"Wir können uns auf den Rechtsstaat nicht verlassen"
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- Das große Dilemma von Hambach
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Ein Ortsbesuch im Hambacher Forst
Rund 5.000 Menschen fanden am vergangenen Sonntag den Weg in dem Hambacher Forst. Trotz Kälte und Dauerregen. Schon am Bahnhof des kleinen Ortes Buir, rund einen Kilometer vom Waldrand entfernt, zeigt sich die Vielfalt des Protests gegen die Räumung der Waldbesetzer, gegen die geplante Rodung, gegen den Energiekonzern RWE.
Neben Linken und Anhängern der Öko-Szene spazieren Menschen aller Alters- und Gesellschaftsschichten, Paare, Familien mit Kindern, Spaziergänger mit Hund, Menschen mit Transparenten und ohne. Einige sind skeptisch gegenüber den Aktivisten, andere gegenüber der Polizei.
Sie wollen sich selbst ein Bild machen. Die Stimmung ist durchweg ruhig, friedlich, besonnen - und sehr aufgeschlossen und freundlich. Wildfremde Menschen kommen spontan miteinander ins Gespräch, Lebensmittel werden geteilt, ganze Pakete an Brot, Gemüse, Getränken werden in einem Versorgungszelt der Aktivisten abgegeben.
Mehr als drei Viertel der Deutschen sind gegen die Rodung des Hambacher Forsts - zugleich wurde sie von sämtlichen Parteien in NRW abgesegnet und zuletzt, wenn auch mit dem fadenscheinigen Argument Brandschutz, gerichtlich bestätigt. Wenn es ein Beispiel für die klaffende Lücke zwischen Politik und Bevölkerung gibt, dann ist es hier zu finden.
So überwältigend wie die Solidarität ist, so überwältigend ist auch die krasse Unverhältnismäßigkeit des Polizeieinsatzes angesichts seiner schieren Größe. Schon wenige hundert Meter hinter dem Bahnhof sind Straßen gesperrt, stehen Beamte, Fahrzeuge, vereinzelte Wasserwerfer. Rund um den gesamten Wald spannt sich eine Kette aus Wannen, die an den frequentierten Zugängen Stoßstange an Stoßstange stehen - mit laufenden Motoren.
Einige Besucher äußern ihren Unmut darüber - über die Luftverschmutzung einerseits, über die zusätzliche Verschwendung von Steuergeldern andererseits. Von den Beamten werden sie belächelt. Viele von ihnen sitzen in ihren Fahrzeugen, andere stehen am Wegrand, trinken Kaffee, plaudern - auch mit Besuchern und Demonstranten. Gelegentlich müssen sie aufgebrachte Schreihälse mäßigen, insgesamt aber ist die Stimmungslage ruhig. Von den Szenen der letzten Woche, von beidseitiger Aggression, ist nichts zu sehen.
Auch im Wald trifft man auf Hundertschaften. Man sieht sie schon von weitem, die weißen Helme, die durch das Grün des Waldes schimmern. Die rund zweihundert Waldbesetzer, denen mehr als zehnmal so viele Polizisten gegenüberstehen, haben den vorübergehenden Räumungsstopp nach dem tragischen Tod eines Bloggers dazu genutzt, um neue Barrikaden zu bauen.
Stämme und Äste liegen quer über den Waldwegen, die zu den beiden noch bestehenden Baumhausdörfern führen. An einer dieser Barrikaden stehen sich einige Dutzend Demonstranten und einige Dutzend Polizisten gegenüber. Ein blauer Räumpanzer wartet auf seinen Einsatz. Per Megaphon fordern die Beamten die Menschen auf, die Barrikade freizugeben. Stattdessen schließen sich ihnen Besucher an, darunter auch ältere Menschen, die offensichtlich aus dem bürgerlichen Spektrum stammen.
"Hambi bleibt!", rufen sie gemeinsam und skandieren augenzwinkernde Slogans wie "Schokolade ja, Braunkohle nein!". Es ist friedlicher ziviler Widerstand in seiner sympathischsten Form. Das Bild an sich ist surreal: Bunt gekleidete friedliche Demonstranten auf der einen Seite, martialisch ausgerüstete Beamte andererseits. Als ginge es hier um schwer bewaffnete Staatsfeinde. Erst spät am Abend gelingt es der Polizei, die Barrikaden abzuräumen.
Im Wald stehen noch die Hinweisschilder, die einen zu den Baumhausdörfern führen. Nahe des Versorgungszeltes am Waldeingang hängen zwei Aktivisten bereits wieder hoch oben in den Bäumen und werkeln an einem neuen Baumhaus. Die Botschaft ist klar: Wir lassen uns nicht unterkriegen, für die abgerissenen Häuser bauen wir einfach neue.