Wie sich die Linke selbst abschafft
Seite 2: Rechts gegen "Querfront"?
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Doch dann gibt es noch die andere linke Erzählung zur Wahl in Hildburghausen. Für Die Linke vor Ort ging es bei der Stichwahl nicht um eine Frage rechts gegen links. Die Sache sei schon komplexer, zur Wahl hätten eher Rechts gegen "Querfront" gestanden, sagt ein Mitglied des Kreisvorstands Hildburghausen. Es verweist darauf, dass sich Kirner bei der Abwahl Kummers auch der Unterstützung von Rechten bedient habe. Zudem moniert sie, dass Kirner bei Protesten gegen die Corona-Maßnahmen mitgelaufen sei und damit auch die Erzählung befeuert hätte, ein linker Bürgermeister gehe gegen friedliche Demonstranten vor.
Nach Medienberichten hatte Kirner zu dieser Auseinandersetzung gemeinsam mit einem Pfarrer und einer Grünen-Politikerin einen "Bürgerdialog" moderiert, an dem sowohl Bürgermeister Tilo Kummer als auch Landrat Thomas Müller (CDU) und Landespolizeiinspektions-Chef Wolfgang Nicolai teilgenommen hatten.
Kirner versuchte sich demnach eher als Brückenbauer zwischen Linken, bürgerlichen Demokraten und diffus Unzufriedenen, die vielleicht teilweise für rechte Parolen anfällig sind – nicht aber an einer "Querfront", in der Linke mit rechten Organisationen oder Kadern zusammenarbeiten. Letztere wussten dann bei der Stichwahl auch genau, dass sie ihn auf keinen Fall als Stadtoberhaupt wollten.
Tatsache bleibt, dass das Ergebnis der Bürgermeisterwahl eine Niederlage für Die Linke in einer Stadt war, die einmal den ersten PDS-Bürgermeister gestellt hatte. Folgt man dieser Erzählung, ist die Situation der Linken desolat. Sie zeigt auch, welche Verwerfungen die Corona-Jahre und dann auch noch der Krieg in der Ukraine im sogenannten linken Lager ausgelöst haben. Es stand – wie so oft bei den Wahlen der letzten Zeit – im klassischen Sinn gar nicht mehr zur Wahl.
Wenn die Linke nicht einmal mehr zur Wahl steht
Sind das schon die italienischen Verhältnisse, vor denen der Mitarbeiter der Rosa-Luxemburg-Stiftung, Ingar Solty am Donnerstagabend auf einer Diskussionsveranstaltung unter dem Motto "Die Linke ist tot, es lebe die Linke" in Berlin warnte? Eingeladen hatte das transnationale linke Netzwerk Platypus, das sich der Kritik an linker Theorie und Praxis widmete. Gleich zu Beginn wurde schon die Begrenzung des Diskussionsfelds benannt. Man hatte niemand eingeladen, der die Frage der Partei nicht als das größte Problem der gesellschaftlichen Linken ansah.
Da gibt es historische Argumente – Rätekommunisten propagierten schon vor mehr als 100 Jahren, dass die Revolution keine Parteisache sei. Andere lehnen Parteien nicht generell ab, sehen sie aber hier und heute nicht als relevant für eine linke Praxis an. Aber auch in der Diskussion mit den prinzipiellen Vertretern der Position, dass eine starke linke Massenpartei nötig sei, zeigten sich große Unterschiede.
Hier wurde noch einmal auf theoretischer Ebene deutlich, was sich in Orten wie Hildburghausen in der Praxis zeigt: Das linke Lager ist eher eine Floskel als eine Realität. Da forderte Sebastian Schneider vom trotzkistischen Projekt Klasse gegen Klasse mit dem Verweis auf eine bestimmte Trotzki-Rezeption eine revolutionäre Partei. Dabei bezog er sich auf eine Schrift von Leo Trotzki im Exil, in der dieser sehr richtig dafür plädierte, sich mit Blick auf die Französische Revolution auf deren fortschrittlichste Traditionen zu beziehen. Also nicht auf Napoleon, der die Französische Revolution beendet hatte wie Stalin die Oktoberrevolution.
Doch dann fällt Trotzki als fortschrittlichster Teil der Französischen Revolution jener Jakobiner-Konvent ein, der ja ein Interessenvertreter des Bürgertums war und die Selbstorganisation der Plebejer, der Vorläufer des Proletariats, weiter unterdrückte. Sie zu organisieren und einen Aufstand der Gleichheit vorzubereiten, war das Ziel der Assoziation "Verschwörung der Gleichen". Die Orientierung an dem jakobinischen Konvent zeigt schon, dass damit an ein bürgerliches Konzept angeknüpft wird.
Die Ignoranz gegenüber Forderungen der Erwerbslosen
Praktisch kann man das an den Ausführungen des linkssozialdemokratischen Gewerkschaftssekretärs Ralf Krämer sehen, der mittlerweile aus der Partei Die Linke ausgetreten ist und wohl eine neue Partei, wie sie Sahra Wagenknecht möglicherweise anstrebt, unterstützten würde.
Krämer hatte schon längere Zeit Konflikte mit dem gegenwärtigen Mehrheitsflügel in der Linkspartei gehabt. Sein unmittelbarer Austrittsgrund war aber das Ergebnis einer Mitgliederbefragung zur Frage eines bedingungslosen Grundeinkommens in der Partei. Die Mehrheit war dafür – und ein sozialdemokratischer Gewerkschaftssekretär sieht hier die Gefahr, dass er als Vermittler im Konflikt zwischen Kapital und Lohnarbeit an Bedeutung verlieren könnte. Zudem sieht er das Gespenst des leistungslosen Einkommens.
So sprach sich Krämer denn auch ganz im Sinne von Wagenknecht für Leistungsgerechtigkeit aus und formulierte das erfreulich: Wer mehr für die Gesellschaft leiste, solle auch mehr verdienen. Damit knüpft er die Rechte von Menschen an einen ominösen Leistungsbegriff. Das sehen viele arme Menschen mit Recht als Gefahr. Daher ist eben das bedingungslose Grundeinkommen nicht nur, wie Krämer und Wagenknecht behaupten, ein neoliberales Projekt, sondern in einer egalitären Form auch eine Forderung von einkommensschwachen Menschen.
Sie wurde und wird in Teilen der Erwerbslosenbewegung propagiert, die sich gegen Hartz IV wandte. Der Gründungsmythos der Partei Die Linke besagt, dass aus dieser Bewegung jene Gruppen hervorgingen, die dann mit der PDS den Relaunch der Partei bewerkstelligten. Dabei zeigt eben die Positionierung Krämers gegen eine zentrale Forderung dieser Erwerbslosen, dass lange Zeit nicht sie, sondern ein Teil der linkssozialdemokratischen Gewerkschaftsbürokratie in der Partei den Ton angaben.
Wenn dann eine Forderung dieser unabhängigen Erwerbslosenbewegung zum Parteiaustritt führt, ist das auch ein Zeichen. Sie kann er also nicht gemeint haben mit den Menschen, denen angeblich eine politische Heimat fehlt. Hier gibt es durchaus Überschneidungen zu Florian Kirner, der von der Heimatlosigkeit von Menschen spricht, "die sich in keinem politischen Angebot des früheren ‚linken Lagers‘ wiederfinden". Anders als Krämer setzt Kirner auch wenig Hoffnungen in ein neues Parteiprojekt mit Wagenknecht und Co. Desillusioniert habe ihn seine Arbeit bei der Sammlungsbewegung Aufstehen, sagt er gegenüber Telepolis.
"Sahra Wagenknecht kann, nach meiner persönlichen Erfahrung, leider überhaupt nicht organisieren und ist als Team-Spielerin nicht geeignet. Sie verbindet eine in weiten Teilen sehr richtige Kritik der herrschenden Politik mit einem sehr problematischen Führungsstil", formuliert er seine Ernüchterung.
Der Wahlausgang im kleinen Hildburghausen, wo Kirner am 18. Juni mit 42 Prozent der abgegebenen Stimmen unterlag, zeigt ebenso wie die Podiumsdiskussion im akademischen Rahmen die aktuellen Probleme der Linken – nicht nur der Partei, sondern der gesellschaftlichen Kraft insgesamt.
Daher ist auch die Warnung von Ingar Solty ernstzunehmen, dass ein endgültiges Verschwinden der Linkspartei aus den Parlamenten auch die gesellschaftliche Linke weiter marginalisieren würde. Diesen Befund kann man sich auch als Kritiker der Parteiform nicht schönreden. Denn die Rätebewegung als große Alternative steht eben momentan – anders vor 100 Jahren – nicht bereit, dafür aber verschiedene irrationalistische und faschistische Scheinalternativen.