Wir sind die Marsmenschen

Seite 2: Der Kolumbus des Alls - von der V 2 zum Kernsprengkopf

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1952 veröffentlichte Walter Dornberger, vormals Leiter der Abteilung für Raketenentwicklung im Heereswaffenamt Berlin und Kommandeur der Heeresversuchsanstalt Peenemünde, seine in der BRD mehrfach neu aufgelegten und auch sofort ins Amerikanische übersetzten Memoiren mit dem Titel V 2 - Der Schuß ins Weltall. Dieser Titel spart aus, dass die "Vergeltungswaffe 2", ein für die Nazis entwickeltes Terrorinstrument, nicht einfach ins All geschossen wurde, sondern dass sie über London und Antwerpen wieder herunter fiel, dort etwa 6.000 Menschen tötete und für Angst und Schrecken sorgte (bei der Herstellung der Raketen kamen bis zu 20.000 KZ-Insassen und Zwangsarbeiter ums Leben). Durch seine Memoiren, so Dornberger, werde "Falsches endgültig richtiggestellt". Die bereinigte, von den "alten Peenemündern" favorisierte Version der Geschichte ist wie folgt:

Die V 2 war eine Großtat deutscher Ingenieure, durch die "in Peenemünde das Tor ins Zeitalter der Raumfahrt aufgestoßen" wurde, wie die Bunte 1964 schrieb. Die bedauerlichen Begleiterscheinungen dieser Meisterleistung waren in Anbetracht der Umstände (Wernher von Braun, einst technischer Direktor der Heeresversuchsanstalt, sprach 1963 von "kummervollen Kriegsjahren") unvermeidlich und langfristig unerheblich. Die Wissenschaftler waren ausschließlich mit Forschung und Entwicklung beschäftigt. Dummerweise gab es da noch Himmler und die SS. Erst diese Schurken brachten das "3. Reich" nach Peenemünde, pervertierten ein einzig und allein auf die Erforschung des Weltraums abzielendes Projekt und errichteten direkt neben der heilen Welt der Forscher ein KZ (wie tief die "alten Peenemünder" tatsächlich in den Sklavenstaat verstrickt waren, kann man in Rainer Eisfelds Buch Mondsüchtig: Wernher von Braun und die Geburt der Raumfahrt aus dem Geist der Barbarei nachlesen).

Nach dem Krieg wurden von Braun und die meisten seiner Kollegen als "Beutedeutsche" in die USA gebracht (die anderen nahmen die Russen mit). Im April 1946 wurde in White Sands die erste der nun "amerikanischen" V 2 abgeschossen. Aber wirklich Verwendung für von Braun und seine Gruppe hatten die Amerikaner erst 1950, mit dem Beginn des Koreakriegs. In Huntsville in Alabama wurde in aller Eile ein moderner Raketenversuchskomplex aus dem Boden gestampft. Dort entstand die Redstone, eine weiterentwickelte V 2 mit Kernsprengkopf. Technischer Direktor war, wie zuvor in Peenemünde, Wernher von Braun. Seine Raumfahrtpläne (Erforschung des Mondes, Flug zum Mars) verkaufte er seinen Auftraggebern wieder, wie zuvor den Nazis, mit dem Hinweis auf die militärischen Vorteile. So regte er den Bau einer Raumstation an, von der aus er die Erde überwachen und östliche Aggressoren mit Atombomben beschießen wollte (Präventivschläge mit eingeschlossen). Von 1952 bis 1954 erschien in der millionenfach gelesenen Zeitschrift Collier’s eine Reihe von Artikeln, in denen von Braun seine Ideen einer breiteren Öffentlichkeit vorstellte.

1953 veröffentlichte Franz Ludwig Neher (der Ghostwriter von Walter Dornberger) in der BRD sein Buch Menschen zwischen den Planeten. Dieses utopische Werk (Vorwort und "technische Beratung": Wernher von Braun) feiert die Raumfahrt als den Garanten von Fortschritt und Weltfrieden. Der Westen ist dem Osten beim Bau einer mit "Raketengeschoßträgern" bestückten Raumstation gerade noch zuvorgekommen. Dank dieser Station können die Angriffspläne einer östlichen Diktatur zunichte gemacht werden. Das führt zum Ende des Kommunismus in der Sowjetunion und in China sowie zur Bildung eines Weltstaatenbundes, der einträchtig den Flug zum Mars beschließt. Es kam dann doch anders. Wernher von Braun wurde trotzdem zum Kulturhelden des Westens; als eine Art Karajan des Weltraums stieg er zum "Kolumbus des Alls" auf. Die Werbeabteilung von Collier’s verschaffte ihm zahlreiche Fernsehinterviews, in denen er Reklame für seine Artikelserie machte. Walt Disney inspirierte das zu drei TV-Filmen, die 100 Millionen Zuschauer erreicht haben sollen - mit Gastauftritten Wernher von Brauns, der zum Dank die Mondrakete im neu eröffneten Disneyland entwarf.

Die Raumfahrt: Experiment mit Risiko

Nur in Großbritannien - also am anderen Ende der von den alten V 2 beschriebenen Flugparabel - blieb man skeptisch. Kneales Prof. Quatermass ist in vielem der Gegenentwurf zu Wernher von Braun: ein empfindsamer Mensch mit viel Ehrfurcht vor der schieren Größe dessen, was er im Weltall entdecken könnte, ein Forscher mit einem Gewissen und ohne die selbstzufriedene Gewissheit, sich den Weltraum mir nichts dir nichts untertan machen zu können, wenn erst die technischen Voraussetzungen dafür geschaffen sind. "Ein Experiment", sagt die Erzählerstimme zu Beginn der ersten Episode von The Quatermass Experiment, "ist eine Unternehmung, die darauf abzielt, eine unbekannte Wahrheit zu entdecken - und auch ein Risiko." Zu diesem Risiko gehört, dass die zivile Weltraumfahrt untrennbar mit deren militärischer Nutzung verbunden ist (etwas, das von Braun je nach Bedarf besonders hervorhob oder vehement in Abrede stellte). Das wird schon daraus deutlich, dass Quatermass seine Rakete von Australien ins All schickt; dort machte auch das britische Kriegsministerium, ganz real, seine Raketentests, und dort arbeiteten britische Forscher an der Wasserstoffbombe.

Damals wie heute stand die britische Regierung treu an der Seite der USA, auch wenn das in der Bevölkerung nicht nur Zustimmung fand. Die Royal Navy war von Anfang an am Koreakrieg beteiligt gewesen, und Ende 1950 hatte man Bodentruppen vor Ort geschickt. Im Sommer 1953 waren in Großbritannien noch immer die Lebensmittel rationiert, und man fragte sich, ob man unbemerkt in den nächsten Krieg hineingeschliddert sei - diesmal in einen, den man nicht überleben konnte. Fernsehen und Radio klärten Hausbesitzer wieder darüber auf, wie sie sich zu verhalten hatten, wenn ihr Anwesen von einer Bombe getroffen wurde. Vor diesem Hintergrund wirkt die von Cartier mit viel Humor umgesetzte Szene, in der Quatermass’ Rakete mitten in einem Haus im Londoner Vorort Wimbledon landet, sehr beklemmend. Kneale hat seinen Mehrteiler als "kontrollierte Paranoia" bezeichnet; als eine Schutzimpfung gegen Ängste, die keineswegs irrational sind, auch wenn sie so erscheinen mögen.