Wie sich Kriegsgegner vom Kreml-Verdacht befreien können
Washington-Post-Artikel über Moskauer Pläne für deutsche Politik bringt Kriegsgegner in Bedrängnis. Einmal mehr gelten sie als "gesteuert". Doch es gibt einen Ausweg. Ein Kommentar.
Viele deutsche Medien stürzten sich sofort auf einen Bericht der Washington Post über geheime Kreml-Planungen, die deutsche Politik durch ein moskaufreundliches Projekt aus Rechten und Linken zu beeinflussen. Diskreditierte sie doch in Deutschland Politikerinnen, die wie Sahra Wagenknecht ohnehin schon lange auf der Abschussliste vieler Journalisten stehen, die nahe am Mainstream schreiben.
Die Protagonisten aus der AfD und dem Wagenknecht-Umfeld gaben sich in Stellungnahmen unwissend über entsprechende Moskauer Pläne. Unwissend sind sie wahrscheinlich wirklich, denn der Kreml teilt geheime Planungen nicht unbedingt mit den Instrumenten, die sie in die Tat umsetzen sollen. Zum anderen betonten die Angegriffenen ihre Opferrolle in der entstandenen Medienkampagne. Manche rückten die Enthüllungen in den Bereich der Fake-News.
Unterstellung der Kreml-Nähe nicht ohne Mitschuld
Dass Personen wie Sahra Wagenknecht beim Thema Russland von politischen Gegnern so leicht in Kreml-Nähe gerückt werden können, haben sie aber teilweise auch selbst zu verantworten. Es bleibt ihnen unbenommen, gegen Waffenlieferungen in die Ukraine einzutreten. Waffen beenden selten Kriege, Verhandlungen häufiger.
Für ihre Forderung nach einem sofortigen Waffenstillstand gibt es gute Argumente gegenüber der gefährlichen Strategie beispielsweise der Grünen, auf einen militärischen Sieg der Ukraine über Russland zu setzen.
Dennoch ist es bei linken deutschen Kriegsgegnern unverständlich, warum sie sich mit Kritik am Kreml teilweise stark zurückhalten. Gerade die Leitfigur Wagenknecht äußert sie nur in "Ja, aber"-Manier kritisch in Richtung Moskau, immer ergänzt durch Relativierungen im direkten Anschluss.
Es ist ja nicht nur ein Fakt, dass Russland die Ukraine überfallen hat. Auch der momentane Umbau Russlands zu einer totalitären Diktatur im Inneren ist unbestreitbar und erfordert deutliche linke Kritik. Nur bei der AfD ist dieses Versäumnis leichter erklärbar – denn deren innenpolitische Wunschvorstellungen sind von dem, was aktuell in Russland geschieht, nicht so weit entfernt wie bei demokratischen Parteien.
Dabei wäre es sehr leicht zu argumentieren, warum auch mit einem innenpolitisch autoritären Russland möglichst schnell Frieden geschlossen werden soll: Jeden Tag sterben Menschen im Krieg. Andere, dem Westen freundlicher gesinnte Diktatoren wie Aserbaidschan nutzt die westliche Politik gerne als Lieferanten und führt gegen sie keinen Feldzug.
Doch all das macht das die Dinge, die gerade in Russland geschehen, wie die Vertreibung jeder unabhängigen Presse, die Entsendung einer kämpfenden Armee in das Nachbarland und die Inhaftierung zahlreicher Kriegsgegner mit autoritärer Gesetzesgrundlage nicht besser.
Warum die Strategie nicht aufgehen würde
Die Mächtigen im Kreml haben aktuell offenbar Berater, die nicht ganz auf der Höhe der Möglichkeiten ihres Landes sind. Denn unabhängig von der Echtheit der Belege, auf die sich die Washington Post beruft, war in den letzten Jahren eine solche Strategie in russischen Auslandsmedien erkennbar.
Anders, als von pauschal antirussischen Medien behauptet, ist nach Ansicht von Leuten, die dort schon gearbeitet haben, die russische "Trollfabrik" nicht effektiv.
Der deutschsprachige Staatssender RT DE hat eine erheblich gesunkene Reichweite, russische Hacker können keine Volksstimmung ändern und selbst die russischstämmige Bevölkerung in Deutschland steht nicht wirklich mehrheitlich auf Kreml-Seite.
Hinzu kommt, dass eine deutsche Bewegung am besten diskreditiert werden kann, wenn sie Unterstützung durch den Kreml erhält - jede Zusammenarbeit ist also für den deutschen Wunschpartner kontraproduktiv, weshalb selbst die AfD ihre guten Beziehungen zur russischen Regierungspartei immer wieder herunterspielt.
Dass Protestbewegungen gegen das deutsche Establishment aktuell im Stimmungshoch sind, liegt an innerdeutschen Ursachen, nicht an einer Fernsteuerung Deutschlands aus Moskau.
Der einfachste Weg aus der Schmähzone
Die deutschen Kriegsgegner haben eine sehr einfache Möglichkeit, im Interesse eines baldigen Friedens aus der für sie unangenehmen Sache herauszukommen. Sie müssten nur mit den Kriegsgegnern aus Russland selbst zusammenarbeiten – im gemeinsamen Bestreben, den Krieg zu stoppen.
Nicht nur, weil ein Krieg sich durch Bewegungen von beiden Seiten am effektivsten beenden lässt. Auch, weil es nötig ist, russische Kriegsgegner im Exil aus der aktuell intensiven Betreuung derer herauszureißen, die im Westen den Kampf gegen Russland bis zum Endsieg propagieren.
Denn diese Strategie muss nicht das Ende der Regierung Putin oder ein freieres Russland bedeuten, was vielen Oppositionellen vorschwebt. Vielmehr zeigt das Beispiel der Sanktionen und Boykotte, dass sich Strategien des Westens auch rein negativ für die russische Normalbevölkerung auswirken können, ohne dass dadurch Putins Stellung im Kreml ins Wanken gerät.
Der Krieg bedeutet nur sicher noch viele weitere Tote, unter den Ukrainern ebenso wie unter ihren russischen Landsleuten.
Weiterhin würde jede Zusammenarbeit mit russischen Kriegsgegnern auch verhindern, dass deutsche Friedensbewegte jemals wieder vom Kreml als potentielle Verbündete angesehen werden.
Denn eigene Kriegsgegner sind für Russlands Establishment schon durch diese Eigenschaft "ausländische Agenten", ja Kriminelle und jeder ihrer guten Kontakte im Westen kein potentieller Partner. Vor allem, wenn sie zunehmende Missstände in Russland selbst benennen. So würde es nicht zum Entstehen weiterer, von der Realität weit entfernter Kreml-Strategiepapiere kommen.