Wie werden wir nach Corona wohnen und arbeiten?

Oh schöne neue Welt, die solche Arbeiter hat: Workspace in London. Bild: Mozilla in Europe/ London Workspace, CC BY 2.0

Im Zuge der Corona-Maßnahmen-Politik haben Homeoffice und Lieferservices Aufschwung erhalten. Beides sind auch Anzeichen einer weiteren Prekarisierung Lohnabhängiger. Doch es gibt Auswege aus der Misere.

Die Corona-Pandemie hat handfeste materielle Folgen für die Mehrzahl vor allem der Lohnabhängigen mit sich gebracht – jener Bevölkerungsgruppe, die man zu denkbefähigteren Zeiten einmal verallgemeinert, aber zutreffend als Proletariat bezeichnet hatte.

Derzeit bauen große Unternehmen etwa massenhaft Büroräume, persönliche Schreibtische, klassische ortsgebundene Arbeitsplätze ab. Stattdessen sollen zum Arbeiten nun die Wohnungen herhalten – jene letzten Trutzburgen der Privatsphäre, welche zuvor bereits durch die Sozialen Medien und ihren Drang zum Veröffentlichen selbst des Privatesten in schwere Mitleidenschaft gezogen worden ist.

Andere Ausläufer dieser Tendenz sind seit einiger Zeit vermehrt zu beobachten: Sogenannte "Tiny Houses", viel zu kleine Wohnwägen, im Netz unter dem Hashtag "Vanlife" zelebriert, oder Holzhütten für Leute, die sich keine richtigen Wohnungen mehr leisten können, sind zu einer Art Kult unter Neominimalisten geworden.

Sie haben ihre materielle Armut zum milieugemäßen Lifestyle umzumodeln gelernt, während andere prekäre Existenzen auf Cafés oder Imbissbuden angewiesen sind, in denen sie mit Laptops ihrem "Digital-Boheme"-Leben nachkommen, schon weil ihre Geringverdiener-Behausungen kaum noch die Möglichkeit bieten, einen Arbeitsbereich einzurichten.

Der Spätkapitalismus hat in seiner derzeitigen Phase die Eigenschaft, dass er vor allem in seinen reichen Zentren seine Opfer noch ihr größtes Elend marktkonform als Entrepreneur-Lebensstil auszugeben ermuntert.

Die Hartz-Gesetze etwa haben bewirkt, dass Leute, die arbeitslos sind, es auch weiter bleiben, dies nun aber unter der Bezeichnung "Ich-AG" tun, also selber zusehen müssen, wie sie sich als Flaschensammler oder Ebay-Verkäufer ihr Arbeitslosengeld zusammenklauben.

Die Apologethen dieses Systems nennen das Selbstverantwortung – so als sei dieses Selbst kein Teil der gesamtgesellschaftlichen Totalität und nicht vielfach von dieser abhängig, also eben nicht bloß auf sich selbst gründend. Sie übersehen neben vielem anderen, was jedem auffällt, der noch bis zehn zählen kann: Dass Eigenverantwortung immer Kollektivverantwortung meint, solange das Eigene des Einzelnen in Abhängigkeit zu Eigentum – etwa an Möglichkeiten zur Produktion – anderer steht.

Die neuerliche, durch die Corona-Politik entfachte Verpflichtung auf ein modernes Nomadenleben und das Versauern am privaten Küchentisch, die zunächst von den Verängstigten der verschiedensten sozialdemokratischen Strömungen als Pandemie-Solidarität missverstanden und als politische Maßnahme verteidigt worden ist, bekommt nun von den zuständigen Fachleuten für Ideologie-konformen Werbejargon Namen wie Sharedesk, Working Space, Homeoffice, modularer Arbeitsplatz usw. Sie alle bedeuten nichts anderes als eine Inbesitznahme der persönlichen Lebenswelt durch die Konzerne und verheißen nichts Gutes.

Der Imperativ jener hochimperialistischen Barbarei, die heutzutage so gern als "Neoliberalismus" verharmlost wird – totale Flexibilität der arbeitenden Klasse –, wurde während der Pandemie in kürzester Zeit enorm angekurbelt, nicht ohne begeisterte Zustimmung von Teilen dieser Klasse selbst und vor allem ihrer selbsternannten politischen Vertreter.

Viele freuten sich während der Lockdowns, endlich zu Hause bleiben zu können – sie hatten quasi ihr Hobby zum Beruf gemacht. Fast niemand hat sich über die Pflicht zum Homeoffice und die teilweise scharfen Maßregelungen darin zu Beginn beschwert, aber viele, die sich zunächst gefreut haben, sind jetzt darüber frustriert, keine physische Präsenz am Arbeitsplatz mehr ermöglicht zu bekommen.

Die Betrübnis ist natürlich auch bei vielen derjenigen inzwischen recht groß, die ihr Zuhause-Arbeiten anfangs noch als großen Akt der Solidarität und Lebensrettung ausgeben konnten: So war das natürlich nicht gemeint, die Rede war ja von wenigen Monaten, nicht von Jahren. Aber so ist das einmal mit dem bürgerlichen Staat: gibt man ihm in Zeiten der Krise den kleinen linken Finger, nimmt er einem auch über diese Zeit hinaus gleich den ganzen Leib.