Wir sind hier, wir sind Indigenas und wir werden noch lange Zeit präsent sein

Lila Downs über Migration, Arbeit, Rassismus und ihre Musik

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Lila Downs gehört sicher zu den schönsten weiblichen Gesangstimmen der internationalen Musikszene. Und wer die Tochter eines US-Amerikaners und einer mexikanischen Indígenafrau aus Oaxaca live gesehen hat, weiß, dass ihre Konzerte bestechen. In Oaxaca und Minnesota aufgewachsen, in den USA studiert, in Coyacan/Mexiko gelebt und nun nach New York umgezogen, ist Lila in jeder Hinsicht eine Weltenfrau. Musikalisch mischt sie mexikanische Corridos und Boleros mit afro-karibischen Elementen, Jazz, Blues und Cumbias. Gesang und Musik fließen zusammen und erzählen Geschichten vom Leben in indianischen Dorfgemeinschaften, Migration, Arbeit, Tod, Festlichkeiten und vor allem von Frauen. Lila Downs Stücke sind wie sie: Manchmal ernst und manchmal schmunzelnd, aber auf jeden Fall beeindruckend. Das aktuelle zweite in Deutschland veröffentlichte Album Border oder La Linea, (Hörbeispiele) wie die über 3.000 km lange Grenze zwischen Mexiko und den USA genannt wird, ist den mexikanischen MigrantInnen gewidmet, die beim Versuch in die USA zu gelangen ihr Leben verloren.

Ein zentrales Thema in ihren Song-Texten ist Migration. Die Grenze Mexiko-USA und die Maquilas, die Billiglohnfabriken dort. (Reportage zu Tijuana) Warum?

Fotos: Dario Azzellini

Downs: Für mich ist es wichtig in meinen Gefühlen und in meinem Bewußtsein Brücken zu bauen. Meine Mutter ist eine Arbeiterin, sie war Hausangestellte. Sie verließ ihr Dorf als sie 14 Jahre alt war, weil ihre Mutter sie zwangsverheiratet hatte, und flüchtete nach Mexiko Stadt ohne ein Wort Spanisch zu sprechen. Sie wurde stark diskriminiert, auch wenn sie das selbst nicht so sagt. Aber aufgrund der Sachen, die sie mir erzählt hat, weiß ich, dass sie sehr harte Erfahrungen machen musste und viel Rassismus erlebte. Sie ist eine Arbeiterin, die jetzt mit 65 Jahren ihre Grundschule nachholt und gerade die zweite Klasse besucht, damit sie besser lesen lernt und sich einen größeren Wortschatz aneignet. Für mich es wichtig zu zeigen, dass mir das nicht fremd ist. Meine Mutter ist eine arbeitende Frau und es gibt sehr viele Frauen, die ihre ländlichen Dorfgemeinschaften verlassen, um in den Städten zu arbeiten. Sie arbeiten z.B. als Kindermädchen für die Babys anderer Leute um eine gewisse Freiheit zu erlangen - so wie meine Mutter. Diesen Frauen müssen wir Respekt zollen und in Mexiko haben viele aus der Mittelschicht keinen Respekt gegenüber diesen Frauen. Sie werden mit erniedrigenden Begriffen belegt und ihre wirklich schwere Lebensrealität wird nicht wahrgenommen. Wie schwer es ist, deine Dorfgemeinschaft und deine Lebensweise aufzugeben und viel zu opfern für eine andere Freiheit. Das einerseits... und andererseits ist es auch der Versuch, in das Bewusstsein der Mittelschicht einzudringen und sie zum Nachdenken zu bringen, wer in ihrem Haus das Geschirr abspült, den Boden wischt usw., denn Hausarbeit ist in Mexiko sehr weit verbreitet.

Kann man mit Liedtexten heute noch andere Menschen erreichen? Glauben sie das funktioniert?

Downs: Ich denke es funktioniert, ich bin Optimistin ... meine Mutter ist als Mixtekin ohnehin schon sehr negativ und so habe ich soviel Negativität mitbekommen, dass ich immer versuche das Licht zu sehen, denn es ist sehr natürlich für mich im Dunkeln zu stehen... daher will ich glauben, dass unser Wesen im Grunde gut ist, und dass wir die Herzen der Menschen öffnen können, die noch nicht überzeugt sind. Logischerweise ist es oft so, dass ich für Leute singe, die schon überzeugt sind, die genauso denken wie ich. Aber hin und wieder kommen auch Menschen, die an bestimmte Sachen noch nicht gedacht hatten. Und das sind die Menschen die mir Freude bereiten, wenn sie mir sagen deine Platte hat mich an Sachen denken lassen, die ich vorher nie überlegt hatte. Das gibt mir einen guten Grund zu denken - hier bin ich und dafür lebe ich.

Welchen Einfluss hatte ihre eigene Geschichte, die ja stark von Migration geprägt ist, auf die Musik?

Downs: Als Person suchst du nach den Möglichkeiten, das was du fühlst auszudrücken. Zu Beginn spürte ich Diskriminierung, aber ich wusste nicht genau durch wen und das brachte mich auf diesen Weg, den ich mit der Musik eingeschlagen habe. Er begann mit der Musik aus Oaxaca, dann folgte Musik, die ich selbst schrieb im Kontext meiner Wurzeln als Mixteken-Indianerin. Es ging um Legenden und Geschichten meiner Großmutter, an die ich mich erinnerte, das gab auch mir und meinen Leuten mehr Kraft. Denn noch heute wenn ich in die Mixteca fahre, deprimiert mich das. Es macht mich sehr traurig. Es ist der Ort an dem ich die größten Probleme verspüre, wenn ich mich damit auseinandersetzen muss.

Aufgrund der sozialen Situation? Der Repression? Oder warum?

Downs: Das hat viele Gründe, von denen ich viele in meinen Liedern jetzt näher beschreibe. Ich verstehe immer mehr und die Musik ist mein Weg gewesen, mein Mittel, um Sachen zu kommentieren und verarbeiten, die ich spüre. Ich bin natürlich sehr privilegiert, weil ich das machen konnte. Viele meiner Mixteken-Genossinnen und allgemein der Mixteken haben dieses Privileg, Künstler zu sein nie genossen. Sie sind vorwiegend damit beschäftigt zu kämpfen und zu versuchen zu überleben. Das Privileg, welches ich als Tochter eines US-amerikanischen Professors genieße, haben sie nie gehabt. Mir hat das in gewisser Weise Flügel verliehen im Verhältnis zu vielen meiner Landsleute. Ich habe begonnen mir dessen bewusst zu sein und angefangen zu schauen, wie ich mein Sandkorn beitragen kann zu dem was geschieht. Aber auf meine Weise, so wie ich bin, denn ich bin anders.

Sie haben neben Spanisch und Englisch auch auf Mixtekisch, Zapotekisch und Nahuatl gesungen. Sprechen sie diese Sprachen auch?

Downs: Ich spreche etwas Mixtekisch, da meine Mutter es seit meiner Geburt immer mit meiner Großmutter sprach. Aber sie hat es mir nicht richtig beigebracht, da sie sich schämte. Jetzt als Erwachsene lerne ich Zapotekisch, denn die Zapoteken-Frauen sind meine Lehrerinnen. Sie sind ganz unglaubliche Frauen und vermitteln dir dieses Gefühl - wir sind hier, wir sind Indigenas und wir werden noch lange Zeit präsent sein. - Ich brauche das sehr. Wir Mixteken sind genau das Gegenteil davon, sehr introvertiert, rückblickend... Leute aus den Bergen eben.

Singen sie noch auf Mixtekisch?

Downs: Ja. Einer der Gründe dafür, eine der Ursachen, die mir Kraft gibt, das weiterhin zu tun, ist dass die Indígenas und ihre Sichtweise des Lebens in der Modernität bestehen können. Das muss in Mexiko weiterhin sehr stark unterstrichen und gefördert werden. Damit nicht der Eindruck entsteht, die Indígena-Sprachen seien archaisch und würden nicht mehr gesprochen. Sie sind in Gebrauch und sie sind lebendig. Für mich ist es sehr wichtig das immer wieder zu betonen und es macht auch deutlich, dass wir eine kulturelle Autonomie besitzen.

Wie reagieren die Mixteken auf ihre Musik?

Downs: Bisher habe ich zahlreiche positive Kommentare zu hören bekommen. Viele sind sehr dankbar. Auch von mixtekischen Forschern und Linguisten habe ich sehr positive Reaktionen erfahren. Mit einigen habe ich ja auch zusammen gearbeitet als ich die CD El arbol de la vida aufgenommen habe. Denn meine Idee war ja die Vorstellungen der Mixteken selbst zu interpretieren und nicht die Analysen der Anthropologen über die Mixteken. Unter den Mixteken ist meine Arbeit sehr angesehen. Weniger angesehen bin ich unter den Mestizen der Region. Denn die Mestizen betrachten mich als zu ihnen gehörig und sicher bin ich in gewisser Weise mehr Mestizin als Mixtekin, aber ich teile nicht die Ideale der meisten Mestizen. Die Welt der Mestizen ist sehr machistisch und eine Frau muss doppelt so viel leisten wie ein Mann um anerkannt zu werden.

Auf ihrem letzten Album singen sie einen Mix der beiden Klassiker von Woody Guthrie Pastures of Plenty und This Land is Your Land, ergänzt durch eigene Worte. An welchen Kontext knüpfen sie damit an?

Downs: Damit versuche ich eine Brücke zu schlagen zu der Kultur mit der ich in den USA auch aufgewachsen bin. Das Lied habe ich als kleines Kind gelernt. Ich habe das in den Kontext der Fragestellung when did you come to America - wann bist du nach Amerika gekommen gestellt, denn - und das auch schon vor dem 11.9. - spürte ich eine Ablehnung gegenüber den Migranten. Jetzt ist es noch schlimmer geworden, ein regelrecht rassistische Aggressivität. In meiner Version des Liedes ging es mir darum daran zu erinnern wie wichtig die Menschen sind, die auf dem Land arbeiten und vieles von dem produzieren, was wir essen.

Wie wird denn ihre Musik in der Latino-Community in den USA aufgenommen?

Downs: Eigentlich sehr gut. Die Anzahl der Menschen auf Konzerten hat stetig zu genommen, besonders in letzter Zeit, aber auch schon vorher. Eine Zeit lang war mein größtes Publikum in Europa, vor allem in Frankreich und Spanien. Aber jetzt ist es in den USA. Und es ist ein sehr gemischtes Publikum. Mexikanische US-Amerikaner der zweiten und dritten Generation und in letzter Zeit viele Migranten, was neu ist, sie haben früher nicht bezahlt, um uns zu sehen, und es kommen auch weiße US-Amerikaner.

An was arbeiten sie aktuell?

Downs: Ich arbeite gerade an der nächsten Platte. Ein Lied davon spiele ich jetzt schon auf Konzerten, es heißt la cucaracha und basiert auf dem revolutionären Corrido. Ich singe es zweisprachig auf Englisch und Spanisch. Es gefällt mir, weil es an die Tradition der politischen Kritik anknüpft. Vielleicht nenne ich meine nächste Platte nach dem Titel. Ein weiterer Song nennt sich una sangre - ein Blut - was darauf abzielt, dass unser aller Blut gleich ist. Niemand hat blaues oder grünes Blut... Die Platte wird wohl Ende des Jahre erscheinen. Wir können uns Zeit lassen für eine gute Arbeit. Unsere Plattenfirma hat uns nie unter Druck gesetzt und wir können alles mit Ruhe angehen.

Bisher in Deutschland veröffentlicht: Lila Downs - Tree of Life (Narada World/Virgin) Hörbeispiele Lila Downs - Border. La Linea (Narada World / Peregrina Musica)