Wie der Ukraine-Konflikt China in die Hände spielt
Deeskalation lautet die Hoffnung. Wird sie durch ein Treffen von Putin mit Xi Jinping bei den Olympischen Spielen eingelöst?
Es gab gestern eine turbulente Auseinandersetzung über die Ukraine-Krise im UN-Sicherheitsrat. Die US-Botschafterin an der UN, Linda Thomas-Greenfield, warf Russland vor, "die Ukraine und die westlichen Länder als Aggressoren darzustellen, um einen Vorwand für einen Angriff zu fabrizieren".
Der russische UN-Botschafter Wassili Alexejewitsch Nebensja hatte den westlichen Ländern zuvor vorgeworfen, die Aggressionen anzuheizen. Er machte die USA und ihre westlichen Verbündeten dafür verantwortlich, dass sie 2014 für einen Regierungswechsel in Kiew verantwortlich waren, der "Nationalisten, Radikale, Russophobe und reine Nazis" an die Macht gebracht und damit die "Feindschaft zwischen der Ukraine und Russland geschaffen" habe.
Beide Seiten waren also mittendrin in der Stresserzeugung. Im Streit wird das grobe Korn zum Bild gemacht, ähnlich wie in den Medien. Selbstverständlich schürt die Truppenkonzentration - auf russischem Territorium - anderswo Ängste, das ist auch so gewollt. Aber das ist auch nur ein Teil der Politik Russlands.
Und die Wirklichkeit in Kiew ist ebenfalls komplizierter als eine einfache Schautafel. Die Macht in Kiew liegt, wenn man denn nuancierter hinschauen wollte, nicht bei "Maniacs", "Verrückten". Wäre dem so, dann wäre ein Eingreifen leichter zu begründen, korrigiert Anatol Lieven den Holzschnitt.
Das russische Traumszenario wäre, dass ethnisch-nationalistische Extremisten die Macht in Kiew an sich reißen können. Dann kann man den Russischsprachigen im Osten und Süden sagen: Wir müssen euch vor diesen Verrückten schützen. Aber weder Poroschenko noch Selenskyj kann man als Faschisten bezeichnen. Einige Nationalisten in der Ukraine kann man durchaus als Faschisten bezeichnen, denn sie sind Faschisten. Aber sie sind nicht an der Macht.
Antatol Lieven im Interview mit The American Prospect
Lieven arbeitet beim US-Think Tank Quincy Institute for Responsible Statecraft, dessen Ausrichtung in aller Kürze mit "Anti-Interventionismus", besonders vonseiten der USA, zusammengefasst werden kann. Er hat sich einen Namen als Journalist u.a. mit Kennerschaft der UdSSR gemacht, Lieven ist kein Polemiker und Aufwiegler, sondern einer, der seine Urteile durch Erfahrung abwägt.
Er steht mit seiner Einschätzung, wonach eine russische Invasion der Ukraine zwar prinzipiell nicht ausgeschlossen ist, diese aber mit einem hohen Preis und hohen Risiken einhergeht - und daher nicht angestrebt wird, nicht alleine da. Die Ängste der ukrainischen Bevölkerung vor einer solchen Militäraktion nimmt er dennoch ernst - ein Parteigänger der Art, wie man ihn in vielen Diskussionen zum Konflikt erleben kann, ist er nicht.
Wenn ich nicht völlig falsch informiert bin, würden die Russen niemals Gebiete der Ukraine besetzen, in denen sie mit einem Aufstand konfrontiert wären. Sie würden Kiew nicht besetzen, sie würden nicht das Zentrum des Landes oder den Westen besetzen. Ich weiß nicht, ob es im Osten und Süden zu Aufständen käme. Auf jeden Fall würden sie mit einer großen Unzufriedenheit in der Bevölkerung konfrontiert werden.
Anatol Lieven
Dass aus Kiew Stimmen kommen, darunter auch von Präsident Selenskyj, die die russische Gefahr anders einstufen, weniger dramatisch und heißgekocht, als es die Öffentlichkeit über US- und andere westliche Medien erfuhr, soll dem US-Präsidenten Biden und westlichen Verbündeten nicht wirklich gut gefallen haben, wie auch CNN berichtete. Das Weiße Haus versuchte zu korrigieren.
Der gestrige Schlagabtausch im UN-Sicherheitsrat war eine Gelegenheit für den Westen, nochmal dem Aggressionsstress, der aus diesem einseitigen Blickwinkel allein durch Russland verursacht werde (Einfügung: Es gibt andere Blickwinkel und sie haben gute Gründe), eine internationale Bühne zu geben. Gestern hatte Norwegen noch den Vorsitz, ab heute geht er an Russland.
US-Präsident Joe Biden wird von AP dazu mit einer Erklärung zitiert, das Treffen sei "'ein entscheidender Schritt, um die Welt zu versammeln und mit einer Stimme zu sprechen'", um die Anwendung von Gewalt abzulehnen und eine militärische Deeskalation zu erreichen.
Was die Politik betrifft, so hat längst die Diplomatie übernommen. Die Telefone werden beheizt. Macron führte innerhalb weniger Tage zum zweiten Mal ein Gespräch mit Putin. Der russische Außenminister Lawrow soll heute mit seinem US-Amtskollegen Blinken telefonieren.
Erwartet wird, dass nach dem Gespräch endlich an die Öffentlichkeit kommt, wie denn die schriftliche Antwort der USA auf die von Russland eingeforderten Sicherheitsgarantien aussieht. Das wurde bislang unter Verschluss gehalten. Die Hoffnung wäre, dass sich damit eine Deeskalation ergibt, eine grundlegende Lösung ist nicht zu erwarten, aber vielleicht doch eine Basis zum Weiterverhandeln, dafür, einen "nüchternen Blick zu behalten" (Peskow).
Strategische Partnerschaft zwischen Russland und China
"Putin wird am kommenden Freitag Xi Jinping treffen. Bis dahin ist nach menschlichem Ermessen keine militärische Eskalation der Krise zu erwarten" – auch die Einschätzung des österreichischen Russland-Experten Gerhard Mangott, der schon einige Male durch einen realistischen Blick auf Putin und dessen Regierung aufgefallen ist, baut darauf, dass es zwischen Diplomatie und dem Erregungsgeschäft von Politik und Medien wichtige Unterschiede bestehen.
In den Blick rückt mit Mangotts Vorhersage das russisch-chinesische Verhältnis, die strategische Partnerschaft, Chinas Abneigung gegen die Politik militärischer Interventionen und im größeren Bild: das sich neu formierende "Spielbrett" von Bündnissen.
Nur ein Ausschnitt des Puzzles: Syrien hat sich kürzlich der Seidenstraße-Initiative (Belt and Road Initiative (BRI) Chinas angeschlossen. Damit können Sanktionen umgangen werden. "China kann eine wichtige Rolle bei der Abschwächung der Auswirkungen der Caesar-Sanktionen spielen", sagt etwa der US-Syrien-Experte Joshua Landis. Für China ist Syrien ein wichtiges Land für Handels- und Energieverbindungen.
Auch die Vereinigten Arabischen Emirate sollen Syrien Möglichkeiten eröffnet haben, US-Sanktionen über den VAE-Bankhandel zu umgehen. Was die Ukraine betrifft, so gehen die Emirate den strikt anti-russischen Kurs der USA auch nicht mit. Ihnen sind gute Handelsbeziehungen lieber.
Biden verstärkte nun aktuell die Beziehungen zum Golfstaat Katar. Katar wird gegenwärtig als der einzige Staat des Golf-Kooperationsrates eingeschätzt, der bereit sei, "die westlichen Regierungen gegen Russland in Bezug auf die Ukraine zu unterstützen".
Die Emirate stehen immer dann, wenn es um die Muslimbrüder geht, auf der anderen Seite (siehe Syrien, Libyen z.B.). Katar hat enge Beziehungen zur Türkei, die wiederum die Regierung in Kiew mit Drohnen unterstützt.
Dies alles mag im Moment, in dem sich die Öffentlichkeit wenig um den Schauplatz Naher Osten kümmert und vor allem auf die Ukraine schaut, wenig relevant erscheinen. Das kann sich aber nach den Erfahrungen, die diese Region schon bereitet hat, auch schnell ändern.
Vor allem, weil ein Problem, das eine lange Zeit Topthema war und aus den Schlagzeilen verschwunden ist, sich wieder zurück auf die Tagesordnung melden könnte: nämlich das Verhältnis der westlichen Staaten und Russlands zu Iran.