Wie lassen sich die Zoonosen eindämmen?

Seite 2: Zwischen Biosicherheit und ökologischer Krise

Die Ausbrüche der Influenza H5N1 seit Ende der 1990er-Jahre rückten die Gefahr durch Tierseuchen ins öffentliche Bewusstsein. Mit der "Vogelgrippe" wurde einer breiteren Öffentlichkeit allmählich bewusst, was neue Zoonosen anrichten können.

Auch politische Entscheidungsträger und die Sicherheitsbehörden wurden aufmerksam und reagierten mit Krisenplänen und Notfallübungen für den Ernstfall. 2007 war das Szenario für die "Länder- und ressortübergreifende Krisenmanagementübung" (Lükex) eine Influenza-Welle.

2012 spielte das Robert-Koch-Institut mit anderen Bundesbehörden eine "Pandemie durch Virus Modi-Sars" durch. Das Szenario beschreibt viele Aspekte der Covid-19-Pandemie präzise (" ... stammt aus Südostasien, wo der bei Wildtieren vorkommende Erreger über Märkte auf den Menschen übertragen wurde ...").

Die Vergangenheit hat gezeigt, dass Erreger mit neuartigen Eigenschaften, die ein schwerwiegendes Seuchenereignis auslösen, plötzlich auftreten können.

Robert-Koch-Institut

Die Seuchenbekämpfung wurde immer stärker als Frage der nationalen Sicherheit aufgefasst. Ein bedeutender Teil der Wissenschaft machte mit dabei, weil Forschungsfragen nun mal eher finanziert werden, wenn sie angebliche Sicherheitsprobleme betreffen. Konkrete Maßnahmen, um die medizinischen Versorgungssysteme und die Überwachung zu ertüchtigen, unterblieben trotzdem.

So ermittelte die Lükex 2007 beispielsweise als "mittelfristigen" Handlungsbedarf "die Sicherstellung der personellen Besetzung für Schlüsselbereiche kritischer Infrastrukturen (z.B. ambulante und stationäre medizinische Versorgung und Pflege)" oder "abgestimmte Zuständigkeiten im medizinischen und pharmazeutischen Bereich bei der Bedarfs- als auch der Ressourcenermittlung (z.B. essentielle Arzneimittel wie Insulin, Antibiotika, PSA/Schutzmasken)".

Während die Wissenschaft unverdrossen monierte, mahnte und warnte, erfüllte die WHO ihre Aufgaben immer schlechter und wurde von den Weltmächten als Bühne für sinnlose Querelen benutzt. 2005 wurde unter Mitwirkung der WHO die "Globale Gesundheitssicherheitsagenda" initiiert. Mit diesem internationalen Abkommen verpflichteten sich die Mitglieder auf Mindeststandards der Seuchenbekämpfung, die mit der Praxis allerdings kaum etwas zu tun haben.

Das Missverhältnis zwischen teilweise alarmistischen Warnungen einerseits und praktischer Untätigkeit andererseits bringt manche Kommentatoren dazu, die Covid-19-Pandemie als Medienereignis oder gar als Inszenierung abzutun. Wie sonst passt das zusammen?

Es passt, weil Zoonosen zwar tatsächlich gefährlich sind, aber wirksame Gegenmaßnahmen unter neoliberalen Verhältnissen zu kostspielig sind (und in vielen Regionen keine organisatorische Grundlage haben). Übrig bleiben technologische Scheinlösungen. Aber die Zoonosen-Gefahr ist real. Vor der Pandemie ist nach der Pandemie, und die nächste könnte noch schlimmer werden.

Ohne vorbeugende Strategien wird es häufiger zu Pandemien kommen, sie werden sich schneller verbreiten, mehr Menschen töten und der Effekt auf die globale Wirtschaft wird verheerender sein als je zuvor.

So heißt es in einem Bericht des "Weltbiodiversitätsrat" (Intergovernmental Platform on Biodiversity and Ecosystem Services). Der Klimawandel verschärft die Lage weiter. Er beschleunigt das Artensterben, erschließt Krankheiten wie dem Westnil-Fieber und der Malaria neue Regionen und schwächt die Widerstandskraft der Bevölkerungen.

Im Oktober wird im chinesischen Kunming der nächste Biodiversitätsgipfel der Vereinten Nationen stattfinden. Die EU-Kommission hat angekündigt, man wolle vor allem die Wiederaufforstung in Afrika unterstützen. Gleichzeitig befeuert Europa die Abholzung tropischer Regenwälder - und damit das Entstehen neuer Infektionen: Laut einer Studie der Naturschutzorganisation WWF, die im April veröffentlicht wurde, wurden zwischen 2005 bis 2017 16 Prozent der tropischen Wälder abgeholzt, um Agrargüter wie Soja, Palmöl und Rindfleisch in die EU zu exportieren.

One Health bedeutet in der Praxis wenig, vergleichbar mit Floskeln wie "Nachhaltigkeit" oder "Sicherheit". Mit einer Handvoll neuer Naturschutzgebiete oder Grünstreifen zwischen den Feldern lässt sich die Zoonosen-Gefahr jedenfalls nicht entschärfen.

Im sogenannten Anthropozän richtet die Menschheit die biologischen und ökologischen Kreisläufe umfassend auf ihre Bedürfnisse aus. Die evolutionäre Dynamik der (scheinbar) überflüssigen, (scheinbar) unwichtigen Gattungen kommt ihr dabei in die Quere. Die Zoonosen sind natürlich nicht "die Rache der Natur", wie zu Beginn der Covid-19-Pandemie gelegentlich zu lesen war. Krankheitserreger verbreiten sich ohne Plan und ohne Ziel, überall, wo sie Räume finden.

Aber Zoonosen sind doch ein Bestandteil der gegenwärtigen vielfältigen ökologischen Krise. Wenn ökologische Räume zerstört werden und Säugetiere und Insekten aussterben, dann fallen auch Glieder in Nahrungsketten und Ökosystemleistungen aus.

Die Menschheit dezimiert die Tiergemeinschaften und destabilisiert die Systeme aus Mikroorganismen und Säugetieren, so wie ein Kind, das ein Uhrwerk auseinandernimmt und dann wieder zusammenbaut. Ein paar Teile bleiben übrig und die Zeiger stehen still.