Wie werden wir nach Corona wohnen und arbeiten?
Seite 2: So entsteht die neue Dienstbotenklasse
- Wie werden wir nach Corona wohnen und arbeiten?
- So entsteht die neue Dienstbotenklasse
- Schleichende Privatisierung der Arbeit
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Während also jetzt die eine Hälfte der Bevölkerung zu Hause im Homeoffice sitzt und nebenbei Abendessen wie Wocheneinkauf übers Internet bestellt, muss die andere Hälfte, eine neue Art Dienstbotenklasse, sich mit dem Fahrrad durch Wind und Wetter abstrampeln und den Stubenhockern ihr Zeug liefern. Die Arbeiterklasse wurde in sich ein weiteres Mal fragmentiert.
Die einen sind nur zu Hause, die anderen nur draußen. Eine Entwicklung, die das Kapital uns wohl ohnehin, auch ohne der Corona-Politik beschert hätte, aber eben weniger schnell, aufhaltbarer, begleitet von mehr Protesten und Kritik von links. Andererseits werden die Mieten und Wohnnebenkosten in den nächsten Jahren so sehr steigen, dass es im Sinne der kapitalistischen Logik gemäß ganz hilfreich ist, wenn sich die Prekären schonmal ans Draußensein im Regen, also ihre zukünftige Obdachlosigkeit, gewöhnen.
Währenddessen wurden einzelne Berufe zu systemrelevanten erklärt und Linke, die noch bis vor kurzem jegliche Systemrelevanz ihrer Tätigkeit empört zurückgewiesen hätten, hofften nun, ihre gehörten dazu. Das offenbarte immerhin die beachtliche Anpassungsfähigkeit jener, die sich über die Jahre stets als besonders kritische Kritiker inszeniert haben.
Dass tatsächlich, wie die Bundesregierung behauptete, "Gesundheitsschutz" der Grund – und nicht bloß Anlass – dieser Politik gewesen sei, glauben freilich nur die Naivsten, die hierzulande aber für gewöhnlich den Ton angeben. Wer sich heute fragt, wie es sein konnte, dass etwa 1914 auch so viele Linke die Kriegskredite für gerechtfertigt hielten, konnte während der Corona-Zeit live erfahren, wie solch ein "demokratischer Willensbildungsprozess", also die Mehrheitsbeschaffung für ohnehin feststehendes Regierungshandeln, funktioniert.
Die bürgerliche Herrschaft benötigt immer nur die richtigen Gründe, um reaktionäre, arbeiterfeindliche Politik auch bei Linken als "leider unumgänglich" oder "alternativlos" durchzusetzen. Dass das Ganze letztlich als Generalprobe für eine breite, auch linke Zustimmung zur 100-Milliarden-Hochrüstung der Bundeswehr und Schwerwaffenlieferungen in ein Kriegsgebiet fungieren würde, hätten aber wohl selbst die sehr Pessimistischen noch vor einem Jahr nicht für möglich gehalten.
Arbeitest du noch oder wohnst du schon?
Theodor Adornos Diktum, man könne eigentlich gar nicht mehr wohnen, bewahrheitet sich heute insofern, als Arbeit in der Wohnung stattfindet und das Wohnen wiederum selbst zur Arbeit geworden ist. Leben und Arbeit, Freizeit und Beruf sind eins geworden – und damit beide verschwunden in einer Melange aus abwechselnd Stress und Langeweile.
Die als gemütlich gewöhnte Stimmung zu Hause ist hinderlich für eine konzentrierte Arbeitsatmosphäre, ebenso fehlt der direkte Austausch mit den Kollegen, der für viele überhaupt erst die Motivation für den Arbeitsalltag abgab.
Die längerfristigen Folgen solcher Entwicklung sind bereits heute zu erahnen. Sie werden sich schleichend einstellen – und wohl zunächst nicht mehr zur Revision stehen. Die bürgerliche Corona-Politik, die nicht bloß die "Freiheit" einschränkt (von der die Armen ohnehin selten was haben), sondern vor allem Ungleichheit verstärkt, erzeugt die Zuspitzung der Klassenverhältnisse.
Der Arbeiterkampf hat es nun mit zusätzlichen Schweinereien zu tun, die er, bevor er sie bekämpfen kann, den Leuten überhaupt erst als solche begreiflich machen muss. Zum Beispiel ist Flexibilisierung, ganz gleich, womit begründet, unter dem liberal-ökologisch-sozialdemokratischen Regime, das sich jetzt mittels Ampelkoalition noch weiter totalisiert, nicht im Interesse der arbeitenden Massen.
Dies berücksichtigt, kann für Linke auch das Recht auf Öffentlichkeit (wie deren Einrichtungen: Kinderbetreuung, Freizeittreffs, Schulen, Universitäten, Bibliotheken, Schwimmbäder, Sport, sowie Versammlungs- und Demonstrationsrecht) nicht verhandelbar sein, ebenso wenig wie der Grundsatz, dass zur Behebung der Schäden, die durch die Pandemie-Politik verursacht wurden, natürlich auch die Allgemeinheit, der Staat aufzukommen hätte, und nicht der Einzelne. Denn all dies trägt nur noch weiter bei zur Verarmung und Gängelung der Lohnabhängigen und prekär Beschäftigten.
Für eine zunehmende Verschlechterung der Lage der arbeitenden Klasse in Deutschland während der Jahre 2020 und 2021 jedenfalls brauchte es, und das ist das entscheidende, weder eine FDP in der Regierung noch eine Agenda 2010, sondern lediglich die richtige Regierungserzählung zur richtigen Zeit, um sie in nahezu allen Milieus und Schichten als legitim durchzusetzen.
Mittels als wissenschaftlich fundiert ausgegebenem, in Wahrheit populistischem Gerede, wurden Ängste aktiviert, die ja vor allem immer bei den Schwächsten zum Tragen kommen: Proletarier, die durch Regierungs-Propaganda in Schrecken versetzt werden, sind eher gehalten, die Verstärkung ihrer Ausbeutung ohne Protest hinzunehmen.
Selbst sonst höchst antiautoritäre und staatsskeptische Linke forderten nun von der CDU-SPD-Regierung und deren Staat die Verhängung von Homeoffice – und bekamen dann folgerichtig Ausgangssperren und den Shutdown der letzten Reste von Öffentlichkeit.
Doch der Umbau der Arbeitswelt mit dem Ziel der Verstärkung der Arbeitsteilung und Gegensätze, der Ausweitung der sogenannten Gig Economy, also der Fragmentierung – "Transformation zur Nachhaltigkeit", wie das im neuen Ampelsprech heißt –, bleibt nicht auf die Arbeit beschränkt, sondern bricht in die Privatsphäre der Lohnabhängigen ein.
Die Wohnung wird zur Mini-Filiale, zur ausgelagerten Zelle des Unternehmens, und dieses wird zunehmend Ansprüche geltend machen: zum meist widerstandslos hingenommenen Einschluss der Arbeitenden in ihren oft recht engen Wohnungen ohne Ausweichmöglichkeiten, kommt die inzwischen schon recht großzügig genutzte Verschärfung der Ausspäh-Möglichkeiten seitens der Unternehmen: In einigen größeren Firmen gibt es inzwischen bereits eine sogenannte "Kamera-Pflicht" bei allen Zoom-Konferenzen: Ein bloßes Zugeschaltetsein per Mikrofon gilt hier bereits als Abwesenheit.
Es zeigt sich also: Alles wird dafür getan, dass der klassische Büroarbeitsplatz jetzt möglichst realistisch auf dem Bildschirm simuliert werden kann: Nur eben ohne die Kosten (Strom, Heizung, Büromiete, Jobticket usw.), die eine physische Präsenz der Arbeiter für das Unternehmen hätte. Für die zusätzlichen Heiz- und Stromkosten müssen nun die Beschäftigten aufkommen, während die Unternehmer sparen können, also profitieren.