Wie können wir "pragmatisch" mit Dschihadisten umgehen?

Seite 2: Die französischen Militärs, die extremen Rechten und der Einsatz in der Sahelzone

Seine Frustration über einen scheinbar perspektivlosen, viel Ressourcen verschlingenden Einsatz ist nicht der einzige Grund für den Rücktritt des obersten Militärs, dem in naher Zukunft sein Generalskollege Thierry Burkhard auf seinem Posten nachfolgen soll.

Auch die jüngsten Auseinandersetzungen um mehrere aufeinanderfolgende Petitionen von Militärs – sechs von ihnen wurden am 13. Juni vor eine Disziplinarkommission geladen –, die als Ausdruck von Putschgelüsten interpretiert wurden, real jedoch vor allem eine politische Unterstützung der extremen Rechten darstellten, spielten dabei eine Rolle.

Dass Lecointre äußerte, man werde eine "Kontinuität im Falle der Ausgabe neuer Orientierungen nach der Wahl des nächsten Staatsoberhaupts" zu sichern haben, wurde als Hinweis auf einen - in den Wochen zuvor erstmals plausibel erscheinenden - möglichen Einzug von Marine Le Pen ins Präsidialamt ab 2022 gewertet.

Die Vorsitzende der Partei Rassemblement National (RN, früher Front National) unterstützte allerdings ab 2013 dezidiert den damals begonnenen Einsatz der französischen Armee in Mali - im Unterschied zu fast allen anderen wichtigen Auslandsoperationen wie der französischen Beteiligung am Golfkrieg gegen Saddam Hussein von 1991 – nicht dem von 2003 –, dem Libyen-Krieg 2011 oder den Aktivitäten gegen das syrische Regime im zurückliegenden Jahrzehnt.

Diese lehnte die französische extreme Rechte mit tendenziell isolationistischen Argumenten ab. In Mali jedoch ging es gegen einen sunnitischen Dschihadismus, den der RN zumindest formal zum Hauptfeind erkoren hat, wenn auch, um einen vermeintlichen großen Bogen hin zur "Einwanderungsfrage" zu spannen.

Den Einsatz in der Sahelzone, vor allem in Mali betrachtete Lecointre auf Dauer als perspektivlos; allerdings blieb das von ihm angeleitete Vorgehen nicht ohne mindestens kurzfristige Erfolge, wie Le Figaro am 13. Juni aus Anlass der Ankündigung seines Rücktritts schrieb.

Sahelzone: Parallelen zum Irak-Krieg

Vor allem im Laufe des Jahres 2020 gelangen der französischen Armee in Mali einige militärische Erfolge und die Ausschaltung von dschihadistischen Anführern, vor allem bei der örtlich mit dem IS konkurrierenden, stärkeren Organisation "Gruppe zur Unterstützung des Islam und der Muslime" - französisch GISM (bekannter unter dem englischen Akronym: JNIM) abgekürzt -, die aus der Fusion mehrerer Gruppierungen hervorging und mit dem internationalen Netzwerk al-Qaida liiert ist.

Taktische Erfolge waren durch ein Vorgehen möglich, das Le Figaro aus aktuellem Anlass mit dem 2007 unter US-Präsident George W. Bush im Irak durchgeführten "Surge" verglich. Unter diese Bezeichnung fiel eine militärische Offensive gegen die damals im besetzten Irak aktiven Dschihadisten - den IS in seiner späteren Form gab es seinerzeit noch nicht, es ging insbesondere um "al-Qaida im Zweistromland" und örtliche Gruppierungen -, die darauf basierte, sunnitische Stammesstrukturen in das militärische Vorgehen einzubeziehen und diese zu bewaffnen.

Zuvor hatten viele Sunniten sich nach dem Sturz des Regimes von Saddam Hussein 2003, das ihre Konfession privilegiert behandelt hatte, zunächst benachteiligt gefühlt, was die Verankerung dschihadistischer Kräfte in sunnitischen Zonen begünstigt hatte.

Auch in der Sahelzone werden zunehmend örtliche Bevölkerung in die Strategie der örtlichen Staatsapparate einbezogen, was allerdings nicht nur Vorteile mit sich bringt.

Im Westen Nigers etwa wurden in den vergangenen beiden Jahren zunehmend Milizen zur Selbstverteidigung gegen dschihadistische Aktivitäten gebildet, was - neben manchen Problemen mit der Kontrolle solcher Gruppen - auch dazu führte, dass die Dschihadisten in einer Art blutiger Flucht nach vorn zum Massaker an ganzen lokalen Bevölkerungsgruppen übergingen. Das Abschneiden von bisherigen Möglichkeiten, in Dörfern vorläufig unerkannt Unterschlupf und Nahrungsmittel zu finden, lässt ihr vorübergehend besonders aggressiv werden.

Die Rekrutierungspolitik der Dschihadisten

Damit verwoben ist die Tatsache, dass die Rekrutierungspolitik der Dschihadisten ohnehin in starkem Ausmaß auf zuvor vorhandenen Konflikten zwischen örtlichen Bevölkerungsgruppen fußt, insbesondere zwischen Ackerbauern, Viehzüchtern und Nomaden im Kontext von Wasserressourcen, die nicht allein, aber auch aufgrund des Klimawandels verknappen.

In der Dreiländerregion zwischen Mali, Burkina Faso und Niger wächst vor allem seit 2012 die Frustration der als Viehzüchter, teils nomadisch lebenden Peul - deren Sprachgruppe über ganz Westafrika verbreitet ist, auch als Foulbe bezeichnet -, deren Viehherden zunehmend dezimiert und vertrieben wurden.

Neben den anfänglich als Kristallisationskern für salafistisch-dschihadistische Gruppen in der Region dienenden Kadern aus den Maghreb-Staaten verschafften vor allem frustrierte Peul dem örtlichen IS-Ableger "Islamischer Staat in der großen Sahara" Zulauf.

Ihnen gesellten sich Kombattanten aus dem benachbarten Nigeria hinzu. Die Rekrutierungspolitik des al-Qaida-Ablegers GSIM ist etwas breiter aufgestellt, hier finden sich auch - aus anderen Gründen wie dem Versiegen von Einnahmequellen aus dem Trans-Sahara-Handel mit Benzin, Waffen oder Drogen, aber auch aufgrund ihrer Marginalisierung durch die Zentralstaaten frustrierte - Angehörige der Tuareg.

Die malische Zentralregierung gelangte in den letzten Jahren unter dem Eindruck der Tatsache, dass örtliches Konfliktpotenzial die Anwerbe-Erfolge dschihadistischer Gruppen stark begünstigt hat, zu der Position, dass nur Verhandlungen zwecks Abbau dieser Reibungspunkte ihrem Anwachsen Einhalt gebieten können.

Zugeständnisse an Dschihadisten

Tatsächlich wird die Staatsmacht den für das Sympathiewerben der islamistischen Organisationen anfälligen Bevölkerungsteilen Angebote machen. Diese an die Organisationskerne selbst zu richten, dürfte allerdings eher dazu führen, dass diese wiederum an eine Aufwertung ihrer ideologisch ausformulierten Anliegen glauben.

Örtliche Abkommen mit Dschihadisten, die zur lokalen Beruhigung beitrugen oder zeitweise etwa die Abhaltung der Präsidentschaftswahl 2018 in manchen Landeswinkeln materiell ermöglichten, nehmen unterdessen zu und beinhalten oft Zugeständnisse an das ideologische Programm der Dschihadisten wie – meistens – einen Verhüllungszwang für Frauen, mitunter auch die Umwandlung allgemeiner Schulen in Koranschulen.

Eine Quadratur des Kreises - etwa pragmatische Abkommen ohne eine ideologische Anpassung an die Dschihadisten - vermag vorläufig nicht zu gelingen. Die französische Politik scheint daraus nun die Konsequenz zu ziehen, dass man die malische Staatsführung machen lässt, aber selbst nicht mit einer sich anbahnenden Verhandlungspolitik assoziiert werden möchte.