"Wieso das Rad neu erfinden?"
"Giana Sisters"-Macher Armin Gessert und sein Kollege Severin Brettmeister über Blaupausen und Ideensuche
Ist ja alles nur geklaut! Hallo? Abgucken tut doch jeder. Doch der Pfad zwischen Kopie und Inspiration ist schmal – verdammt schmal. Armin Gessert kann ein Lied davon singen: In seinem mit Manfred Trenz und Chris Huelsbeck entwickelten Plattformspiel „The Great Giana Sisters“ (1987) sah Nintendo eine zu große Ähnlichkeit mit „Super Mario Bros.“. Also wurden die Programmierer verklagt. Schnee von gestern? Nein, eine Angelegenheit, die in der Unterhaltungsbranche stets von Relevanz ist; vor allem jetzt, denn am 3. April erschien eine neue „Giana Sisters“-Version für Nintendos Konsole DS. Telepolis sprach darüber mit Armin Gessert und seinem Kollegen Severin Brettmeister.
Schau ich mir „Giana Sisters“ für den DS an, dann fühle ich mich wie beim Original von 1987 sofort an „Super Mario Bros.“ erinnert. Wie kann man sich dieses Image abstreifen?
Armin Gessert: Aus juristischer Sicht ist es unmöglich, ein Spielkonzept und ein Look-and-Feel eines Games zu schützen. Das geht eigentlich gar nicht. Es existiert nur das Recht, dass ein Produkt nicht kopiert wird. Prinzipiell läuft es auf der Welt doch so, dass sich alle Designer von anderen Produkten inspirieren lassen. Das war noch nie anders. Es wird heute sogar auf entsprechenden Schulen gelehrt, dass man sich erst einmal danach umschaut, was es sonst so auf dem Markt an Vergleichbarem gibt.
Um ein Produkt überhaupt erst einmal massentauglich werden zu lassen…
Gessert: Ja, um zu schauen, was gelungen ist und was nicht. Dann verwertet man das Beste in seinen eigenen Produkten. Man sagt sich halt, warum soll man das Rad noch mal neu erfinden. Genau so lief es, als wir damals „Giana Sisters“ gemacht haben. Wir haben uns eine Vorlage genommen, uns inspirieren lassen. „Mario“ hat uns eben besonders gut gefallen. Aber es gab das Game nicht für frei verfügbare Plattformen, sodass wir uns gesagt haben, etwas Eigenes in dieser Art zu machen. Dass unser Werk dann so interpretiert wird, dass wir einen Klon gemacht hätten, das hätte niemand vorhersehen können.
Ist im Grunde auch merkwürdig. Man schaue sich zum Vergleich nur mal David Cranes „Pitfall!“ an. Davon gab es in der Folge gleich hunderte Blaupausen. Und wen hat das gejuckt?
Severin Brettmeister: Es ist üblich, dass man schaut, womit die Spieler zurechtkommen und womit nicht. Im Vergleich zu den „Mario“-Titeln setzen wir auf eine direktere Steuerung und ein exakteres Sprungverhalten der Figur. Abgesehen von der Technik kommt hinzu, dass der Humor bei „Giana Sisters“ auch schon damals ein ganz anderer war. Mario bleibt immer derselbe. „Giana Sisters“ bietet einen herberen Humor, ist nicht so vereinheitlicht, standardisiert.
Konkret?
Gessert: Wenn Giana ins Feuer fällt, folgt eine wunderbare Animation, wie sie zugrunde geht. Mario hingegen würde so niemand sehen. Und um das Ganze noch einmal genau zu rekapitulieren: Während der Konzeptionsphase haben wir uns sechs Titel angeschaut, und nicht nur „Super Mario“. Das ist die allseits praktizierte Angehensweise. Aber wie kann man ein Plattformspiel machen ohne Plattformen zu haben? Das geht ja schlecht.
Brettmeister: Man darf auch nicht vergessen, dass die Spieler – mich eingeschlossen – gern solche Games zocken, die sie vom Grundprinzip her kennen. Das sehen wir ja besonders gut in der Filmbranche. Independentstreifen werden es immer schwer haben, da sie sich nicht an den gewohnten Sehmustern und Erzählweisen orientieren. Im Mainstream fühlen sich die Leute jedoch geborgen. Sie wissen, was sie erwartet.
Gessert: Deshalb gibt es im Internet auch so viele Klone von „Giana Sisters“ – Wahnsinn. Wöchentlich erhalten wir Anfragen, sei es, dass jemand die Engine zu Präsentationszwecken verwenden oder ein Browserspiel machen möchte. Ein gutes Beispiel ist „Giana’s Return“, ein Hobbyprojekt, an dem einige Jungs schon seit vier, fünf Jahren sitzen. Das ist ein eindeutiger Klon von „Giana Sisters“, aber nicht von „Super Mario“. Insofern würde ich „Giana Sisters“ auch als ein eigenständiges Produkt betrachten.
Ihr habt Kontakt mit den Machern von „Giana’s Return“ aufgenommen. Habt ihr da plötzlich eure Rechte verletzt gesehen?
Gessert: Nein, wir haben uns zu keinem Zeitpunkt in unserem Recht verletzt gesehen. Wir haben die Macher von „Giana’s Return“ bloß kontaktiert, um zu sehen, was sie machen, und um sie moralisch etwas zu unterstützen.
Neuartige Konzepte, ausgefallene Ideen werden es also immer schwer haben?
Gessert: Ja, denn wann zahlt es sich schon mal aus? Bei „Spore“ vielleicht, doch die Verkäufe hielten sich in Grenzen – was vielleicht auch am Kopierschutz liegen mag.
Brettmeister: Oder „Little Big Planet“.
Gessert: Das sich aber auch nicht so gut verkauft haben soll. Wie auch immer, mir persönlich hat es super gut gefallen.
Brettmeister: Liegt wohl an der Steuerung. Die ist nämlich nicht ganz so einfach.
Gessert: Es wird weiterhin so bleiben, wie es schon immer ist. Die Leute suchen sich die besten Elemente zusammen, etwa siebzig Prozent. Nur dem Rest wird dann der individuelle Stempel aufgedrückt. So läuft es überall. Alles andere wäre auch unökonomisch.
Und welche Features, neben dem ganz eigenen Humor, den schon das Original auszeichnete, drücken „Giana Sisters“ für den DS den eigenen Stempel auf?
Gessert: Von Severin stammt zum Beispiel die Idee, die Spielheldin durch Pusten ins Mikro der Konsole zu steuern.
Brettmeister: Das ist natürlich jetzt auch nicht die absolute Neuerfindung, denn das Prinzip, eine Figur indirekt zu steuern, hat es ja auch schon zuvor gegeben. Etwa bei „Balloon Kid“ oder ähnlichen Games, die ja auch alt sind. Bei „Giana Sisters“ ist es so, dass sich Giana in einer riesigen Kaugummiblase befindet. Der Spieler bewegt sie nun über die Pegelsteuerung des Mikrofons hin und her. Über das Pusten wird der Pegel angehoben und die Beschleunigung berechnet, die Blase also in Gang gesetzt.
Gessert: Die Herausforderung dabei ist, dass Giana zum Beispiel durch Gänge muss, in denen oben und unten Dornen sind. Du musst die ganze Zeit aktiv sein und natürlich auch besonders vorsichtig agieren. Das Feature fand ich so klasse, dass ich Severin gleich mal gefragt habe, ob es nicht möglich wäre, eine Raucherschaltung zu integrieren. (lacht, hustet) Dann ist es nämlich das Problem, dass dir Luft wegbleibt, wenn du einen langen Gang hast.
Brettmeister: Damit die Leute nicht vom Stuhl fallen beim Pusten.
Gessert: Genau.
Brettmeister: Wer allerdings ernsthaft Atemprobleme hat oder mit dem Feature nicht zurechtkommt, der kann die Blase alternativ über die Sprungtaste der Konsole steuern.
Gessert: Das ist auch aus einem anderen Grund wichtig: Während der Testphase haben wir erlebt, dass das Feature nicht funktioniert, wenn man unterwegs im Auto oder Zug sitzt. Da sind die Umgebungsgeräusche einfach zu laut.