Wie sich die Linke selbst abschafft

Ein linkes Selbstverständnis haben viele, die sich nicht einig sind, gegen wen es geht und wofür es sich lohnt, zu kämpfen. Bild: kalhh / Pixabay Licence

Beobachtungen vom Wahlausgang aus einer Kleinstadt in Thüringen und einer Debatte im akademischen Rahmen. Braucht das linke Lager eine neue Partei oder andere Organisationsformen?

Warum blicken jetzt so viele Medien auf den kleinen thüringischen Ort Sonneberg? Weil sich dort gerade an diesem Sonntag entscheidet, ob die AfD einen Landrat stellen kann. Bei der Stichwahl stehen sich ein AfD-Kandidat und ein CDU-Mitglied gegenüber. Letzteres wird von einer ganz großen Koalition von der Linkspartei über Grüne und SPD bis zur FDP unterstützt.

Die AfD lässt die Gelegenheit nicht aus, von einer Neuauflage der Nationalen Front in der DDR zu polemisieren. Nun fragen sich wieder Kommentatoren von Medien, die erst mal googeln mussten, wo Sonneberg liegt, ob die berühmte "Brandmauer" hält, die die AfD von der Macht fernhält – und geht es nur um den weitgehend einflusslosen Posten eines Landrats.

Auch Hildburghausen ist nicht so weit von Sonneberg entfernt, nicht geographisch und noch weniger politisch. Die Stadt wurde lange Zeit von Mitgliedern der Partei Die Linke beziehungsweise deren Vorgängerpartei PDS im Amt des Bürgermeisters regiert, erst 18 Jahre lang von Steffen Harzer, darauf folgte ab 2014 für sechs Jahre ein CDU-Mitglied, bis 2020 mit Tilo Kummer wieder ein Linke-Politiker zum Stadtoberhaupt gewählt wurde. Dessen Abwahl wegen des Vorwurfs der schlechten Amtsführung wurde allerdings von einer ganz großen Koalition betrieben, die von weit rechts bis zu ehemaligen Unterstützern reichte.

Zu letzteren gehörte auch Florian Kirner, der im Gespräch mit Telepolis betont, dass er sogar für kurze Zeit Mitglied der Linkspartei geworden sei, um Kummer bei der Bürgermeisterwahl zu unterstützen. Warum er dann später für seine Abwahl eingetreten ist, begründet Kirner gegenüber Telepolis:

Ich hatte Tilo Kummer im Wahlkampf 2020 sehr aktiv unterstützt, musste aber leider bald erkennen, dass er der Aufgabe nicht gewachsen gewesen ist. Die Situation war am Ende außer Kontrolle, die Stadtverwaltung extrem zerstritten und in wesentlichen Teilen nicht mehr handlungsfähig.


Florian Kirner

Für Kirner lagen die Gründe für das Desaster auch beim Bürgermeister. "Kummer lag aber am Ende wie ein toter Fisch im Wasser. Man konnte das nicht mehr weiter laufen lassen." Kirner kandierte daraufhin als Parteiloser selbst für das Amt des Bürgermeisters und kam in die Stichwahl gegen Patrick Hammerschmidt. Auch der ist parteilos, wurde aber von einer illustren Runde unterstützt, die man laut Kirner auch "Querfront" nennen kann.

Die beinhaltet wirtschaftliche Akteure wie einen örtlichen Baumarkt und einen Eventveranstalter, einige starke Vereine und eine Allianz im Stadtrat. Letztere setzt sich zusammen aus Pro-HBN, einer CDU-Abspaltung, Liste Feuerwehr, AfD und dem Stadtrat das offen neofaschistische Bündnis Zukunft Hildburghausen (BZH).

Da gab es das linke Lager in Hildburghausen nicht mehr

Da standen sich zumindest von Außen betrachtet in der Stichwahl also zwei Parteilose gegenüber: Hammerschmidt, der von einem Bündnis aus regionaler Wirtschaft und rechten Parteien unterstützt wird und Florian Kirner, der unter seinen Künstlernamen Prinz Chaos vor mehr als 15 Jahren aus München nach Südthüringen gezogen ist, der dort Musikfestivals organisiert und auch schon durch eine Kooperation mit Konstantin Wecker bekannt wurde. Ein freigeistiger Künstler, der sich auch schon lange als schwul geoutet hatte, steht einem von Rechten unterstützten Mann der Wirtschaft gegenüber.

So zumindest scheint es von außen. Dann schließt sich sofort die Frage an, was macht die Partei Die Linke in Hildburghausen, wo sie immerhin im Stadtrat noch die stärkste Partei ist? Sie nennt die Wahl zwischen Kirner und Hammerschmidt eine Entscheidung zwischen "Pest und Cholera" und ruft dazu auf, die Stimmen ungültig zu machen.

Neonazis kommunizierten unterdessen sehr deutlich, wer aus ihrer Sicht auf keinen Fall gewählt werden sollte – nämlich Florian Kirner – und riefen, wenn auch ohne Absprache mit diesem, zur Wahl von Patrick Hammerschmidt auf.

Die Linke, die ohne Probleme einen Kandidaten der FDP oder CDU unterstützt, wenn es um den Kampf gegen Rechts geht, kann sich also nicht durchringen, einem Linken, der sogar mal in der eigenen Partei war, ihre Stimmen zu geben, um einen Kandidaten zu verhindern, zu dessen Wahl extreme Rechte aufrufen?

Nicht nur Kirner sieht darin ein Beispiel, wie sich Die Linke als Partei selbst überflüssig macht. In der Stadt, in der sie über viele Jahre den Bürgermeister stellte, blieb sie unter neun Prozent. "Die hiesige Linke muss sich derweil grundsätzliche Fragen stellen. So haben alleine in den letzten Wochen die Fraktionsvorsitzende der Linken im Kreistag, eine Linke-Stadträtin und ein Mitglied des Stadtvorstands die Partei verlassen", beschreibt Kirner die Krise der Partei am Beispiel Hildburghausen.