Wilder Westen im Norden
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Risikokapital erschüttert Schwedens Schulsystem
Unversehens findet sich, wer Schwedens Schulsystem näher betrachtet, in der Welt global agierender Investoren, des knallhart profitorientierten Private Equity wieder. Schulen als Wirtschaftskrimi? In Schweden? 1992 hatte die bürgerliche Minderheitsregierung Gründung und Betrieb nicht-staatlicher Schulen stark erleichtert. Damals wurde das Land durch eine Immobilien-, Finanz- und Bankenkrise erschüttert, hinzu kamen strukturelle Probleme. Schweden stand kurz vor dem Staatsbankrott. In solcher Notlage wurden zahlreiche Reformen begonnen, oft der in den USA hochgehaltenen Marktorientierung folgend. Nun ist jedoch eine heftige politische Debatte entbrannt.
Es sind nur wenige Mausklicks, die den Interessierten von einer örtlichen Schule über deren Muttergesellschaft zu einer weltweit aktiven "Heuschrecke" führen, deren Objekte der Begierde allein "profitable Wachstumsunternehmen" sind.
Nehmen wir die Internationella Engelska Skolan AB (AB=Aktiebolag, entspricht in etwa einer GmbH) in Stockholms westlichem Vorort Hässelby Strand. Diese Schule ist eine in einer Kette von privaten Schulen, die von der Muttergesellschaft Internationella Engelska Skolan i Sverige AB betrieben werden. Diese ist mit drei gleichnamigen Holdings sowie der Unterfirma Internationella Engelska Skolan Söder im Städtchen Täby nördlich der Hauptstadt ansässig.
Die Anfänge indes waren so mühsam wie die jedes anderen Startups. Barbara Bergström, seit vielen Jahren in Schweden lebende und unterrichtende Lehrerin aus den USA, nutzte die neuen Möglichkeiten. Sie gründete eine freie Schule. Und reinigte die Räume an den Wochenenden selbst, weil sich die junge Firma keine Putzkraft leisten konnte. Ihre Grundidee bestand darin, den Unterricht entsprechend den schwedischen Lehrplänen, aber bilingual zu führen. Bis zur Hälfte aller Kurse werden von Muttersprachlern auf Englisch gehalten, so dass ein hohes Maß an Sprachbeherrschung erlangt werden kann. Dieses Konzept, angereichert um "Tough Love" als freundliche, aber klare Orientierung für die Schüler, fand wachsenden Anklang.
Die Firma verdoppelte ihre Größe alle drei Jahre, 2009 wurde Frau Bergström zur "Unternehmerin des Jahres" gekürt. Heute betreibt IES mit 1.500 Angestellten neunzehn Schulen, die von mehr als 13.000 Schülern besucht werden. Der Jahresumsatz hat eine Milliarde Schwedischer Kronen (SEK, derzeit entsprechen 8,65 Kronen einem Euro) überstiegen. Ein florierendes Unternehmen also – und weitere Expansion ist absehbar. Also suchte die alleinige Inhaberin Bergström, bereits im Rentenalter stehend, einen "Partner".
Sie fand ihn in einem Pionier des Private Equity, der 1968 gegründeten TA Associates aus Boston, USA (weitere Büros in Menlo Park, London, Mumbai und Hong Kong). In ihrer Geschichte hat diese Firma etwa 18 Milliarden US-Dollar von Investoren eingesammelt und in vielerlei Branchen investiert. Zu den Geldgebern von TA Associates gehören Pensionsfonds sowie Privatuniversitäten in den USA; einer der wenigen Geldgeber aus Deutschland ist von Braun & Schreiber Private Equity Partners in München. Eine von Schwedens größten Ketten freier Schulen steht damit völlig unter Kontrolle einer amerikanischen Risikokapitalgesellschaft.
Warum ist dies von Bedeutung oder Interesse? Mit der Liberalisierung von 1992 sollten die freien Schulen von Elterngruppen oder lokalen Gemeinschaften, von Vertretern anderer Erziehungskonzepte wie der Waldorf- oder Montessori-Pädagogik, von Lehrern oder Direktoren mit einem Drang zur Autonomie und auch von gewöhnlichen Firmen betrieben werden. Verschiedene, im Wettbewerb stehende Angebote sollten eine Belebung und Erneuerung des Schulwesens bewirken. In bloßen Zahlen sind die freien Schulen tatsächlich eine Erfolgsgeschichte. Im Jahr 2012 waren von 4.909 Grundschulen (Klasse 1 bis 9) 790 freie Schulen, von den 1.253 Gymnasien (Klasse 10 bis 12) 485 – mit Anteilen von 16,1 Prozent sowie 38,7 Prozent stellen sie beträchtliche Größenordnungen.
Schulgeld muss nicht bezahlt werden
Und natürlich gibt es die Schulen, die von Eltern, im Namen alternativer Pädagogiken oder sich der Selbstständigkeit erfreuenden Lehrern betrieben werden. Auch die renommierte Deutsche Schule in Stockholm, die als älteste örtliche Schule 2012 ihr 400jähriges Bestehen feierte, zählt zu den freien Schulen. Als Privatschule wird sie mit staatlichen Mitteln aus Deutschland und Schweden finanziert, die wirtschaftliche und juristische Verantwortung für die Schule aber liegt beim Deutschen Schulverein. Und doch sind diese Schulen die Ausnahme. Derzeit stehen hinter etwa drei Viertel der freien Schulen rein profitorientierte Unternehmen.
Dies war und bleibt politisch gewollt, Schwedens Schulsystem dürfte das liberalste der EU sein – zumal die Betreiber Gewinne außer Landes transferieren können. Dass zunächst gewöhnliche Firmen und dann Risikokapitalgesellschaften investiert haben, liegt an der Konstruktion: Eltern erhalten für ihre Kinder Bildungsgutscheine (Skolpeng), die die staatliche Finanzierung garantieren. Jede staatliche wie private Schule, die von der Skolinspektion anerkannt ist, nimmt diese Voucher entgegen und erhält den Betrag von der Kommune ausgezahlt – Schulgeld darf nicht erhoben werden. Eltern können völlig frei und damit auch weiter entfernte Schulen wählen.
Wenn es dann gelingt, der Schule ein die Elternschaft ansprechendes Profil zu verleihen, ist die Einnahmeseite weitestgehend gesichert. Vor allem bei den Gymnasien, die seit 2011 in berufsvorbereitend und hochschulvorbereitend gegliedert sind, wird jeder aktuelle Hype mit "Spezialisierung" bedient. Berüchtigt ist der Hairdresser-Boom von 2012, als so viele Friseur-Kurse gehalten wurden, dass viermal so viele Diplome vergeben wurden, wie Arbeitsstellen verfügbar waren. Oder es werden kostenlose Laptops an alle Schüler verteilt, eine kostenträchtige, aber höchst effektive und letztlich rentable Werbeausgabe.
Üblicherweise würden die staatlich garantierten Einnahmen in etwa zur Kostendeckung ausreichen. Doch die findigen Manager entdeckten rasch Wege, die Kosten zu senken. Sie nutzten alte Büro- oder Fabrikgebäude, sie mieteten diese nur, sie wählten bei Sportanlagen, Mensen oder größeren Ausrüstungen stets die kostengünstigsten Varianten. Vor allem aber engagierten sie vielfach jüngere und unerfahrene oder gar unterqualifizierte Lehrkräfte – die niedrigere Gehälter beziehen. Nicht selten gibt es auch schlicht zu wenige Lehrkräfte. Auf diesen Wegen konnte eine Rentabilität erreicht werden, die für Investoren von Risikokapital interessant wurde.
Ähnliche Entwicklungen waren aus anderen Bereichen bereits bekannt, denn die angelsächsische Ideologie des New Public Management war in Schweden leichtgläubig aufgesogen worden und hatte eine im Ausland kaum wahrgenommene Privatisierungswelle verschiedenster Felder ausgelöst.
So sorgten in Altenwohn- und -pflegeheimen zahlreiche Skandale für Empörung. Es gab und gibt wegen des Kostendrucks gravierende Mängel in Pflege und Betreuung, während die großen privaten Betreiber beträchtliche Gewinne an ihre oft ausländischen Muttergesellschaften abführten. Da war es kaum überraschend, dass TA Associates bei seiner Übernahme der Internationella Engelska Skolan AB den Manager Ralph Riber in den Styrelse (Board of Directors) entsandte und ihn zugleich zum Verkställande direktör (Chief Executive Officer) bestellte. Der Herr war mitnichten durch Bildungskompetenzen aufgefallen, vielmehr hatte er in den Pflegeskandalen eine unrühmliche Rolle gespielt.
Schwedens Gesellschaft setzt traditionell auf Vertrauen, das zunächst allem und jedem entgegengebracht wird. Dieses Konzept hat sich vielfach als Produktivkraft erwiesen, ist aber auch anfällig und erfährt notwendige Korrekturen erst spät. Bei den freien Schulen ist die heutige bürgerliche Regierung lange Zeit tatenlos geblieben, unter anderem, weil wissenschaftliche Untersuchungen über die Qualität der freien Schulen stets zu widersprüchlichen Ergebnissen gelangten. Mal hob ihre Existenz die Resultate aller Schulen im Einzugsbereich an, mal blasen besonders freie Schulen ihre Resultate auf.
Außerdem erhielt die Regierung reichlich Zuspruch vor allem aus Großbritannien und den USA, wohl ohne sich darüber klar zu sein, dass die dortigen politischen Kräfte Schweden gleichsam als Versuchslabor für eigene Reformen ausnutzten. Wäre doch praktisch, wenn sich alle Mühen, Irrtümer und Fehler in Schweden abspielten und allein der Nutzen abgegriffen werden könnte.
Auch hier wittern die klügeren unter den Investoren eine Chance. So hat die Internationella Engelska Skolan AB in Großbritannien eine Tochterfirma errichtet – IES International English Schools UK. Diese wiederum betreibt seit September 2012 durch den Sabres Educational Trust die freie Schule IES Breckland in Brandon/Suffolk für Schüler zwischen elf und 16 Jahren. Noch ist dieses ein Non-Profit-Projekt. Jedoch setzen die Betreiberfirmen auf eine entsprechende Liberalisierung auch in Großbritannien, wodurch ihnen ein durchaus beträchtliches Marktpotenzial eröffnet werden könnte.