Wir befinden uns längst im virtuellen Bürgerkrieg
Seite 2: Wenn das virtuelle Feuer in die Realität übergreift
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Die weiteren Kollateralschäden dieses virtuellen Bürgerkriegs sind schon jetzt absehbar: Soziale Netzwerke, einst gegründet, um Menschen enger freundschaftlich zu verbinden, lassen auch reale Freundschafte zerbrechen, Politiker nutzen die Situation, um nach einer stärkeren Überwachung und Zensur des Internets zu rufen, und die Medien erleiden einen Glaubwürdigkeitsverlust, gegen den die gefälschten Hitlertagebücher Kinderkram waren.
Was aber noch viel besorgniserregender ist: Derzeit ist das virtuelle Kriegsfeuer dabei, auf die Realität überzugreifen. Es sind nicht nur Flüchtlingsunterkünfte, die - entzündet von Rechtsradikalen, angefeuert durch fremdenfeindliche Propaganda im Netz - brennen. Auch Autos und Häuser derjenigen, die man im Netz kurzerhand zu Rechtsradikalen, Rassisten oder Homohassern erklärt hat, wurden in den letzten Tagen Opfer von Flammen.
In einer reziproken Kausalität werden diese Untaten weiter angeheizt. Als etwa vor kurzem Haus und Auto der Anführerin der "besorgten Eltern", die sich friedlich und im Rahmen unserer Demokratie in Demonstrationen gegen die Bildungspläne in Baden Württemberg wenden, in Flammen aufgingen und die Geschädigte eine Ursache in einem Theaterstück Falk Richters sah, machte eine Homo-Aktivistengruppe erst recht Werbung für dieses Theaterstück. Zuvor war von Beverfoede in schwulen Medien immer wieder als homophobes Monster karikiert worden. Falk Richters Theaterstück, das kurz vor dem Attentat in Berlin Premiere feierte, geht noch einen Schritt weiter und stellt Beverförde mit der mutmaßlichen Terroristin Beate Zschäpe und dem Massenmörder Anders Breivik in eine Reihe, veröffentlicht Wohnadressen der Vorgeführten, um sie dann virtuell zum "Abschuss freizugeben".
Und so verwundert es kaum, dass man auf der Seite jener Aktivistengruppe, die jetzt erst recht Werbung für das Theaterstück macht, den Kommentar zu lesen bekommt: "Schade dass sie [Beverfoerde] nicht im Auto saß!". Nicht nur Homosexuelle, die eine lange Leidensgeschichte der Verfolgung hinter sich haben, sollten sich für solche Aussagen eigentlich schämen.
Kurzum, das Internet wird wieder für jene kriegerischen Anliegen genutzt, für die man es einst erfand (Vom Sündenfall der Software), der virtuelle Bürgerkrieg ist längst im vollen Gange und greift auf das reale Leben über. Mit den Flüchtlingen und den Aufgaben, die wir im Namen der Menschlichkeit zu bewältigen haben, hat das alles nichts mehr zu tun. Ganz im Gegenteil: Dieser Bürgerkrieg verhindert, dass endlich wirksam und konsequent geholfen wird und rationale Lösungen emotionale Betroffenheiten ablösen. Zensuren und Denkverbote werden dieses Problem nicht lösen, sondern nur ein rasches aktives Handeln, das der derzeitigen Bundesregierung keiner mehr zutraut.
Und so altmodisch das klingen mag: eine neue Kultur des Pazifismus. Ob die Menschen dafür noch die Kraft und die charakterliche Stärke haben, weiß ich nicht. Vielleicht müssen wir auch erst ganz gewaltig gegen die Wand laufen, bis wir aufwachen.