Wie ein Dieb in der Nacht

Stehlen kann so schön sein: "Thief: Deadly Shadows"

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Es gab eine Zeit, in der Diebe sich nicht an der armen Musik- und Filmbranche vergriffen, sondern die Reichen um Gold und Edelsteine erleichterten, um sie weniger den Armen selbst als dem armen Selbst zukommen zu lassen. In dieser Zeit spielt "Thief: Deadly Shadows" für PC und XBox, dem dritten Teil der "Thief"-Reihe von Eidos.

Seinerzeit begründete "Thief: Dark Project" 1998 das Genre des Ego-Schleichers - zumindest auf dem PC. Die für die Entwicklung verantwortliche - seit 2000 bankrotte - Spieleschmiede Looking Glass Studios war neben den ersten beiden Thief-Titeln vor allem mit "Ultima Underworld" und "System Shock" erfolgreich. Das seinerzeit innovative Element von "Thief" lag in dem stillen Weg, den der Spieler aus der Ego-Perspektive wählt, statt wie in typischen Vertretern diese Ansicht nutzender Spiele den Weg mit schwerem Geschütz freizuballern.

Von jeher erfordert "Thief" defensive Vorgehensweise, vorsichtiges Schreiten durchs Geschehen. Die direkte Konfrontation bedeutet oft das vorzeitige Aus, mit seinem Dolch ist der Dieb den Schwertern der Wachen nicht gewachsen, sein Bogen für den Nahkampf ungeeignet. Selbst die Entdeckung durch einen Unbewaffneten bedeutet eine potenzielle Gefahr, wenn dieser Alarm schlägt und so die Aufmerksamkeit gleich mehrerer bewaffneter und übelgelaunter Wachen auf Garrett richten. Die wahre Überlegenheit des Diebes und auf spielerischer Seite der Reiz des Schleich-Genres liegt darin, unsichtbarer Beobachter im Schatten zu sein, die Bewegungen der Umwelt zu sehen, selbst aber mit der Dunkelheit zu verschmelzen, sich vorbei- oder im passenden Moment anzuschleichen.

Mit Wasserpfeilen löscht Garrett Fackeln, um unsichtbar zu bleiben

Zuwachs für das Schleich-Genre

Heute, sechs Jahre nach "Thief: The Dark Project" hat das Schleich-Genre auf dem PC nicht zuletzt mit Ubi Softs "Splinter Cell" (vgl. Im Herz der Finsternis und Sam Fisher: Unser Mann bei der NSA) und die ebenfalls bei Eidos erschienen "Hitman"-Spiele Zuwachs bekommen. Garrett, Protagonist der "Thief"-Serie, kann bewegungs- und ausrüstungstechnisch nicht mithalten mit einem aus Tom Clancys Feder in die Spielwelt eines Splinter Cells geworfenen Sam Fisher und soll das auch gar nicht.

Auch unter der Regie von Ion Storm bleibt Thief mit den "Deadly Shadows" seinen Wurzeln treu - einige Looking-Glass-Entwickler sind der Serie unter neuem Arbeitgeber erhalten geblieben - mit relativ begrenzter Waffenwahl und rudimentären Bewegungsabläufen. Zudem darf der Spieler als Garrett seinen Egoismus besser ausleben, denn der Dieb ist kein Superagent, kein amerikanischer Held im Kampf gegen Terroristen, ja nicht einmal ein Robin Hood im Dienste der Witwen und Waisen sondern nur einem Herrn verpflichtet: Sich selbst.

Alte Thief-Vetreranen fühlen sich gleich heimisch in der dunklen, altertümlichen Welt der Schatten. So wie Garrett dem natürlichen nachtaktiven Lebensrhythmus des Diebes folgend das Tageslicht meidet, greift der typische Thief-Spieler zur nächtlichen Stunde zur Maus. Das Tageslicht verwischt nicht nur die Kontraste des heimischen Monitors sondern zerstört mit jedem Sonnenstrahl die Atmosphäre des Spiels.

Einkauf auf dem Schwarzmarkt

Atmosphärisch legt "Deadly Shadows" übrigens besonders im Vergleich zum zweiten Teil weiter zu. Abgesehen davon, dass die letzten vier Jahre die grafischen Gestaltungsmöglichkeiten von PC-Spielen enorm verändert haben - Deadly Shadows basiert auf einer modifizierten Unreal-Engine - springt Garrett nicht mehr von einer Mission zur nächsten, sondern der gemeinsame Ausgangspunkt seiner Einsätze ist die Stadt, deren Schwarzmarkt auch den Ausrüstungsbildschirm vor den Missionen ersetzt. Die nützliche Reiseausstattung wie Wasserpfeile, Blitzbomben und Heiltränke steht in den Regalen spezieller Händler, das Geld zum Einkaufen erhält Garrett bei den ortsansässigen Hehlern für die in Missionen oder beim Taschendiebstahl in der Stadt "erarbeiteten" Wertgegenstände.

In den städtischen Gassen darf sich Garrett relativ entspannt bewegen - ein ungewohntes Gefühl, ist man doch aus den ersten beiden Spielen gewohnt, jedes Wesen als Gegner zu sehen. Die Stadtbevölkerung schlägt erst Alarm, wenn der Spieler sich beim Taschendiebstahl zur Aufbesserung der Reisekasse zu plump anstellt oder gar im Schein der Fackeln auf offener Straße zu Dolch oder Bogen greift. Neben Normalbürgern trifft Garrett in der Stadt ebenso wie in vielen Missionen auf alte Bekannte: die verfeindeten Gruppen der Heiden und Hammeriten sowie der Bund der Hüter, der Garrett einst ausbildete.

Hauch von Survival Horrors

Dank der Vorgeschichte aus den ersten beiden Spielen, hat Garrett zu keiner der drei Gruppen ein wirklich entspanntes Verhältnis, die Einstellung der Fraktionen ihm gegenüber kann der Spieler dafür im Verslauf des Spiels durch das Erfüllen bestimmter Aufgaben verbessern. Greift er Fraktionsmitglieder an oder bestiehlt sie, ist das freilich Gift für seine Reputation. Trotz des Schattenlebens zahlen sich gute Verbindungen für Garrett aus: Mitglieder verfeindeter Gruppen greifen ihn an, während dieselben Mitglieder ihm bei einer positiven Verbindung im Kampf zur Hilfe eilen - zumindest in den städtischen Gassen - und ihm Zugang zu ihren Einrichtungen gewähren.

Mit Taschendiebstahl bessert Garrett seine Reisekasse auf

Die Stadt ist Dreh- und Angelpunkt des Geschehens, aus ihr taucht der Spieler in einzelne Missionen ein, in denen dann übrigens sämtliche Freundschaften zu den Fraktionen vergessen sind, Diebstähle sich aber auch nicht auf die Gesinnung auswirken. Hier gilt das alte Videospielprinzip aus den piepsenden Pixelzeiten: Wenn es sich bewegt, besiege oder umgehe es, wenn es sich nicht bewegt, nimm es mit.

Die Suche nach den unbewegten Werten zum Mitnehmen lohnt sich die Suche nicht nur für die Geldbeschaffung zum Einsatz am Schwarzmarkt: Je nach Schwierigkeitsgrad muss Garrett zwischen dreißig und neunzig Prozent der Beute einsacken. Dafür lauern in den Missionen weit größere bewegte Gefahren als menschlichen Gegner, darunter lebende Statuen und die schon seit dem ersten Thief vertretenen Zombies, die dem Spiel doch auch einen Hauch des Survival Horrors verleihen. Zwar nicht wirklich dem Genre zugehörig, liegt ein Thrill von Thief eben in jener Spannung, wer hinter der nächsten Ecke wartet.

Jener erste kleine Schockmoment aus "Thief: The Dark Project", als man sich einer vermeintlichen Leiche näherte, die plötzlich mit entsprechender akkustischer Untermalung aufsteht. Darauf die langsame aber beharrliche Bewegung, ihr kurzes Zusammensacken nach Garretts Pfeilschuss, nur um kurz darauf wieder aufzuerstehen und sich an die Fersen des Diebes zu hängen.

Kniffliges Knacken von Schlössern per Maus

Spielerisch bleibt sich "Thief: Deadly Shadows" zumindest in der Ego-Perspektive weitgehend treu. Die neue Third-Person-Ansicht kommt schon beinahe einem Cheat nahe, da der Spieler mehr Übersicht über Garretts Umgebung erhält, gleichzeitig opfert er das Gefühl, tatsächlich in die Haut des Diebes zu schlüpfen, eine Illusion, die in der Ego-Perspektive stärker ist als in den Vorgängertitel: Die Kamera ist mit Animation der Spielfigur verknüpft, die sich allerdings in der Ego-Perspektive ruhiger bewegt in der Außenansicht. Weitere spielerische Neuerungen sind das anfangs gewöhnungsbedürftige und knifflige Knacken von Schlössern per Maus - besonders nervenaufreibend neben einer Lichtquelle, sodass der Spieler stehts auf herannahende Schritte lauschen muss - und die Möglichkeit, sich eng an die Wand zu pressen, um noch mehr mit den Schatten zu verschmelzen. Geblieben und weiterhin eines der wichtigsten Interface-Elemente ist das Lichtjuwel, dessen Helligkeit den Lichteinfall an der Position der Hauptfigur widerspiegelt. Nach wie vor ist neben der visuellen Wahrnehmung die akkustische entscheidend - Surround-Anlage oder Kopfhörer sind für eine genaue Ortung der Gegner beinahe unerlässlich.

Einige Änderungen liegen mehr im Detail. So erfordert ein Taschendiebstahl und die Verwendung des Totschlägers höhere Präzision, letzterer funktioniert nur noch bei ahnungslose Wachen - der Trick, Wachen mit Lärm anzulocken, um sie dann von hinten auszuschalten, funktioniert nicht wie in den Vorgängern. Die AI hat sich zwar auf der höchsten Schwierigkeitsstufe verbessert, insgesamt sind die Gegner jedoch weitgehend relativ tumb und folgen offensichtlich relativ simplen Skripten. Geschickt eingeflochten ins Geschehen arbeiten die Skripte übrigens für Dialoge. Deadly Shadows wahrt dem Spieler dank zur passenden Zeit gestarteten Zusammentreffen von NPCs und deren Dialogen die Illusion, zur rechten Zeit am rechten Ort zu sein und nur dadurch zufällig entscheidende Informationen aufzuschnappen.

Die Maus als Dietrich verlangt diebisches Fingerspitzengefühl

Dass die "überraschenden" Neuigkeiten den Missionsverlauf verändern, verleiht dem Spiel eine stärker dynamische Note als es in vielen anderen Spielen der Fall ist, die den Spieler zunächst von A nach B schicken, um X zu finden, er bei B angekommen aber feststellt, dass X entschwunden ist und das Spiel ihn deshalb nach C umleitet. Ebenso "zufällig" stößt der Spieler auf Hinweise zu lohnender Beute sowie auf Karten, die er für die meisten Missionen eben nicht mehr automatisch erhält. Nach wie vor sind dies wenig präzise Pergamente, eine Auto-Map passt nicht zur rudimentären Ausrüstung des mittelalterlichen Diebes.

Ion Storm ist es gelungen, die Grundwerte der Serie zu bewahren, atmosphärisch und in der Story noch zuzulegen und das Spiel technisch auf den neuesten Stand zu bringen. Alte "Thief"-Fans werden sich heimisch fühlen und die Mängel bei der AI, die nie eine Stärke von Thief war, verzeihen. Keine Garantie gibt es dafür, dass diejenigen, die erst mit Splinter Cell zum Schleichen gefunden haben, den gleichen Genuss haben werden. Zu groß sind die Unterschiede, als dass man die Spiele objektiv vergleichen könnte. Wem es um den Schleich-Thrill geht, findet bei "Thief: Deadly Shadows" ein noch intensiveres Erlebnis, wer allerdings der Agent mit Nachtsichtgerät in der Hightech-Welt sein möchte, ist bei Garrett an der falschen Adresse.