübe Blick der europäischen Notenbanker in das, was kommen mag, findet sich auch bei ihren Kollegen der amerikanischen Fed:

Die entscheidende Frage ist, wo der Leitzins liegen muss, um die Inflation längerfristig hin zum angestrebten Ziel von zwei Prozent zu bringen. Wir werden das wohl im Laufe der Zeit empirisch herausfinden.

Der experimentellen Auffassung ihrer Aufgabe entsprechend entwickelt die EZB derzeit sogar ein "neues Instrument", von dem der französische Notenbankchef verrät, es sei "eine Kombination aus Regeln, Kriterien, Ermessen und kollektiver Diskussion … Es sollte eine gewisse konstruktive Unklarheit darüber herrschen, wie wir ein solches neues Instrument einsetzen".

Behütetes Geld

Hier der Versuch, ein wenig destruktive Klarheit in diese Andeutungen zu bringen: Wie das derzeit schon 60 Notenbanken tun, will auch die EZB als hoheitlich beauftragter Geld- und Währungshüter die Kreditaufnahme verteuern und die preistreibende Nachfrage beschränken, um die Inflation einzuhegen.

Sie weiß zugleich, dass das Wirtschaftswachstum eigentlich eine größere Investitions- und Kaufneigung nötig hätte, und auch, dass höhere Kreditzinsen in die Warenpreise eingehen können. Präsident Erdogan etwa macht den Zinssatz sogar für die Inflation verantwortlich, stützt seine These auf den Koran und veranlasst seine Notenbanker konträr zum geldpolitischen Mainstream zu einer Leitzins-Senkung.

Zur Begrenzung der Geldmenge plant die EZB überdies, ihre Ankäufe von Staats- und anderen Schuldverschreibungen zurückfahren. Neben dem niedrigen Zinsniveau waren diese Markteingriffe aber der Grund dafür, dass die europäischen Staaten, die das seit anderthalb Jahrzehnten permanent und progressiv nötig haben, sich relativ billig verschulden konnten.

Die Sicherheit des globalen Finanzsektors, im Zweifels- und Bedarfsfall die gekauften Staatspapiere in Liquidität verwandeln zu können, machte diese Schuldenwirtschaft nicht nur haltbar. Sie trug und trägt auch zu der internationalen Attraktivität der Währung bei, in der sie sich vollzieht.

Diese globale Nachfrage verschafft dem staatlichen Emittenten des Geldes, hier ein ganzes Staatenbündnis, finanzpolitische Macht und Handlungsfreiheit auch nach außen hin. Beim G7-Gipfel, seinen Zuwendungen für die Ukraine, seiner 600-Milliarden-Alternative zur Seidenstraße der VR China etc. war das gerade zu beobachten.

Genau diesen geldpolitischen Zusammenhang will die EZB weder durch die Inflation noch umgekehrt durch ihre Bekämpfung gefährdet sehen – woraus sich die Sache mit dem "neuen Instrument" erklären dürfte.

Höhere Zinsen verteuern auch die staatliche Schuldenaufnahme, und die Reduzierung der Anleihekäufe erhöht das Risiko der Anleger, für das sie einen zusätzlichen Zinsgewinn auf Staatskosten erwarten. In diese Abwägung der Investoren geht überdies deren unterschiedliche Bewertung der Euro-Länder ein, die sich nach wie vor in eigener Regie und Hoheit verschulden.

Daraus resultiert ein sogenannter Spread in den Zinssätzen der jeweiligen Staatspapiere, der die Schuldenquote der Großschuldner mehrt statt mindert. Das könnte nach Ansicht der Zuständigen und nach der Logik der Finanzmärkte "Zweifel an der Solidität hochverschuldeter (EU-) Staaten wecken" und so auf den Kurs und die Stabilität des Euro durchschlagen. Daher ist die EZB entschlossen, "gegen Vergrößerungen der Renditeabstände von Staatsanleihen in der Eurozone vorzugehen".

Eben dies war ein Ziel der bisher anschwellenden Aufkäufe, deren Abbau jetzt dieselbe Wirkung erzielen soll – bloß "ohne die Inflationsbekämpfung zu konterkarieren". Dass diese Meisterleistung nur in "Kombination von Regeln, Kriterien, Ermessen, Diskussion bei konstruktiver Unklarheit" erfolgen kann, steht schon mal fest.

Starke Währung

Der theoretische Spott über ein tatsächliches Dilemma und über das "Instrument", das die EZB Ende Juli dagegen aus dem Hut ziehen will, macht die praktischen Schäden einer Wirtschaftsweise für und mittels Geld leider nicht wett. Außerdem sollte man die Bedeutung der Notenbankpolitik nicht ungebührlich überschätzen.

Selbst wenn Herr Erdogan eine Zinswende nach Lehrbuch zulassen würde, dürfte er mit der Auswirkung auf den Kurs der Lira weiterhin unzufrieden sein. Denn der Wert einer Währung ergibt sich nicht aus der monetären Kunstfertigkeit seiner Hüter, sondern aus dem erfolgreichen Zusammenspiel von kapitalistischem Geschäft und staatlicher Gewalt.

Der Staat hat die Zentralbank bei der Herausgabe des gesetzlichen Geldes zwar darauf verpflichtet, getrennt von den Regierungsgeschäften eigenständig auf dessen Brauchbarkeit und Wertbeständigkeit zu achten. Ob er damit eine starke Währung in die Hand kriegt und dort behält, entscheidet sich aber nicht an der Höhe der Leitzinsen oder Mindestreserven und am Umfang der Wertpapierankäufe.

Die Musik spielt dort, wo die heimischen und globalen Geschäftsinteressen unter staatlicher Betreuung den nationalen Standort zum Exportchampion machen; wo die private und öffentliche Finanzmacht sich weitere Wachstumschancen ergattert; wo der Finanzminister die "schwarze Null" halten und auf die "Schuldenbremse" treten und der Wirtschaftsminister trotzdem die Kosten und Kollateralschäden einer Pandemie oder der "Zeitenwende" bewältigen kann; wo die "Freiheitsenergien" (Lindner) aus Erneuerbaren im Verein mit Braunkohle, Fracking, Holz und vielleicht auch Kernkraft "Putins Inflation" abwehren helfen usw.

Welche Wirkung außerdem die unmittelbare militärische Machtentfaltung auf die internationale Wertschätzung des gesetzlichen Geldes hat, kann jeder am Dollar ablesen.

Zu diesem harten Kern einer starken Währung steht die Notenbankpolitik in einem eher peripheren Verhältnis, was sie allerdings nicht überflüssig macht. Auf Basis der Symbiose von Geschäft und Gewalt und als Zusatz zu ihr sorgt sie mit ihren ausgeklügelten Werkzeugen, mit einem Staatsschatz aus Devisen und Edelmetallen und der Pflege des Wechselkurses für Signale der Geldwertstabilität an die heimischen und internationalen Finanzmärkte, deren Gewogenheit der staatlich betreute Kapitalismus braucht.

Dabei bremsen oder zügeln die Zentralbanken nirgendwo das beständige Wachstum von dessen Finanzüberbau, schon deshalb nicht, weil kein maßgeblicher Staat seine ausgreifenden Ambitionen storniert, bloß weil sie zur Teuerung führen. Seine Bank der Banken leistet vielmehr ihren geldpolitischen Beitrag zum guten Gelingen dieser Vorhaben – mit welchem Erfolg, erfährt sie dann hinterher.

Dass die EZB sich derzeit etwas vortastet, wobei ihre Präsidentin "nicht glaubt, dass wir in ein Umfeld niedriger Inflation zurückkehren werden", und sogar beginnt, wie die US-Finanzministerin auch, "Fehler bei der Bewertung der Inflation einzuräumen", liegt an der Natur des Ladens, dessen Wertzeichen da verwaltet werden. Geldpolitik ist eben kein Fünf-Jahres-Plan.

Lohn-Preis-Spirale

Klarheit bei der Inflationsbekämpfung herrscht jedenfalls über die dienende Rolle des Proletariats. Dieses ist in der EZB zwar unterrepräsentiert, sie geht aber trotzdem mit gutem Beispiel voran:

"Die EZB-Chefin soll Forderungen von Mitarbeitern zurückgewiesen haben, (die) ihre Gehaltserhöhungen an die Inflationsraten gekoppelt sehen (wollten). Lagarde … bestand darauf, dass künftige Anpassungen 'angemessen' sein müssten. Eine Indexierung der Gehälter an die Inflation (sei) nicht wünschenswert und nicht beabsichtigt."

Wirtschaft und Währung gelten schließlich als die maßgeblich Leidtragenden der Geldentwertung, und eine "Scala mobile" wie im linken Italien der 1970er Jahre, selbst ein Anklang daran, passt definitiv nicht in die heutige Zeit. Deshalb warnt der Bundesfinanzminister:

Die Gefahr einer Lohn-Preis-Spirale ist real, die Inflationsentwicklung würde dann zusätzlich verstärkt.

Auch 89 Prozent der Familien-Unternehmen bezeichnen die Gefahr einer Lohn-Preis-Spirale als "groß" oder "sehr groß". Außerdem, so hört man, würden auch die abhängig Beschäftigten durch die neuen Mindestlöhne und den Fachkräftemangel die Teuerung antreiben.

Sogar zur Idee der Ampel-Regierung, eine eventuelle Einmalzahlung an die Arbeitnehmer von der Lohnsteuer zu befreien, vermerkt die Wirtschaftsweise Veronika Grimm:

Das kann auch nach hinten losgehen … und unmittelbar die Nachfrage und somit wieder die Inflation anheizen.

Ausgerechnet der Klasse von Leuten also, die demnächst wählen dürfen, ob sie in Urlaub fahren oder lieber heizen, wird das abgesprochen, was im Fall ihrer Arbeitgeber auf Verständnis trifft. Dass Baufirmen, Energieversorger, Supermärkte oder Reiseunternehmen ihre gestiegenen Kosten weitergeben müssen, um wirtschaftlich zu bleiben, leuchtet dem bürgerlichen Sachverstand ein und wird nicht als "Preis-Preis-Spirale" geschmäht.

Bei Arbeitnehmern aber soll es gefährlich werden, für das Wachstum auf der Gegenseite nämlich, wenn sie die erhöhten Produktionskosten ihrer Ware Arbeitskraft beim Lohn in Rechnung stellen wollen. Die haben sich damit abzufinden, dass der Staat mit seinen Entlastungspaketen sozusagen als ökonomischer Stimmungsaufheller "den gefühlten Inflationsdruck beim Netto-Einkommen abmildert" (Lindner).

Das soll zudem dysfunktionale Entwicklungen wie den Verlust der Wohnung, frierende Rentner u. Ä. in Grenzen halten und hat die offizielle Inflationsrate im Juni leicht gedrückt.

Auch die Gewerkschaften wissen, wie wichtig "stabilitätskonforme Tarifrunden" sind, und kriegen das vom Kanzler bei der "konzertierten Aktion" im Juli noch dreimal gesagt – auch wegen der Opfer, die im Krieg für die europäische Friedensordnung anstehen (Konzertierte Aktion gegen Preissteigerungen: "Unterhaken" für höhere Löhne?).

Arbeitnehmer-nahe Ökonomen wie Sebastian Dullien plädieren derzeit für "mindestens drei Prozent", weil die Arbeitsleute nicht nur die Ihren, sondern anteilig auch die "Volkswirtschaft" ernähren.

Deshalb seien "gerade in Inflationszeiten steigende Reallöhne notwendig, damit (diese) nicht in eine Rezession abstürzt". Kollege Marcel Fratzscher ergänzt besorgt:

Ein Schrumpfen der Reallöhne bedeutet, dass die Kaufkraft der Konsumentinnen und Konsumenten und somit auch die Nachfrage schrumpft. Unternehmen machen dann weniger Umsatz.

Die Unternehmerinnen und Unternehmer hätten zwar nichts dagegen, wenn die liebe Konkurrenz den Arbeitern die Bezüge erhöht, die sie dann bei ihnen ausgeben. In Bezug auf die eigenen Lohnkosten, die stets einen Abzug vom Gewinn darstellen, sind aber sie die Profis, kennen die Prioritäten und sitzen bei deren Durchsetzung am längeren Hebel. Das ist staatlich anerkannt und gewollt.

Und wenn sie mehr Lohn zahlen würden, damit ihnen ihr Krempel abgekauft wird, könnten sie den auch verschenken. Aber Marktwirtschaft geht anders und Inflation gehört zum System.