"Wir können uns auf den Rechtsstaat nicht verlassen"
Seite 2: Das große Dilemma von Hambach
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Dort, wo noch vor kurzer Zeit "Oaktown" war ist heute eine kahle Fläche, am matschigen Boden liegen Sägespäne und Reste von Trümmern, vereinzelt hängen noch Planen und Hölzer in den Baumkronen. Man kann nur noch erahnen, wie es hier einmal ausgesehen haben muss. Die Tunnel, in denen einige Besetzer sich verschanzt hatten, sind mit Beton aufgefüllt.
"Dort drüben war das Baumhaus, in dem ich die letzten Monate gewohnt habe", erzählt ein Aktivist, "und das da sind die Reste der Treppe, die zu einem dreistöckigen Haus hoch führte." Er wirkt traurig, aber auch entschlossen. "Wir werden bleiben", sagt er. Über die Problematik der Besetzung ist er sich durchaus bewusst.
Wir wissen, dass das, was wir hier tun, illegal ist. Aber wir können uns auf den Rechtsstaat auch nicht verlassen.
Aktivist
Als Beispiel erzählt er, dass ein Aktivist von Polizisten verprügelt wurde und das auch mit Videomaterial belegen konnte. Doch die Staatsanwaltschaft soll sich geweigert haben, das Beweismaterial zu sichten. "Die wollen nicht gegen ihre eigenen Leute vorgehen."
Nachprüfen lässt sich das kaum, aber es klingt plausibel. Vergleichbare Fälle geschehen regelmäßig in Deutschland und sind der wesentliche Grund, weshalb es in Fällen von Polizeigewalt nur selten zu Anklagen und so gut wie nie zu Verurteilungen kommt. "Die können hier machen, was sie wollen", sagt der junge Mann.
Seine Frustration ist nachvollziehbar. Trotzdem muss man sich die Frage stellen, was es bedeutet, wenn man den Rechtsstaat selbst nur dann akzeptiert, wenn er Entscheidungen trifft, die der eigenen subjektiven Haltung entsprechen.
Das ist das große Dilemma von Hambach. Denn juristisch ist die Räumung des Forsts kaum zu bemängeln. Dahinter steht eine rechtsstaatliche Entscheidung. Eine Entscheidung aber, die nicht auf sorgfältiger Abwägung beruht, sondern lediglich den monetären Interessen von RWE folgt.
Juristische Versuche sowohl der Aktivisten als auch von Umweltschutzverbänden, die Räumung noch zu stoppen, wurden abgeschmettert. Die Argumente, die für einen Erhalt des Jahrtausende alten Mischwaldes voller bedrohter Tierarten sprechen, wurden ignoriert. Ebenso ignoriert wurden die Bedenken, dass das RWE-Argument, Hambach sei wichtig zur Sicherstellung der Energieversorgung, auf wackeligen Beinen steht.
Dass die Besetzer in den letzten Tagen Fäkalien auf Polizisten geworfen, dass sie in den letzten Jahren immer wieder Sachbeschädigung begangen haben - damit haben sie sich selbst keinen Gefallen getan. Sie haben sich angreifbar gemacht.
Während friedlicher ziviler Protest gegen zweifelhafte politische und juristische Entscheidungen immer legitim und wichtig ist, sind es Gewaltaktionen nicht. Diese Debatte, so ist zumindest der Eindruck, wird durchaus auch unter den Besetzern geführt.
Dass ihre Aktionen insgesamt dazu führen, dass nun bundesweit über die zentralen Fragen von Energieversorgung, Umweltschutz und Protestformen debattiert wird, ist der eigentliche Gewinn. Auch wenn das kleine Waldstück, an dessen Rand die Kohlegrube beginnt, wohl nicht mehr zu retten ist.