Wie sollen wir Bürger noch "lokal handeln"?
Es ist derzeit nicht gut um Bürgerenergieprojekte bestellt. Wir schauen uns einige an.
2005 wurde das Dorf Jühnde in Niedersachsen zum ersten Bioenergiedorf Deutschlands. Aus Mais und Abfällen aus der Land- und Forstwirtschaft wurde Biogas erzeugt. Neben der Grünstromerzeugung wurde ein Wärmenetz gebaut. Bald kamen Besucher aus aller Welt - von den USA bis Japan -, um das weit verbreitete Konzept zu sehen.
Teil 1: Energiewende: Über Werte reden, nicht nur über Preise
Teil 2: Das Geheimrezept für die Bürgerenergie: Bankability
2019 wurde das Bürgerprojekt jedoch von einem größeren Energieversorger übernommen. In den letzten Jahren waren höhere Auflagen für Biomasseanlagen hinzugekommen, und die Einspeisevergütung über 20 Jahre wäre sowieso bald ausgelaufen. Die Bürger hätten also bei zunehmender Unsicherheit neu investieren müssen. Das Dorf war gespalten, aber am Ende entschied sich eine Mehrheit für den Verkauf.
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Deutschland hat also ein Leuchtturmprojekt verloren, aber noch trauriger ist, dass darüber kaum berichtet wurde. Selbst Hans-Josef Fell, Koautor des Erneuerbaren-Energien-Gesetzes von 2000, wusste im April nichts davon: "Ich war oft in Jühnde. Es war ein großartiges Beispiel für Bürgerengagement. Es ist traurig, dass ein großer Mitspieler sie übernommen hat. Diese Geschichte zeigt aber, wohin die Richtung geht."
Natürlich gibt es noch viele Leuchtturmprojekte: zum Beispiel Feldheim (Brandenburg), Wildpoldsried (Bayern), oder den Landkreis Rhein-Hunsrück (Rheinland-Pfalz). In Rhein-Hunsrück war einst Mörsdorf (700 Einwohner) ein Touristenziel. "Bevor man begonnen hat, nach Mallorca zu fliegen, kamen die Stadtbewohner zu uns. Man nannte das 'Sommerfrische'", weiß Frank-Michael Uhle, Klimaschutzmanager im Landkreis.
In den 90ern wollten einige Bürger - "sie wurden die ‚Brückenträumer‘ genannt", so Uhle - eine Hängebrücke bauen, um Touristen wieder anzulocken. Nur das Geld fehlte. "Die Kommunen hatten teils nicht mal 5.000 Euro im Jahr, das sie frei vergeben konnten", sagt Uhle. Die größte Hängebrücke Europas für Fußgänger würde aber eine Million kosten.
Gleichzeitig gründete sich eine Bürgerwindgruppe, als Teil der Agenda 21. Wir erinnern uns: global denken, lokal handeln. In Deutschland konnten lokale Agenda-21-Gruppen das Einspeisegesetz von 1991 nutzen, um selbst Windanlagen zu bauen.
In Rhein-Hunsrück hat die Bürgergruppe den ersten Windpark im Kreis gebaut. Später kamen viele Windparks dazu, fast alle auf kommunalem Grund. Pachteinnahmen flossen in die Kassen, und plötzlich hatten Gemeinden, denen früher 5.000 Euro fehlten, Hundertausende im Jahr. 2015 wurde die Geierlay-Brücke dann doch gebaut, auch dank EU-Finanzierung.
"Seitdem kehrt die Sommerfrische zurück", berichtet Uhle. So gebe es kein leerstehendes Gebäude mehr in Mörsdorf. Die Bäckerei hat jetzt auch sonntags auf, und mehrere Gaststätten sind hinzugekommen. Mehr noch: "Menschen aus den Städten kaufen hier Häuser mit Anschluss ans Wärmenetz und Glasfaser-Internetschluss" - alles teils durch die Einnahmen aus mittlerweile 270 Windanlagen finanziert.
Was Uhle aber noch wichtiger ist: Die Einnahmen werden auch verwendet, um alle Bevölkerungsschichten zu beteiligen: Energie-Beratung, Bürgerbusse, den Austausch von Haushaltsgeräten wie LED-Lampen und A+++-Kühlschränken - das alles wird mit finanziert durch Einnahmen aus Erneuerbaren. "So profitieren nicht nur reiche Investoren, sondern eben alle", sagt Uhle. "Wie soll man die Bürger besser an der Energiewende beteiligen?"
In Larrieden (Bayern) gibt es auch ein Bioenergiedorf. In den 90ern hatten die ersten Bauern einige Biogasanlagen gebaut. Um die Wärme auch zu nutzen, musste jedoch erst (wie in Jühnde) ein Wärmenetz gebaut werden. In einer Nachbargemeinde war zufällig genau das kurz zuvor passiert. "Ich und zwei Freunde haben den Projektleiter gefragt, wie er das geschafft hat", erinnert sich Stefan Bayerle, der heute das Wärmenetz in Larrieden leitet. Die Antwort: "Das ist ganz einfach: Alle werden zu einem Treffen eingeladen, und einer von euch hält eine flammende Rede." Bayerles zwei Freunde schauten ihn an und sagten: "Du könntest das machen!"
Bayerle schrieb auf ein Plakat das alte Motto der Genossenschaften: Das Geld des Dorfes dem Dorfe. Er sprach darüber, dass man in Larrieden nichts mehr zusammenmache, dass man sich nicht mehr so gut kenne, dass man zusammen so viel erreichen könnte. "Dann erklärte ich die Kosten, zeigte aber auch Wege, wie man Geld sparen könnte, wenn man selbst anpackt." Fotos hat er noch von Nachbarn, die mit der Schaufel in der Hand gruben, um die Wärmerohre zu verlegen. "Es war wie eine Renaissance."
Der größte Abnehmer der Wärme ist übrigens ein Asylheim. Schon lange vor dem Zustrom von 2015/2016 beherbergten die rund 200 Bewohner von Larrieden laufend zwischen 50 und 200 Asylsuchenden. Good news is no news, und deshalb erfährt man eher über Problemfälle. Deswegen sei hier gesagt: Eine CSU-wählende bayrische Kommune namens Larrieden integriert eine verhältnismäßig sehr große Zahl an Asylsuchenden seit Jahren erfolgreich. Zu Problemen sei es - trotz anfänglicher Befürchtungen - nicht gekommen. Die Asylsuchende seien, so Bayerle, "freundliche Leute. Das ist eine gute Sache."
Pimp your wind turbine!
Höher im Norden ist Melanie Ball Mitglied der ersten (aber nicht mehr einzigen) Frauengenossenschaft für Erneuerbare: Windfang. Die erste Anlage stellte Windfang 1995 fertig. Sie wurde Oya genannt nach einer nigerianischen Göttin. Wenn Männer Windräder bauen, heißen sie "2.3 MW Enercon" oder "1.5 MW Nordex". Die Anlagen von Windfang heißen "Schneewittchen" oder "Hanni & Nanni". "Die erste Anlage wurde auch lila angemalt", sagt Ball. Vielleicht sollte man in Zeiten sinkender Akzeptanz darüber nachdenken, ob solche Maßnahmen die Identifikation mit den Anlagen erhöhen können - show your turbines some love!
Allerdings plant Windfang derzeit keine weiteren Anlagen. Ein Grund ist die Umstellung von Einspeisetarifen auf Ausschreibungen. Ball: "wir glauben nicht, dass eine kleine Genossenschaft in Ausschreibungen bestehen kann". Auch Bayerle bestätigt, dass in und um Larrieden keine Bürgerwindräder hinzukommen. Die Ausschreibungen sollten die Preise reduzieren, "aber die Bürger sehen vor allem die hohen Management-Gehälter dieser Betreiber - und dass die Profite aus dem Dorf in die Städte wieder abfließt."
Nach rund 25 Jahren stellt sich bei Windfang außerdem so langsam die Frage nach dem Nachwuchs. Die Agenda 21 hat in den Neunzigern eine Generation hervorgebracht, die selbst anpackte. Diese Menschen sind nun 50 Jahre alt und älter und gehen langsam in Rente; bestenfalls ist das ein Alter, in dem man immer weniger in Projekte mit einer Laufzeit über 20 Jahre investiert. Es fehlen die 30- und 40-Jährige. Nach Agenda 21 kam irgendwie nichts. Vielleicht dachten viele, mit dem EEG von 2000 sei alles geregelt.
Ein Grund für den fehlenden Nachwuchs könnte aber der Mangel an Professionalisierung bei der Bürgerenergie sein. Während die Projekte von Windfang eine Vollzeit-Aufgabe für die Ingenieurinnen waren, sind viele Bürgerprojekte Nebenjobs. So bei Dieter Mensen von Massewind. 1991 hat Mensen, damals Englischlehrer, eine Windanlage zusammen mit einigen Freunden bauen wollen. "Es hat sieben Jahre gedauert", sagt er heute. Der mittlerweile pensionierte Lehrer hat Massewind in letzter Zeit als 450-Euro-Job geleitet. "Das reicht mir, aber es könnte - neben der Umstellung auf Ausschreibungen - ein Grund sein, warum es keine ‚nächste Generation‘ gibt, an die wir abgeben könnten".
Craig Morris (@PPchef) ist Koautor von Energy Democracy, der ersten Geschichte der Energiewende, und arbeitet bei der Agentur für Erneuerbare Energien. Rebecca Freitag (@Freitag4Future) war die deutsche UN-Jugenddelegierte für Nachhaltige Entwicklung und schreibt gerade ihre Masterarbeit zum Thema Akzeptanz einer CO2-Steuer. Zusammen moderieren sie die zehn Episoden des neuen englischsprachigen Community Renewables Podcast.