Wie schlimm wird es werden?
In der US-amerikanischen Öffentlichkeit werden längst Umfang und Dauer der kommenden Rezession diskutiert
Eigentlich sei die Rezession in den USA schon da, so die Einschätzung des Wirtschaftsreporters Leonhard Zehr in einem kürzlich publizierten Artikel. Der berühmte amerikanische Verbraucher, der mit seinem privaten Konsum einen Großteil der Nachfrage der US-Wirtschaft generiert, habe dies noch vor der Wall Street gemerkt, erklärte der seit den 70ern das Wirtschaftsgeschehen kommentierende Zehr. Die Ergebnisse einer jüngst veröffentlichten Studie der Universität von Michigan zum Konsumentenvertrauen zitierend, musste dieser Veteran des Wirtschaftsjournalismus sein Gedächtnis doch arg strapazieren, um sich an ähnlich miese Werte erinnern zu können. So seien die Kaufabsichten für „größere Haushaltsgeräte“ der amerikanischen Verbraucher im Jahresvergleich dramatisch zurückgegangen. Es gebe in der dreißigjährigen Geschichte dieser Statistik nur zwei Perioden, die einen ähnlichen Einbruch im Konsumverhalten aufweisen. Das sei im Oktober 2001 und im Oktober 1990 der Fall gewesen, als die amerikanische Ökonomie in eine Rezession schlitterte.
Die Lager sind voll
Diese plötzliche Kaufzurückhaltung der scheinbar nimmermüden US-Konsumenten spiegeln die übervollen Lagerbestände zwischen New York und Los Angeles, die einen essenziellen Indikator einer aufziehenden, klassischen Überproduktionskrise kapitalistischer Ökonomien bilden. Laut der kürzlich von der US-Regierung veröffentlichten Daten nahm der Umfang der Lagerbestände des amerikanischen Großhandels allein im vergangenen September um 0,8 Prozent gegenüber dem Vormonat zu. Prognostiziert wurden hingegen nur 0,2 Prozent.
Ein vorläufiger Bericht des „Institute for Supply Management“ kommt zum Schluss, dass dieser Trend auch im Oktober anhielt. Demnach seinen die „Hersteller zusehendes besorgt über das Inventarniveau ihrer Kunden [der Großhändler – T.K.], mit wachsenden Vorräten bei einer weiten Anzahl von Sektoren, vom Plastik und Gummiprodukten, bis zu Nahrungsmitteln und Tabak.“
Im vierten Quartal dieses Jahres könnten die ohnehin mageren Wachstumsprognosen der US-Ökonomie durch diesen bislang statistisch unberücksichtigten Warenberg gänzlich nivelliert werden oder gar ins Minus driften. Der Wirtschaftswissenschaftler David Rosenberg beziffert diese zusätzliche, in Lagerhallen verstaubende, unverkaufte Warenmenge auf 18 Milliarden US-Dollar. All diese Güter müssen somit zuerst verkauft werden, bis die gegebene Nachfrage in den entsprechenden Wirtschaftszweigen die tatsächliche Warenproduktion stimuliert. Das Bruttosozialprodukt (BSP) käme dadurch im vierten Quartal „gefährlich nahe an die Kante, es könnte sogar ins Negative“ fallen, so Rosenberg. Die jüngste Konsumschwäche der US-Amerikaner bekommt auch der Einzelhandel zu spüren, da 70 Prozent aller in diesem Sektor tätigen Unternehmen und Konzerne im Oktober enttäuschende Verkaufszahlen aufwiesen, die unter ihren eigenen Erwartungen lagen.
“Recessiontalk“ von NYC bis LA
Angesichts dieser ernsthaften Signale verwundert es kaum, dass die Diskussion über Wahrscheinlichkeit, Ausmaß und Dauer der kommenden Rezession zusehendes über die Spalten der Wirtschaftspresse hinaus zu einem gewichtigen Themenkomplex innerhalb der amerikanischen Öffentlichkeit avanciert. Inzwischen hat die Wirtschaftsentwicklung den Irakkrieg als „größtes Problem“ in der öffentlichen Wahrnehmung verdrängt Alan Greenspan spricht nur noch davon, dass die US-Ökonomie mit einer Wahrscheinlichkeit von unter 50 Prozent in eine Rezession rutscht. Der ehemalige Chef der amerikanischen Notenbank (Fed) vergaß nicht, die Hypothekenkrise als die Hauptursache des wahrscheinlichen, konjunkturellen Einbruchs zu erwähnen. Doch seine konkrete Finanzpolitik, die die Förderung variabel verzinslicher Hypotheken beinhaltete und mit einer lang anhaltenden Periode niedrigster Zinsen zum Aufbau des Schuldenbergs privater US-Haushalte beitrug, erwähnte der immer noch beliebte Greenspan hierbei nicht.
Die Los Angeles Times stimmte ihre Leserschaft schon am 12. September in einem Leitartikel auf kommende Wirtschaftsturbulenzen ein. Man gehe von einer längeren Periode langsameren Wachstums aus und da brauche es „nicht viel, um in eine Rezession zu kippen“, erklärten die Autoren. Bis 2009 könne eine solche Schwächeperiode der US-Ökonomie andauern (ist leider nur noch per Bezahlarchiv einsehbar). Das Westküstenblatt gehört mit dieser Einschätzung zu den eher optimistischen Propheten künftiger Wirtschaftsentwicklung. Die New York Times ließ während der ersten heftigen Turbulenzen im August, als Notenbanken zusätzliche Milliarden in die Finanzmärkte pumpen mussten, den Ökonomen Paul Krugman einen Beitrag über „sehr angsteinflüssende Dinge“ schreiben:
Was auf den Weltfinanzmärkten in den letzten Tagen passierte, jagt Ökonomen wirklich Angst ein: Die Liquidität versiegte einfach. Das bedeutet, dass mit bestimmten Waren handelnde Märkte, die gewöhnlich immer aktiv sind – in diesem Fall waren es durch Hypotheken gesicherte Finanzinstrumente – geschlossen werden mussten, weil sie keine Käufer mehr fanden. Dies könnte sich als nur vorübergehende Panik herausstellen. Im schlimmsten Fall aber würde es eine Kettenreaktion platzender Kredite auslösen.
Diese berüchtigten, hochverzinslichen und hochspekulativen „Finanzinstrumente“, die CDOs (Collateralised Debt Obligations), wurden während der Hypothekenbonanza global vom Marktteilnehmer zu Martkteilnehmer nach einer Spekulationsfrist wie heiße Kartoffeln weitergereicht, bis nach dem Platzen dieser Spekulationsblase viele Finanzakteure – von der deutschen Regionalbank bis zum Heuschreckenkonzern – auf ihren „Wertpapieren“ sitzen blieben (Conduits, ABCP-Programme und CDOs). In den CDOs wurden von den Kreditgebern unterschiedlichste Hypotheken zusammengefasst und weiterverkauft, um erneut an Kapital für weitere Hypothekenkredite zu kommen. Dieses finanzwirtschaftliche Perpetuum-Mobile funktionierte wie geschmiert dank der – gelinde gesagt – äußerst großzügigen Bewertung durch die Rating-Agenturen, die selbst den größten Schrott vom hochspekulativen Subprime-Krediten als sicheren Anlagehafen auswiesen. Die Rating-Agenturen verdienten an dem Umsatz mit CDOs wohl zu gut, um wirklich objektiv zu sein.
Eigentlich weiß bis zum heutigen Tag niemand so genau, was in diesen kafkaesk komplexen Finanzdickicht von CDOs so alles verkauft wurde und wer sonst noch auf einstmals milliardenschweren Minen aus unverkäuflichen und wertlosen „Wertpapieren“ sitzt. Parallel zu der steigenden Zahl von Zwangsversteigerungen und geplatzten Träumen vom Eigenheim in den USA gehen auch die überzogenen Renditevorstellungen so manchen „Investors“ wieder zurück ins Reich der Phantasie. Henry Paulson, der derzeitige US-Finanzminister und ehemalige Vorsitzende der Investmentbank Goldman Sachs (einer der Nutznießer der CDO-Blasenbildung), warnte seine ehemaligen Kollegen aus der Finanzbranche vom schweren Zeiten, die auf sie zukommen würden. Die „Vertrauenskrise“ auf den Kreditmarkt werde schwerer wiegen als die finanziellen Schocks der vergangenen zwei Dekaden, zitierte die Financial Times Paulson. Die Unsicherheit hielte länger an als das Getümmel, das der Asienkrise, dem russischen Finanzkrach der 90er und dem lateinamerikanischen Verschuldungshorror der 80er folgte.
Die Auswirkungen der Hypothekenkrise auf die Gesamtwirtschaft der USA können schon jetzt erahnt werden. Am 18. November meldete Goldman Sachs, dass US-Banken durch die Verluste im Subprime-Sektor ihre Kreditvergabe um ca. zwei Billionen US-Dollar reduzieren könnten, was zu einem rapiden Rückgang der Investitionstätigkeit und einer ausgewachsenen Rezession führen könnte.
Amerikanische Apokalypse oder Weltwirtschaftskrise?
Es geht aber noch apokalyptischer. Während aus der Höhe des Immobilienbooms niemand an dessen Ende denken konnte, so haben jetzt die notorischen Schwarzseher Konjunktur. Futurist Paul Saffo war Berater des Word Economic Forum, er hat eine Stanford-Professur und ist Berater von Konzernen wie Samsung. Für Saffo ist es wahrscheinlich (Video), dass die Vereinigten Staaten als ein einheitliches staatliches Gebilde zur Jahrhundertmitte nicht mehr existieren werden. Die ökonomischen Krisenmomente seinen nur ein erster Schritt in einer langen Entwicklung, die – zusätzlich angetrieben von ökologischen und politischen Problemen - zum staatlichen Verfall und der Ausbildung von Stadtstaaten auf dem Territorium der USA führen werde.
Neben dem Abschwung im Immobilienmarkt und der Hypothekenkrise, die auch zu einem Rückgang der Bautätigkeit, zu restriktiver Kreditvergabe, Massenentlassungen im Bau- und Finanzsektor und der eingangs erwähnten Konsumflaute führen, wird der stetig steigende Ölpreis als ein weiterer Krisenherd angesehen. Ein Ölpreis von über 100 US-Dollar könnte die US-Wirtschaft sehr schnell in eine Rezession stürzen, meldete der Nachrichtendienst Bloomberg am 12. November. Japan und Europa seinen ebenfalls bedroht, da ihre Finanzmärkte durch den Zusammenbruch des Subprime-Hypothekenmarktes in den USA „kontaminiert wurden“.
Derzeit gehen die neusten Prognosen immer von einem Wachstum der US-Ökonomie im vierten Quartal 2007 von 1,5 Prozent aus, während das dritte Quartal noch eine Zunahme des Bruttosozialprodukts von 3,9 Prozent aufweisen konnte. Dieses solide Wachstum zwischen Juli und September ist hauptsächlich den durch die Fed gesenkten Zinsen und dem hierdurch fallenden Dollar zuzuschreiben, wodurch US-Produkte tatsächlich konkurrenzfähiger wurden und die Exporte der USA ansteigen (Kommt das "europäische Zeitalter"?).
Der derzeitige Notenbankchef Ben Bernanke und die Fed befinden sich in einer Zwickmühle: Falls Sie die Zinsen weiter senken, könnten sie eine massive, panikartige Fluchtbewegung von Anlegern und asiatischen Notenbanken – die inzwischen Billionenbeträge an Dollar gehortet haben - aus der Weltleitwährung auslösen und somit das Weltfinanzsystem nachhaltig beschädigen. Chinesische Finanzpolitiker erklärten bereits Anfang November, dass die Schwäche des Greenback sie dazu verleiten könnte, ihre Devisenreserven in Höhe von 1,4 Billionen US-Dollar in andere Währungen wie dem Euro zu überführen. Der Dollar sei dabei, seinen „Status als die Weltwährung zu verlieren.“ Wenn aber die Fed die Zinsen zu hoch hält, würgt sie die Inlandskonjunktur der USA endgültig ab. Bernanke scheint sich für eine expansive Geldpolitik entscheiden zu haben und die Notenpressen weiterhin heißlaufen zu lassen, sowie den Weltmarkt weiterhin mit US-Dollar zu überschwemmen. Kreative Methoden expansiver Geldpolitik hat der jetzige Fed-Chef schon während seiner akademischen Laufbahn erörtert:
So regte er einst als Wirtschaftsprofessor der Eliteuniversität Princeton an, einfach neues Geld zu drucken und es aus Hubschraubern über den USA abzuwerfen. Diese ungewöhnliche Geldpolitik brachte ihm unter Kollegen den Spitznamen "Helikopter Ben" ein.
Begleitet von einem heftig knarrenden, wenn nicht gar einstürzenden Finanzüberbau, geht eine weltökonomische Ära zu Ende, in der die Vereinigten Staaten als konjunkturelle Lokomotive der Weltwirtschaft fungierten. Die hochdefizitäre US-Wirtschaft, die mit nahezu jeder Weltregion ein Handelsdefizit aufweist, verschlang einem Schwarzen Loch gleich die Überschussproduktion der exportfixierten Nationen und Regionen Asiens und Europas – hier insbesondere des „Exportweltmeisters Deutschland“, dessen Exportwirtschaft ihre „Erfolge“ auf den Weltmarkt durch ein sinkendes Lohnniveau und massiven Sozialabbau erkaufte. Die USA sind nach dem EU-Raum der zweitgrößte Handelspartner der BRD. Doch diese guten Zeiten für Deutschlands exportorientierte Konzerne könnten nun vorbei sein, denn die USA werden als Absatzmarkt deutscher Luxusschlitten künftig keine solch herausragende Rolle mehr spielen.