Wie lenkbar ist der Oberste Führer?

Iran: Hält Ahmadinedschad nach dem Abgang des Chefunterhändlers für Atomfragen, Ali Laridschani, die wichtigsten sicherheitspolitischen Zügel in der Hand?

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Die Russen waren in heißen Krisenzeiten selten Überbringer erfreulicher Botschaften im Nahen Osten. Kurz vor Beginn des Kuwaitkrieges im Januar 1991 reiste Jewgenij Primakow als Emissär Michail Gorbatschows nach Bagdad, um Saddam Hussein zur Räson zu bringen und ihm klarzumachen, dass die USA es ernst meinten. Der Diktator, verblendet von seiner „eine Million Mann starken Armee“ und überzeugt, den USA die „Mutter aller Schlachten“ liefern zu können, lehnte ab.

Er wurde angegriffen, blieb aber samt seinem Regime verschont. Ob Primakow wusste, dass seine Reise kriegslegitimierenden Charakter hatte, weil Washington bereits das "Nein" aus Bagdad erwartete, bleibt sein Geheimnis.

Im März 2003, kurz vor dem Irakkrieg, reiste der diplomatische Fuchs und Ex-Premier Primakow diesmal im Auftrag Putins wieder nach Bagdad. Der Krieg stünde kurz bevor, warnte er Saddam Hussein. Saddam nahm die Botschaft an. Der Irak wurde dennoch angegriffen.

Putin in Teheran

Mitte Oktober 2007 weilte der Kremlchef höchstpersönlich in Teheran, offiziell zu einer Konferenz der Anrainerstaaten des Kaspischen Meeres bezüglich der Ausbeutung desselben. In der politischen Landschaft Irans war das Kaspische Meer schon einen Tag nach der Konferenz kein Thema mehr. Putin ist dank des Nuklearstreits mehr denn je Dreh- und Angelpunkt der Weltpolitik geworden, tritt in gewohnter Manier aber noch selbstbewusster auf dem internationalen Parkett auf und macht Washington klar, dass Russland seinen Supermachtcharakter nicht eingebüßt habe. In Berlin hatte Putin vor seinem Besuch verkündet, dass Drohungen gegen den Iran wirkungslos seien, weil die Iraner nichts fürchteten.

In Teheran versucht er, den Machthabern klar zu machen, dass es tatsächlich um die letzte Chance geht. Die Umstände kurz vor und nach Putins Iranreise untermauern diese Interpretation, so etwa dass Nicolas Sarkozy, Condoleezza Rice und Robert Gates nach Moskau reisten und Putin auf dem Weg nach Teheran Zwischenstation in Berlin machte. Nicht zuletzt eilte Ehud Olmert überhastet in den Kreml, um die Antwort des Iran zu erfahren. Wladimir Putin kennt die politische Machtstruktur Irans sehr gut. Deshalb drängte er auf eine „Audienz“ bei Religionsführer Ali Khamenei, Irans oberstem Entscheidungsträger, um die wichtige Botschaft dem richtigen Adressaten zu übermitteln. Die Islamische Republik solle im Nuklearstreit einlenken, ansonsten könne Moskau für nichts garantieren.

Die ganzen diplomatischen Bewegungen rund um den Globus, die von der höchsten Weltprominenz durchgeführt werden, beweisen einmal mehr, dass Iran und sein Nuklearprogramm tatsächlich zur größten weltpolitischen Herauforderung geworden sind und dass Europa und Russland die unmittelbare Gefahr eines Krieges mit ungeahnten Folgen als akut betrachten.

Das erste Opfer der Reise Putins heißt Ali Ardeschir Laridschani, Irans Chefunterhändler für Atomfragen und Generalsekretär des Obersten Nationalen Sicherheitsrats Irans (NSRI).

Die Laridschanis

Sie sind ein mächtiger Clan in der politischen Machtstruktur der Islamischen Republik. Der Bruder des geschassten Chefunterhändlers, Mohammad Dschawad, war langjähriger stellvertretender Außenminister und für viele Expertenkreise Irans eine der grauen Eminenzen der iranischen Außenpolitik. Bruder Sadegh sitzt im mächtigen, ultrakonservativen Wächterrat, der dritte, Kazem, ist Kulturattachee in Ottawa. Ali Laridschjani selbst, Sohn eines der angesehenen Großayatollahs, war mit 22 Jahren Leiter der Fernseh- und Funkanstalten.

Zu den Stationen seiner Karriere gehört auch der Posten des stellvertretenden Stabschefs der Revolutionsgardisten. Laridschani verkörperte im wahrsten Sinne die politisch-militaristische Komponente des Regimes. Er verlor 2005 die Präsidentschaftswahlen gegen Ahmadinedschad, wurde aber mit dem Segen Ayatollah Khameneis Generalsekretär des NSRI und Chefunterhändler für Nuklearfragen, Irans wichtigstem innen- und außenpolitischen Projekt.

In Teheran war es ein offenes Geheimnis, dass die iranische Außenpolitik eher im Generalsekretariat des nationalen Sicherheitsrates NSRI entschieden wird als im Außenministerium. Denn der Außenminister Mottaki war Laridschanis Wahlkampfleiter. Ali Laridschani war in der Ära Präsident Khatamis der entschiedene Kritiker der Nuklearpolitik der Reformregierung. Khatami ließ 2004 als vertrauensbildende Maßnahme einseitig das Nuklearprogramm aussetzen. Laridschanis Kommentar, „Wir haben eine Perle weggegeben und dafür Kandis bekommen“, wurde seitdem zu seinem Markenzeichen. Der studierte Computeringenieur und promovierte Philosoph sollte den unnachgiebigen außenpolitischen Kurs des neuen Präsidenten, insbesondere im Atomstreit, nach Außen vertreten.

Doch es kam anders. Laridschani verfolgte die Politik des „logischen Widerstandes“ gegen den Westen. Der 49-jährige, der zuvor nie ein außenpolitisches Amt bekleidet hatte, konnte nun in den neuen Positionen weltpolitische Realitäten und Konstellationen durchblicken, die ihm zuvor unbekannt waren. Mit der Zeit und nach mehrmaligen Verhandlungen mit westlichen Diplomaten vom Schlage eines hochkarätigen Diplomatenfuchses wie Javier Solana, gelangte Laridschani immer mehr zur Erkenntnis, dass konstruktive Verhandlungen und Kompromissbereitschaft den nationalen Interessen Irans dienlich seien. Dafür brauchte Laridschani Zeit und das kostete Iran die Übergabe der Nuklearakte von der Internationalen Atomenergiebehörde an den UN-Sicherheitsrat sowie zwei Sicherheitsratsresolutionen. Die dritte konnte er zumindest weitgehend verschieben.

"Mit Schwäche und Angst verhandelt" - Ahmadinedschad und Laridschani

So schnell sich Laridschanis relative Kehrtwende offenbarte, so rasch versuchte Ahmadinedschad, ihn zu schwächen und an den Rand zu drängen. Der Präsident und das Präsidialamt umgingen häufig Laridschani. Das iranische Außenministerium, vermutlich unter Federführung von Laridschanis Nachfolger, Said Dschalili, organisierte im Dezember 2006 ohne Wissen Laridschanis die aufsehenerregende Holocaust-Konferenz in Teheran. Ahmadinedschad entsandte seinen höchsten Berater nach Paris, um Präsident Chirac eine Botschaft zu übergeben.

Diese Praxis wiederholte sich und das war ein klares Signal, dass der Präsident dem Mann, der mit dem wichtigsten außenpolitischen Vorgang der Geschichte der Islamischen Republik beauftragt war, nicht vertraute. Laridschani soll kürzlich der EU eine kurzzeitige Stilllegung des Anreicherungsprogramms in Aussicht gestellt haben. Diesem Versprechen begegnete Ahmadinedschad mit seinen Reden im Iran, worin er die Aussetzung auch für eine Minute strikt ablehnte. Indirekt warf er Laridschani vor, mit Schwäche und Angst verhandelt zu haben.

Putins Reise brachte den innenpolitischen Machtkampf in Teheran, bei dem der Konflikt zwischen Ahmadinedschad und Laridschani nur ein, wenn auch wichtiger, Teil war, zur vorläufigen Entscheidung. Während Laridschani von einer (nuklearen) Botschaft Putins sprach, leugnete sie Ahmadinedschad. Laridschani zögerte dann nicht, aus dem „rollenden atomaren Zug ohne Bremse und Rückwärtsgang“ (Ahmadinedschad) auszusteigen. Ein Parlamentsabgeordneter berichtete in Anlehnung an ein NSRI-Mitglied von wachsender Popularität Laridschanis im Nationalen Sicherheitsrat. Ahmadinedschads Berater sollen ihn diesbezüglich gewarnt haben. Etwa 190 Majlis-Abgeordnete, zumeist aus dem konservativen Lager, haben in einem Brief Laridschanis Arbeit als NSRI-Generalsekretär gewürdigt und seinen „Rücktritt“ indirekt missbilligt.

Wie lenkbar ist Ali Khamenei?

Viele Iran-Experten, iranische und ausländische, meinen, dass Ali Khamenei der absolute Entscheidungsträger des Iran ist. Diese Ansicht bedarf einer Relativierung. Der Religionsführer ist zwar, wie oben erwähnt, verfassungsmäßig die höchste Instanz (de facto steht er im komplizierten iranischen Machtsystem auch über der Verfassung), doch Regierungen können ihn auf ihren Kurs lenken, so wie ihn auch Ex-Präsident Khatami für seine relativ erfolgreiche Entspannungspolitik gewinnen konnte.

In dieser Hinsicht muss der Coup gegen den Khamenei sehr nahestehenden Laridschani, der mit stillschweigender Zustimmung des Religionsführers erfolgte, als höchst besorgniserregend betrachtet werden. Denn das bedeutet, dass es Ahmadinedschad vorläufig gelungen ist, Khamenei auf seinen Kurs zu bringen. Ali Khamenei ist zudem gesundheitlich nicht in bester Verfassung.

Mit dem 42-jährigen, farblosen und unerfahrenen Said Dschalili, bisher Vizeaußenminister, an der Stelle von Laridschani ist nun der diplomatische und sicherheitspolitische Apparat gleichgeschaltet in der Hand Ahmadinedschas. Denn Dschalili gilt als sein blinder Anhänger. Die Tatsache, dass er nun in Wien und den europäischen Hauptstädten über das wichtigste außenpolitische Projekt Irans verhandeln muss, deutet darauf hin, dass Teheran Verhandlungen keine erheblichen Bedeutung mehr beimisst. Das macht es den europäischen Vermittler und El Baradei nicht leichter.

Iranische Hardliner: Die Angst, am Ende leer auszugehen

Wladimir Putin könnte in Teheran gesagt haben, die Amerikaner meinen es ernst und die russische Hilfe bestünde darin, den Freund Iran zu warnen. Mit der unmittelbar darauf folgenden Absetzung Laridschanis sendet Ahmadinedschad das Signal: „Wir sind bereit!“ Der amerikanische Druck auf Iran wird ähnlich dem bewusst unbegründeten Druck auf Saddam Hussein aufgefasst: Man sieht nur Vorwände - die USA würden den Iran früher oder später ohnehin angreifen. Anstatt Zeit zu verschwenden, sollte man das Atomprogramm also fortsetzen und Vorkehrungen für das Schlimmste treffen. Die Angst, am Ende doch ganz leer auszugehen, d.h. das Atomprogramm zu stoppen und trotzdem angegriffen zu werden, macht die Hardliner nervös. Sie glauben nicht, dass es Washington um das Atomprogramm geht, so wie einst die Annahme von Primakows Botschaft Saddam Hussein nicht helfen konnte.

Indizien für Entschlossenheit der Hardliner sind die Ersetzung vom Generalmajor Yahya Rahim Safawi als Kommandeur der Revolutionswächter durch Generalmajor Mohammad Ali Aziz Dschafari, einen Strategen und Architekten des asymmetrischen Kriegs, und andere Änderungen an der Spitze der Revolutionswächter wie die Ernennung des ultraradikalen Ex-Kommandeurs der Basidschis, Brigadegeneral Mohammad Hedschazi, zu ihrem Stabschef.

Safawai soll in mehreren Sitzungen des NRSI die Außenpolitik Ahmadinedschads heftig kritisiert und gewarnt haben: „Der Feind (die USA) ist mächtig, aggressiv, nervös und durchaus imstande, uns Schaden zuzufügen.“ Trotz alledem, die Entscheidung über einen Krieg wird in Washington und nicht in Teheran fallen. Das würde zwar nicht unbedingt der „Dritte Weltkrieg“, aber der Dritte Golfkrieg der Familie Bush sein.

Bilanz der Regierung Ahmadinedschad

Die düstere Bilanz von Ahmadinedschads Regierung ist allgegenwärtig. Die Inflation- und Arbeitslosenquoten nähern sich laut offiziellen Angaben der 20%-Grenze. Das neueste dem Parlament vorliegende Familiengesetz hebt etliche rechtliche Einschränkungen für Männer auf, die Polygamie betreiben wollen. Viele Führungsmitglieder der Lehrer- und Arbeiterverbände sitzen wegen Protesten und Lohnerhöhungsforderungen im Gefängnis. Vetternwirtschaft, Korruption und Kriminalität wüten.

Laut einem Bericht des Sozial- und Wohlfahrtministers ist in der Ära Ahmadinedschad der Anteil der armen Bevölkerung um 2% gestiegen. Dabei hat der Iran in diesen zweieinhalb Jahren der Präsidentschaft Ahmadinedschads aufgrund hoher Ölpreise genauso viele Erdöleinnahmen erwirtschaftet wie Präsident Khatami in acht Jahren Amtszeit zuvor. Ahmadinedschad war 2005 mit der Hauptparole in den Wahlkampf angetreten, „die Erdölerlöse auf die Esstische“ der Bevölkerung zu bringen.

In Teheran kursieren Gerüchte, wonach etliche aus dem konservativen Lager im Begriff sind, für die nächsten Parlaments- und Präsidentschaftswahlen ein Triumvirat der drei 2005 nominierten Präsidentschaftskandidaten Ali Laridschani, Mohammad Baghir Ghalibaf und Mohsen Rezai (der sich kurz vor der Wahl zurückzog) zu schmieden. Man will Laridschani mit einem würdigen Job zufriedenstellen, etwa als künftigen Parlamentspräsidenten. Laridschani selbst könnte das Rennen um das Präsidentenamt im Visier haben. Letzten Endes ist es schwer, die inner-iranischen Machtverhältnisse hinsichtlich aussagekräftiger Prognosen zu durchblicken, weil die Akteure (speziell innerhalb der Konservativen) nicht selten die Fronten wechseln.

Niemand außer den Anhängern Ahmadinedschads und den Konservativen, deren Lager auch bereits zu bröckeln begonnen hat, attestiert Ahmadinedschad eine positive Bilanz. Laut einer in diesem Monat veröffentlichten offiziellen Umfrage würden nur noch 47% all jener, die 2005 Ahmadinedschad wählten, ihn wieder wählen. Der Direktor des durchführenden Meinungsforschungsinstituts, Dr. Hadschiani, meint, dass bei gleicher Kandidatenaufstellung wie im Jahr 2005 der Reformer Mehdi Karubi gewählt werden würde, wenn heute Wahlen stattfänden. Angesichts der geschilderten Lage und der relativ geschlossenen Reihen des pragmatisch-reformistischen Lagers im Gegensatz zu dem der Konservativen bedarf es eines Wunders, damit Ahmadinedschad 2009 Präsident der Islamischen Republik Iran bleibt.

Das „Problem Ahmadinedschad“ könnte sich von selbst lösen

Der Gottesstaat steuert angesichts der geschilderten sozialen Krise auf eine innergesellschaftliche Explosion zu. Die drohenden UN-Sanktionen und ein wahrscheinlicher Krieg machen die Iraner zusätzlich nervös. Weil die iranische Bevölkerung, insbesondere die zahlreiche junge Generation, weder revolutionär noch antiamerikanisch geprägt ist und eher nach moderaten Lösungen sucht, würde sich diese Explosion in der Abwahl Ahmadinedschads äußern. Das „Problem Ahmadinedschad“ könnte sich von selbst lösen.

Die Vereinigten Staaten haben es jedoch eilig. Sie ziehen die Sanktionsschlinge um den Iran immer enger und zwar völlig jenseits der Beschlüsse der UN-Resolutionen. Die Sanktionen gegen die vier wichtigsten iranischen Banken, darunter die Iranische Nationalbank, werden nicht nur auf die USA beschränkt bleiben. Durch das Sanktionsregime gegen jene Firmen, die mit dem Iran Geschäfte betreiben, werden weltweit einige der Handelspartner des Iran mitziehen müssen, so wie kürzlich die Deutsche Bank, die Commerzbank und die Dresdner Bank, die ihre Geschäfte mit dem Iran teilweise völlig einstellten. Die Erklärung der Revolutionswächter zur terroristischen Organisation macht es Washington sehr leicht, einen Kriegsgrund à la Tonkin-Zwischenfall zu produzieren. Der iranische Counterpart spielt mit und rasselt mit Säbeln.

Was etwaige Atomwaffenambitionen angeht: Laut seriösen Berichten wird Iran mindestens noch fünf bis acht Jahre brauchen, um eine Atombombe bauen zu können. Für verantwortungsbewusste Politiker in Amerika und Europa heißt es dringend, die nächsten Parlaments -und Präsidentschaftswahlen in Iran abzuwarten, denn mit einer pragmatisch-reformistischen Regierung in Teheran lässt sich durchaus eine konstruktive Entspannungspolitik führen. Wenn man denn will...