Wie sensibel ist Wolfgang Clement?

Die Ministererlaubnis der Fusion von Tagesspiegel und Berliner Zeitung ist eine politische Entscheidung, eine sozialdemokratische Lösung gibt es nicht

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"Es ist ein sensibles Feld", sagte Wolfgang Clement am Ende des Anhörungsverfahrens, schob den Stuhl zurück und erhob sich für seine sonst eher forsche Art ungewöhnlich langsam. Eigentlich gibt es keinen besseren Mann für die Entscheidung, ob der Tagesspiegel und die Berliner Zeitung fusionieren dürfen. Clement ist Jurist und Journalist, der sich bei der "Westfälischen Rundschau" vom Volontär zum stellvertretenden Chefredakteur hochschrieb und später Chefredakteur von Deutschlands ältester Boulevardzeitung wurde, der Hamburger Morgenpost.

Als Machtmensch erkannte er irgendwann den Unterschied zwischen "Meinungen machen" und "Entscheidungen treffen", traf für sich eine Entscheidung und wechselte in die Politik. Als Sozialdemokrat wurde er 1998 Ministerpräsident in NRW und ist seit 2002 Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit, wegen des Zuschnitts der mächtigen Ressorts auch "Superminister" genannt. Als solcher sitzt er nun in der Aula seines Regierungspalastes und versprüht die Souveränität eines großen Amtes. Hört, wie ihn die einstigen Branchenkollegen mit "sehr geehrter Herr Minister" anreden, ihm mit "bedenken Sie das bei Ihrer Entscheidung" ins Gewissen flüstern.

Der Sachverhalt ist unstrittig. Es geht um den Berliner Zeitungsmarkt für regionale Abonnementszeitungen. Der Verlagsgruppe Holtzbrinck gehört der Tagesspiegel (Auflage etwa 139.000). Sie möchte die Berliner Zeitung (192.000) von Gruner + Jahr kaufen. Der Axel Springer Verlag, dem die Berliner Morgenpost (150.000) gehört, möchte das gerne verhindern. Die Frage ist nun: Dürfen die Nummer eins und Nummer drei am Markt fusionieren?

Publizistische Vielfalt soll durch Marktkonzentration gesichert werden

Das Bundeskartellamt war im Dezember 2002 dagegen, die unabhängige Monopolkommission auch. Holtzbrinck hätte damit über 60% vom Lesermarkt im besagten Segment, eine "überragende Marktstellung", wie man unisono befand. Noch dramatischer sieht es bei den Berliner Stadtillustrierten aus, wo Holtzbrinck neben dem Zitty nach der Fusion auch der Tip (Gruner + Jahr) gehören würde, fast 90% des Lesermarktes. Mitbewerber Prinz könnte seine Werbebemühungen gleich einstellen.

Nun soll der Superminister entscheiden, ob die Ehe nicht doch noch geschlossen werden kann. Das juristische Werkzeug dazu ist die Ministererlaubnis nach § 42 Abs. 4 Satz 2 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen, kurz GWB. Eine sehr enge Ausnahme, dass weiß auch Jurist Clement, die nur im Interesse des "Gemeinwohl" erlassen werden darf. Um das Gemeinwohl zu definieren, hatten die Streitparteien jeweils eine ganze Armada von Juristen, Beratern und Berater-Beratern auf die Rednerliste setzen lassen.

Den Anfang machte Dr. Stefan von Holtzbrinck. Er drohte im schönsten Wirtschaftsdeutsch mit dem "Marktaustritt" des Tagesspiegels, die Rede war von 300 betroffenen Arbeitsplätzen. Seine Argumentationskette: Der Tagesspiegel hat sämtliche "Rationalisierungspotzenziale" ausgeschöpft, ist dennoch defizitär. Rettung liegt allein in der Fusion mit der Berliner Zeitung, in "Stadt-Stadt-Synergien" bei Anzeigen, Druck und Vertrieb. Zum Erhalt der publizistischen Vielfalt auf dem Zeitungsmarkt Berlin ist die Fusion mithin nötig.

Rein logisch ist das die Quadratur des Kreises. Holtzbrinck will die publizistische Vielfalt durch eine weitere Marktkonzentration sichern. Da hatte Superminister Clement natürlich ein paar Fragen. Es waren Super-Einwürfe, die manchmal wie Daumenschrauben wirken. Er fragt nach weiteren Einsparungspotenzialen beim Tagesspiegel, nach eventuellen Kaufinteressenten und danach, ob man das Blatt trotz Defizit nicht als Renommeeobjekt weiterführen wolle. Anmerkung am Rande: Die Holtzbrinck-Gruppe - "wir sind ein Familienunternehmen" - schreibt für 2001 einen konsolidierten Umsatz von 2,3 Milliarden Euro, der Gesamtverlust des Tagesspiegel liegt hingegen bei portokassenverdächtigen 75 Millionen Euro.

Holtzbrinck verneint alle Fragen des Superministers. Weitere Einsparungen gingen nur zu Lasten des redaktionellen Konzepts, mit dem sich der Tagesspiegel als Qualitätszeitung mit "nationaler Strahlkraft" seine steten Auflagenzuwächse erarbeitet habe. Auch wenn man nachhaltig und langfristig denke, die Schulden des Tagesspiegel möchte man nur endlich abbauen. Auch das eine interessante Kausaldenke: Man produziere Qualität ohne Kostendeckel, wundere sich dann über mangelnde Rentabilität und suche schließlich Hilfe beim Superminister.

Immer wieder gab es Befürchtungen, Holtzbrinck könnte nach der Fusion die Redaktionen von Tagesspiegel und Berliner Zeitung vereinen. Im vorauseilenden Gehorsam beantragte Holtzbrinck nun die Ministererlaubnis mit der Auflage eines Stiftungsmodells für den Tagesspiegels. Das ist quasi eine Redaktionsmauer zwischen Ost (Berliner Zeitung) und West (Tagesspiegel), natürlich im Namen der publizistischen Vielfalt. Die Idee: Holtzbrinck und Tagesspiegel-Stiftung schließen einen Werklieferungsvertrag über 20 Jahre. Der Tagesspiegel liefert Content und untersteht einem unabhängigen Stiftungskuratorium. Holtzbrinck sorgt für die Verlagsseite (Anzeigen, Druck, Vertrieb) und garantiert ein ausreichendes Redaktionsbudget.

Eine schöne Idee mit einigen Haken. Was ist, wenn sich Holtzbrinck trotz Fusion den Tagesspiegel nicht mehr leisten kann? Was ist, wenn die redaktionelle Qualität des Tagesspiegel einknickt? Wer garantiert die Unabhängigkeit der Redaktion der Berliner Zeitung? Und überhaupt: Darf Minister Clement seine Erlaubnis mit einer Auflage versehen? Ziemlich viele Fragen also, mit denen Holtzbrinck seinen Antrag schließt. Man wird den Eindruck nicht los, dass Holtzbrinck mit dem Kauf der Berliner Zeitung zunächst Fakten schaffen wollte, sich dann über den Gegenwind wundert und nun nach Kräften gegenrudert und droht. Darüber lachen kann nur Gruner + Jahr.

Auch vom Hause Spinger wird gedroht

Als nicht minder mager erweist sich der Auftritt der Konkurrenz, der juristisch- journalistischen Intelligenz aus dem Hause Axel Springer, Europas größtem Zeitungshaus. Vorstandsriese Döpfner hatte vorweg schon mal mit der Einstellung von Welt und Berliner Morgenpost gedroht, sollte die Fusion erlaubt werden. Clement erwähnte diesen Brief in der Verhandlung, wobei ihm die Verwunderung ins Gesicht geschrieben stand. Er nannte ihn "ungewöhnlich".

Ungewöhnlich ungeschickt war auch der Vortrag von Ex-ZDF-Mann Dieter Stolte, nun Mitherausgeber der Welt. Er betonte, dass der Springer-Verlag mit der Umwandlung von einer Personen- in eine Mehrheitsgesellschaft unrentable Objekte gegenüber den Aktionären nur schwer rechtfertigen könne. Da fragte Clement pikant nach: "Die Welt wird also so oder so eingestellt?" So verlegen um Worte hat man Stolte selten gesehen. De facto sind die Springer-Blätter Welt und Berliner Morgenpost durch eine enge Zwangssymbiose von Redaktion und Verlag auf Gedeih und Verderb aneinander gekettet. Was die Morgenpost wirtschaftlich anficht, etwa die Fusion, gefährdet auch die Welt.

Stoltes Eigentor war nicht das einzige auf Springer-Seite. Sie zog die Diskussion vom Lesermarkt, wo die "marktbeherrschende Stellung" von Holtzbrinck nach der Fusion klar ist, in den streitbaren Anzeigenmarkt, genauer ins Rubrikenanzeigengeschäft (Stellenanzeigen, Annoncen, etc.). Also dorthin, wo die Berliner Morgenpost eine unangefochtene Marktdominanz hat. Zu allem Überfluss verteilten übereifrige Springer-Helfer Umsatzstatistiken mit Tortendiagrammen, bei denen die Erhebungsgrundlage der Wochentage nicht stimmte. All das bemerkte Clement sehr genau, ohne dass ihm ein verdächtiger Kommentar entglitt.

Der rote Superminister wird den Schwarzen Recht geben müssen

Nur in einem Punkt war dem Superminister anzusehen, dass seine Souveränität etwas litt. Es war die alles entscheidende Frage dieser Veranstaltung: Ist er überhaupt für die Genehmigung zuständig? Juristen nennen das "Verbandskompetenz". Strittig ist, ob der Wirtschaftsminister im Namen der Pressefreiheit (Artikel 5 Grundgesetz) die Fusionserlaubnis erteilen muss (Holtzbrinck-Anwälte). Oder ob Bundesminister Clement sie gar nicht nach § 42 GWB erteilen darf, weil laut Verfassung die Kulturhoheit, also jede presserechtliche Entscheidung, klar Ländersache ist (Springer-Anwälte). Eine Verfassungsklage schwang irgendwie immer mit bei der Springer-Juristen, was das Drohungsszenario nicht eben appetitlicher machte.

Der Aufritt der vielen Juristen, die sich in ihrem Herrschaftswissen sichtbar sonnten, zeigte, dass die letztendliche Entscheidungsgewalt inzwischen von der Exekutive zur Legislative abgewandert ist. Jede halbwegs politisch brisante Entscheidung wird von den Streitparteien durch alle nur denkbaren Instanzen gepaukt. Manchmal hat man den Eindruck, die wahre Bundesregierung sitze in Karlsruhe beim Bundesverfassungsgereicht. Vielleicht hätte Machtpolitiker Clement doch Jurist werden sollen. Karlsruhe hin oder her, für Clement steht vor der juristischen Entscheidung zunächst eine politische. Dass es bei seinem Votum um Politik geht, darauf machte ein Springermann den "sehr geehrten Herrn Minister Clement" von der SPD gerne aufmerksam. Politische Couleur dürfe den Fall nicht entscheiden, mahnt er.

Sie wird es aber, weil Clement zwar kein Roter ist, bei dem das Herz links schlägt, aber dennoch einer, der zur immer politischer agierenden Springerpresse eine klare Meinung hat. Nur zu gerne würde einer wie er die Marktdominanz der rechten Agitationspresse brechen und dem linksliberalen Holtzbrinck Verlag etwas mehr Meinungsmacht zuschanzen. Aber er kann es nicht. Schafft er durch seine Ministererlaubnis einen Präzedenzfall, wird sich Springer bei seinen zukünftigen Einkaufstouren durch die defizitäre Kleinverlegerlandschaft deutscher Städte und Gemeinden gerne darauf berufen. Und das ist ganz bestimmt nicht zum Gemeinwohl.

So wird der Rote wohl oder übel den Schwarzen Recht geben und die Ministererlaubnis ablehnen müssen. Es gibt in diesem Fall keine sozialdemokratische Lösung. Und es gibt auch keine "sensible" Lösung. Darf man die Herrschaften aus dem Hause Holtzbrinck beim Wort nehmen, wird es den wirklich gut gemachten Tagesspiegel schon alsbald nicht mehr geben. So kompliziert ist Politik. Der Job also, den sich Jurist und Journalist Clement ausgesucht hat, weil man Entscheidungen treffen kann. Das will er bis zum 13. Mai tun.