Wie können wir "pragmatisch" mit Dschihadisten umgehen?

Soldat der französischen Operation Barkhane über Fort Madama, Niger; Archivbild (2014): Thomas Goisque/CC BY-SA 3.0

Über militärpolitische Veränderung in Mali und der Sahelzone, dem nach Afghanistan zweiten großen internationalen Operationsschauplatz

Am vergangenen Freitag hat Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron Nägel mit Köpfen gemacht: Die französische Militärpräsenz in der Sahelzone, besonders in Mali, wird in naher Zukunft stark reduziert werden.

Ungefähr zeitgleich mit dem internationalen Abzug (vor allem dem der US-Amerikaner) aus Afghanistan deutet sich nun eine militärpolitische Veränderung auf einem zweiten Operationsschauplatz internationaler Truppen, auf dem ebenfalls dschihadistische Kräfte bewaffnet agieren, und dadurch ein erheblicher Perspektivwechsel an. Dessen genaue Konturen und weitere Aussichten bleiben vorläufig noch unscharf.

Politisch gestärkte radikal-islamistische Kräfte

Ähnlich wie in Afghanistan wurden die radikal-islamistischen Kräfte auch in Mali und darüber hinaus in der Sahelzone durch die Konfrontation mit internationalen - in diesem Falle französischen und europäischen - Truppen nicht dauerhaft geschwächt, sondern gehen zumindest politisch eher gestärkt aus der langjährigen Auseinandersetzung hervor.

Unter anderem, weil sie sich in den Augen mindestens einen Teil der Bewohner zu vermeintlichen Widerstandskämpfern gegen eine äußere Aggression oder neokoloniale Dominanzversuche adeln können, anstatt als die Verteidiger eines erzreaktionären Programms für das gesellschaftliche Zusammenleben dazustehen, die sie tatsächlich auch sind.

Das "Ende der Operation Barkhane als Auslandseinsatz"

Bereits einen Monat früher, am 10. Juni dieses Jahres, hatte Macron – in einer etwas kryptisch wirkenden Formulierung – das "Ende der Operation Barkhane als Auslandseinsatz der französischen Armee" angekündigt, nicht jedoch das Ende der unter diesem Namen firmierenden Operationen der französischen Armee im Sahel als solche.

Der präzisierende, aber zugleich Verwirrung stiftende Zusatz "als Auslandseinsatz der französischen Armee" sollte andeuten, dass Luftwaffeneinsätze von außerhalb der Region gelegenen Basen ebenso wenig ausgeschlossen bleiben würden wie Einsätze im internationalen Verbund.

Letzteren stellt unter anderem die europäische Task-Force "Takuba" (der Name übernimmt die örtliche Bezeichnung für einen Säbel) dar. Zu ihr tragen neben Frankreich, das nicht länger den alleinigen "Kopf" des Einsatzes darstellt, weitere EU-Staaten bei.

Allerdings verkündete Macron nun am 09. Juli am Rande eines als Online-Konferenz abgehaltenen Gipfels mit den Staaten der "G5-Sahel"-Gruppe (Mauretanien, Mali, Burkina Faso, Niger und Tschad), die Kommandozentrale von "Tabuka" solle künftig, nicht, wie bisher geplant, in Mali, sondern im Nachbarstaat Niger residieren.

Dessen zu Anfang dieses Jahres gewählter Präsident Mohamed Bazoum erklärte aus diesem Anlass, es obliege "nicht Frankreich, Krieg im Sahel zu führen", was im Kern als Einverständnis mit einer stärkeren regionalen und/oder internationalen militärischen Lastenteilung gewertet wird.

Zugleich übte er scharfe Kritik an den, infolge von zwei Putschen im August 2020 sowie im Mai 2021 in Mali regierenden jüngeren Militärs, was zu Protesten aus dem Nachbarland Anlass gab.

Neue Strategie

Konkret kündigte Macron insbesondere die Schließung von drei durch französische Truppen genutzten Basen im Norden Malis an, in Kidal, Tessalit und Tombouctou. Dort sollen örtliche Kräfte künftig allein für das Eindämmen bewaffneter Auseinandereinsetzungen oder dschihadistische Umtriebe sorgen. Überdies soll die Truppenzahl voraussichtlich von derzeit 5.100 französischen Soldaten im Rahmen der "Operation Barkhane" auf künftig 2.500 bis 3.000 abgebaut werden.

Die Pariser Abendzeitung Le Monde mutmaßt, Frankreichs neue Strategie werde hauptsächlich darauf hinauslaufen, dschihadistischen Kräften das Vordringen in Richtung Golf von Guinea zu erschweren, das küstenferne Hinterland jedoch weitgehend sich selbst oder örtlichen Armeen überlassen.

Massaker und Flucht

Am schwersten getroffen wurden in jüngster Zeit durch dschihadistische Aktivitäten vor allem die beiden Sahelzonen-Staaten Burkina Faso und Niger. Im letztgenannten Land etwa kannten Attacken auf Dorfbevölkerungen im Westen des Landes, in der Nähe der Grenze zu Mali, in der vorletzten Märzwoche dieses Landes einen Höhepunkt. In der Region von Tahoua etwa wurden damals 137 Personen durch Angreifer, die auf Motorrädern von Dorf zu Dorf fuhren, buchstäblich massakriert.

Innerhalb einer Woche fanden damals insgesamt über 200 Menschen den Tod. Seitdem lässt die Flucht von Zivilisten aus den grenznahen Dörfern nicht nach. In der vorletzten Maiwoche trafen etwa 11.000 Binnenflüchtlinge aus der Grenzregion, wo sich ganze Weiler entleeren, in der westnigrischen Regionalhauptstadt Tillabéri ein.

Im Nachbarstaat Burkina Faso, ebenfalls unweit des Dreiländerecks zwischen diesem Land und Mali sowie Niger, wurden in der Nacht vom 04. zum 05. Juni dieses Jahres in Solhan, beim bisher schlimmsten Angriff seit Beginn der dschihadistischen Gewalt im Norden und Osten Burkina Fasos ab 2014, rund 160 Zivilisten getötet. Die burkinaische Regierung ordnete eine dreitägige Staatstrauer an.

Dauereinsatz ohne reale Sieg-Perspektive

Am 11. Juni dieses Jahres traf dort der französische Außenminister Jean-Yves Le Drian zu einem kurzfristig anberaumten Staatsbesuch ein. In der Hauptstadt Ouagadougou kündigte er an, Frankreich werde auch weiterhin seinen Partnern in der Sahelzone bei der militärischen Bekämpfung der Dschihadisten, die sich seit nunmehr einem knappen Jahrzehnt in den Halbwüsten der Region verankern, beistehen.

Diese Ankündigung wurde umso aufmerksamer registriert, als sein Vorgesetzter, Präsident Emmanuel Macron, die oben zitierte Ankündigung über eine "Beendigung der Opération Barkhane als Auslandseinsatz" am Vortag getätigt hatte.

Den Namen Operation Barkhane trägt seit Ende 2014 die ständige Präsenz von 4.000 bis 5.000 französischen Militärs in der Sahelzone mit einem Hauptquartier in der tschadischen Hauptstadt N’Djamena. Sie löste die vorausgegangene Operation Serval, an die im Januar 2013 ausgelöst wurde und zunächst als eher kurzfristige Offensive zur Vertreibung der Dschihadisten aus dem Norden Malis - wo im April 2012 ein kurzlebiger eigenständiger "Staat Azawad" unter maßgeblicher Beteiligung mehrerer dschihadistischer Organisationen ausgerufen worden war - angedacht war.

Was nur wenige Monate dauern sollte, hat sich seitdem als Dauereinsatz ohne reale Sieg-Perspektive erwiesen, ungefähr vergleichbar mit der zwanzigjährigen, nun ebenfalls zu Ende gehenden ständigen Militärpräsenz der USA und diverser NATO-Staaten in Afghanistan.

Der bisherige, seit 2017 – und dem durch politische Differenzen mit Emmanuel Macron bedingten Rücktritt seines Amtsvorgängers Pierre de Villiers – amtierende französische Generalstabschef François Lecointre erklärte seit Monaten und Jahren, es werde "keinen dauerhaften militärischen Sieg in Mali" geben, da der politische Kontext, insbesondere die mangelnde Funktionalität und Legitimität der bestehenden staatlichen Strukturen auf Teilen des jeweiligen Territoriums der Sahel-Länder, dagegen arbeite.

Am Wochenende des 12./13. Juni reichte dann auch Lecointre seinen Rücktritt ein, welcher nach dem Nationalfeiertag mit Armeeparade am 14. Juli wirksam werden soll.