Wie wir die Kontrolle über die Corona-Technokratie verloren haben

Seite 2: Wie funktioniert der Lockdown wo – und warum?

Was lokal wirksam ist, kann national versagen. Das heißt umgekehrt auch: Die Erfolge Australiens oder Neuseelands sind nicht unbedingt eine Folge des Lockdowns, sondern vielleicht spezieller Bedingungen. So ist auch die befürchtete Katastrophe in Afrika entgegen der Expertenaussagen (bisher) nicht eingetroffen (sei es wegen der Altersstruktur, der Genetik, den Lebensbedingungen – mehr ländlich, wenig mobil –, dem mehr Erregern ausgesetzten Immunsystem).

Das spricht nicht gegen die Experten, sondern ist normaler Wissenschaftsbetrieb. Sicheres Wissen gibt es hier nicht. So diagnostizierte man zunächst einen Mangel an Beatmungsgeräten, bis sich zeigte, dass zu früh beatmet wurde, was den Betroffenen schadete. Von Knappheit an Beatmungsgeräten hört man folglich hierzulande nichts mehr, im Gegenteil, es herrscht ein Überangebot.

Ein Experte ist heute ein Fachmann, "dem man Fragen stellen kann, die er nicht beantworten kann", so der Soziologe Niklas Luhmann. Die Macht der Experten ist deshalb meist begrenzt – auch bei (fast) sicherem Wissen, sonst gäbe es keine Raucher und ginge jede zur Grippeimpfung. Das Fatale im Falle von Corona ist das Reaktionssyndrom, das den Experten die jetzige Machtstellung verschaffte – und der Politik die Möglichkeit der Technokratie.

Wenn der Politik ein Problem wichtig erscheint oder gesellschaftlich vorgegeben wird, will sie es mit bindenden Entscheidungen lösen, am liebsten mit einfacher, klarer wissenschaftlicher Anleitung. Dass etwas getan werden muss und kann, wird dann nicht mehr bezweifelt.

Die Politik überschätzt ihren steuernden, geplanten Einfluss auf andere Bereiche, während ihr Destruktionspotential hoch ist. Je mehr sich die Politik in ein Problem verbeißt, umso weniger werden die Folgen für andere Bereiche beachtet oder als verkraftbar hingenommen, geht es ihr in ihrem Selbstverständnis doch um das Gemeinwohl, und was könnte wichtiger sein?

Allerdings ist in einer pluralistischen Gesellschaft das Gemeinwohl schwer auszumachen, ist oft nur der Versuch, ein Partialinteresse zu legitimieren. Auch deshalb geht es der Politik seit der Neuzeit nicht mehr wie bei den Griechen um das gute Leben (damals nur für die Vollbürger), sondern um die Sicherung des Überlebens. Bürgerkriege und die Unsicherheiten des täglichen Lebens verwiesen auf die Bedeutung eines einzigen Gewaltmonopols, sodass sich die Politik auf die Erlangung der Souveränität zum Schutz des Lebens konzentrierte. Er wurde zum Kern des Gemeinwohls.

Der Schutz des Lebens kann allerdings Unterschiedliches meinen: In autoritären oder totalitären Staaten den Schutz der politisch definierten Gemeinschaft (Schutz kann dann auch Krieg gegen die deklarierten Feinde bedeuten), in liberalen Demokratien den Schutz der einzelnen, der ihnen ein Leben nach ihren je eigenen Vorstellungen garantiert. Je stärker die Politik in die sonstige Gesellschaft eingreift, je ideologischer und gemeinschaftsbezogener sie ist, umso mehr muss sie sich bei ihrer ureigensten Aufgabe, der Sicherung des Überlebens legitimieren.

Die autoritäre Version der Pandemiebekämpfung

Kaum war die Pandemie als lebensbedrohend definiert, spielten denn auch autoritäre Staaten ihre "Stärken" aus wie Ein-Parteienregierung, keine rechtlichen Hürden, obrigkeitshörige Bevölkerung, effektiver Sicherheits- und Überwachungsapparat. Die liberalen Demokratien kamen (fast) gar nicht dazu, eine liberale, auf Eigenverantwortung setzende Strategie zu entwickeln: Weltpolitisch setzte sich sofort die autoritäre Version der Pandemiebekämpfung durch. Steht der Schutz des Lebens infrage, gerät die Politik in den Krisenmodus, der autoritäre Maßnahmen zu verlangen scheint.

Dass auch dieses Gemeinwohl partikulär ist, zeigte sich in Ländern mit einem großen Exklusionsbereich – die Bevölkerung ist ganz oder teilweise aus Wirtschaft, Politik, Recht, Bildung ausgeschlossen–, wo es für viele schon immer nur um das bloße Leben geht. Hier ist Armut der entscheidende Risikofaktor für die Gesundheit. Eine Milliarde Menschen leben in Slums und wirtschaftlich von einem Tag auf den anderen. Sie können weder soziale Distanz einhalten noch Quarantänezeiten überbrücken.

Nicht das Virus, die Armut ist das alltägliche Problem. Die Vorgaben der Weltpolitik, die den Exklusionsbereich "übersah" und denen die politischen Eliten, bedacht auf ihr Ansehen in der Welt, folgten, führten so zu kaum einhaltbaren Ausgangsbeschränkungen mit bleibender Ansteckungsgefahr und zugleich zum wirtschaftlichen Niedergang. Die Vereinten Nationen schätzen, dass 1,6 Milliarden Menschen akute Armut droht. Verhungern oder eine Krankheit riskieren, zumal mit guten Überlebenschancen? Kein Wunder, dass wirtschaftliche Überlegungen in ärmeren Ländern bald den Gesundheitsschutz relativierten.

Die Wirtschaft kann wegen ihrer gesellschaftlichen Bedeutung aber auch in den reichen Ländern nicht ignoriert werden - was immerhin die Verfechter einer Null-Corona-Strategie stoppt. Hier hofft man, mit Geld die Probleme abfedern zu können und geht selektiv vor: Die nicht systemrelevanten Bereiche werden geschädigt, eine Pleitewelle oder schwere wirtschaftliche Schäden bei Selbständigen und vor allem im Freizeitbereich, bei Gaststätten, Hotels, "Kultur" im weitesten Sinn in Kauf genommen, wobei die Finanzhilfen noch den schönen Effekt haben, kurzzeitig Pleiten bei Zombiefirmen zu verhindern.

Die Industrie wird möglichst geschont, während man sich den teilweisen Niedergang des Dienstleistungsbereichs leisten zu können glaubt. Und wie die Schulden anders als über Inflation (oder Staatspleiten) jemals zurückgezahlt werden sollen, bleibt ein Rätsel (ausgerechnet im sparsamen Deutschland kam es dann noch zu offensichtlichem Unsinn wie 20 Milliarden Euro für eine geringe Mehrwertsteuersenkung von wenigen Monaten, die außer Mitnahmeeffekten voraussehbar nichts bewirkte - ein weiteres Beispiel blinden politischen Aktivismus).

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