Wir sind, was volkt!
Neofaschisten skandieren griffige Parolen und offenbaren darin ihr gestörtes Verhältnis nicht nur zur deutschen Sprache, sondern auch zu deren Bedeutungsinhalten. Aber nicht nur das!
"Wir sind das Volk!"
Der Klassiker! In der Vorwendezeit sollte diese Parole die herrschende Partei und die Staatsgewalt der DDR daran erinnern, dass es - "das Volk" - etwas andere Vorstellungen über gutes Regiertwerden hatte, als die DDR-Oberen sich das ausgedacht hatten. Dass sich das DDR-"Volk" in wesentlichen Teilen gegen seine eigene Herrschaft und auf die Seite des westdeutschen Klassenfeindes stellte, war für diese, die sich doch als genuine Vertreterin der DDR-Arbeiterklasse verstanden, der ideologische und politische Super-Gau schlechthin.
In der abgewandelten Form "Wir sind ein Volk" bezogen die ostdeutschen Skandierenden die westdeutschen Brüder und Schwestern in ihren Wunsch nach "Wiedervereinigung" mit ein! Die schon in den Jahrzehnten davor existierenden Ansprüche der westdeutschen Regierung auf die Oberaufsicht über das gesamte deutsche Volk hatten ihre Wirkung nicht verfehlt. Das DDR-"Volk" konnte also getrost davon ausgehen, dass es mit seiner Bereitschaft, unter die westdeutschen Herrschaftsfittiche zu flüchten, im Westen bei allen maßgeblichen Politikern offene Türen einrennen würde.
Dass sich die "Wir sind das Volk"- Parole heute noch immer und insbesondere bei den Neofaschisten ungetrübter Beliebtheit erfreut, hat seinen Grund in deren eindeutig nationalistischer Ansage. Wer sich als Volk oder als Mitglied des Volks deklariert, stimmt auch mit der Rolle überein, die dem Volk in einer Gesellschaft zukommt, die von einer Staatsgewalt beherrscht wird. Die DDR-Bürger hatten also ihren Dissens mit der DDR-Herrschaft nicht wegen ihrer Rolle als Volk, die ihm diese aufgenötigt hatte, sondern wünschten sich eine bessere Herrschaft und glaubten diese im westdeutschen Klassenfeind gefunden zu haben.
Obgleich die Mehrheit von ihnen damit einem durch existenzielle Unsicherheiten geprägten Leben als Lohnarbeiter in einem kapitalistischen System entgegen blickte, schien den DDR-Bürgern, deren bisheriges Lohnarbeiterdasein mit einer gesellschaftsweiten Arbeitsplatzgarantie und damit sozialer Sicherheit verknüpft war, keine weiteren Überlegungen wert. Der aus dem neuen Freiheitsrausch resultierende politische Kater sollte sich erst später bemerkbar machen, und zwar notwendigerweise in nationalistischer Manier: Regelte der DDR-Staat nahezu sämtliche Existenzbelange und machte seine Bürger dadurch zu Nationalisten, fanden sich ihre solcherart geprägten Erwartungen an den BRD-Staat ziemlich bald bitter enttäuscht. Für den nämlich waren und sind sie als Eigentümer ihrer Arbeitskraft selbst dafür verantwortlich, diese in freiheitlicher und eigenverantwortlicher Manier auf dem nationalen oder gar internationalen Arbeitsmarkt anzubieten.
Dieser Unterschied scheint heute noch nicht in allen Köpfen der ehemaligen DDR-Bürger angekommen zu sein, sonst fänden die Parolen der neuen Faschisten nicht insbesondere in den ostdeutschen Bundesländern erhöhte Aufmerksamkeit. Der "Wir sind das Volk"-Slogan ist aus dem Acker der eigenen Unzufriedenheit hervorgegangen und knüpft an alte DDR-Erfahrungen an, als sich der Staat noch eigenhändig darum kümmerte, dass das Volk Arbeit hatte, sie dadurch aber dem westlichen Reichtum auch nicht näher kamen. Trotz jahrzehntelanger "sozialistischer Aufklärung" durch die SED über die Zumutungen, die das kapitalistische System so mit sich bringt, hatten die DDR-Bürger also anscheinend überhaupt keine Vorstellungen davon, was mit der neuen bürgerlichen Freiheit tatsächlich auf sie zukommen würde. Das spricht nicht gerade für die Fähigkeiten ihrer "sozialistischen Aufklärer".
Den eigenen Politikern trauten die DDR-Bürger den Übergang ins ersehnte Demokratieparadies mit all seinen Konsum- und Freiheitsverlockungen schon gar nicht mehr zu, deshalb erschien es ihnen nur konsequent, sich umgehend und vollständig der westdeutschen Regierungsmacht zu unterstellen. Die DDR-Bürger konnten erstklassige politische Gründe für ihre Flucht aus ihrem sozialistischen Unrechtsstaat vorweisen, deshalb wurde ihnen umfassendes politisches Asyl gewährt, und zwar gleich an Ort und Stelle. Denn der DDR-Staat existierte unrechtmäßigerweise auf deutschem (!) Boden, deshalb musste er seinen Platz räumen, und nicht die Bürger.
Untypisch für die herkömmlichen Fluchtgründe kostete die DDR-Bürger ihre Flucht vor dem Staat also nicht die Heimat, sondern die Staatsgewalt, und der wollten sie ohnehin entkommen. Klagen darüber, dass sie dafür eine neue Oberaufsicht bekamen, waren nicht zu vernehmen. Ausgestattet mit ihrem gewohnten DDR-Nationalismus waren sie anscheinend aber nur unzureichend auf den neuen demokratischen Nationalismus vorbereitet, mit dem sie es von nun an zu tun bekamen. Dass ihre neue Rolle als freie und selbst verantwortliche Lohnarbeiter mit bisher ungewohnten Härten verbunden war, ließ sie mittlerweile zu dem Schluss kommen, sie würden von einer unfähigen Regierung vernachlässig, die fremdländischen Flüchtlingen den Vorzug vor ihren eigenen Bürgern gab und gibt. In der rechtsnationalen AfD haben die Enttäuschten inzwischen eine politische Stimme gefunden, die ihre noch aus DDR-Zeiten resultierenden Erwartungen bedient.
Wenn Neofaschisten heute skandieren: "Wir sind das Volk!", so entbehrt dies nicht einer gewissen Absurdität. Wenn ein paar Tausend von ihnen sich als "das Volk" behaupten, wäre der Rest demnach von diesem Status ausgeschlossen - das Ganze kommt damit einer ziemlich groben Realitätsverleugnung gleich. An die gerade Macht habende Regierung adressiert, sollte darin aber möglicherweise - ähnlich wie zur Vorwendezeit - ein grundlegender Dissens des "Volkes" mit seinen Regierenden herbei skandiert werden.
Es scheint aber der Anteil jener deutschen Bürger, die mit ihrer Regierung heute ähnlich unzufrieden sind, wie die DDR-Bürger zur Wendezeit mit der ihren, um ein Vielfaches kleiner zu sein, als das vor 25 Jahren im Osten der Fall gewesen ist. Die faschistischen Schreihälse interessiert das aber gar nicht: sie haben bemerkt, daß sie mit der "Wir sind das Volk"-Parole die demokratischen Parteien ärgern können. Denn die hatten an der vorwendezeitlichen Verwendung dieser Parole überhaupt nichts auszusetzen, sahen sie die doch als willkommenen und lange ersehnten Ausdruck dafür, daß das DDR-Volk endlich reif für die Übernahme durch die westdeutsche Demokratie war. Wenn Neofaschisten aber heutzutage die eigentlich von den demokratischen Politikern und Parteien beanspruchten nationalen Symbole in Beschlag nehmen, könnte dadurch der unangenehme Eindruck entstehen, als wären die konkurrierenden politischen Lager einander näher, als sie dies öffentlich einzugestehen wagen. Und dieser Eindruck darf so auf keinen Fall stehen gelassen werden!
"Deutschland den Deutschen, Ausländer raus!"
Eine wahrhaft revolutionäre Parole! "Deutschland den Deutschen ...!" Deutschland ins Eigentum der Deutschen, d.h. aller Deutschen überführen - das hat was! So sei das aber gar nicht gemeint? Wie denn dann? Aha, der zweite Teil der Parole darf dabei nicht unterschlagen werden: Die Ausländer müssen natürlich außer Landes geschafft werden, denn darauf kommt's in erster Linie an. Und wenn die dann alle weg sind, gehört Deutschland endlich wieder den Deutschen allein. Will heißen: Die Anwesenheit von Ausländern im Land ist verantwortlich dafür, dass Deutschland eben nicht den Deutschen gehört. Wenn das so ist: Gehört Deutschland heutzutage dann den Ausländern? Kann man so auch nicht sagen, denn die haben uns Deutschen Deutschland allein aufgrund ihrer Anwesenheit ja eigentlich gar nicht weggenommen. Es ist noch da und gehört überwiegend deutschen Eigentümern. Was also will uns die Parole sagen?
Mit der Eigentumsfrage hat die genau genommen gar nichts zu tun. Es geht dabei auch gar nicht um den Verteilungsmodus deutschen Eigentums, denn das ist bekanntlich selbst unter Deutschen höchst ungleich verteilt: Wenige besitzen sehr viel, viele sehr wenig! Das soll in den Augen derer, die diese Parole skandieren, auch gefälligst so bleiben! Deutschland soll, geht es nach dieser Parole, also gar nicht als Heimat krasser sozialer Ungleichheit denunziert, sondern als nationalistisch einheitlich strukturiertes Gebilde eingefordert werden. Deutschland ist unser Deutschland, wenn alle Ausländer weg sind! Und es hat auch dann immer noch unser Deutschland zu sein, wenn der Mehrheit der Bevölkerung wenig mehr als vielleicht ein Auto und die Wohnungseinrichtung gehört.
Die reale Einkommens- und Eigentumsverteilung hat für das deutsch-nationale Einheitsempfinden überhaupt keine Rolle zu spielen. Das nationale Wir-Gefühl hat es nicht nötig, sich mit lästigen Besitzverhältnissen herumzuschlagen. Als deutscher Landsmann steht uns der größte Mietwucherer noch immer um ein Vielfaches näher, als unser besitzloser Mieternachbar mit ausländischer Herkunft, der unter der gleichen Wuchermiete leidet, wie wir. Soziale Gegensätze, mit denen die Nation reichlich ausgestattet ist, sind dem überzeugten Neofaschisten überhaupt kein hinreichender Grund, seine Identifikation mit dem nationalen Ganzen in Frage zu stellen.
Daraus lässt sich der Schluss ziehen, dass es den Neofaschisten überhaupt nicht um das Wohlergehen der Mehrheit der lohnarbeitenden Bürger geht, deren Beziehung zu den Nutznießern (Kapital) sie lieber nicht zum Thema und schon gar nicht in vertiefter Form machen wollen. Ihnen schwebt allenfalls eine Befassung mit dem Verhältnis von Lohnarbeit und Kapital dergestalt vor, dass sich deutsche Unternehmer gefälligst nur an deutschen Lohnarbeitern bereichern können sollen, denn das wäre die logische Konsequenz aus der Parole "Deutschland den Deutschen, Ausländer raus!". Ob sie damit bei den deutschen Unternehmern auf Gegenliebe stoßen würden, darf allerdings bezweifelt werden. Doch selbst wenn sie einen derartigen Dissens in Kauf nehmen würden, wäre dies ein weiterer Beleg dafür, dass hartgesonnenen Nationalisten die Treue zur Nation auch auf Kosten von Wirtschaftsinteressen geht.
Was aber prädestiniert Ausländer dazu, die bevorzugten Gegner, wenn nicht gar Feinde von Neofaschisten zu sein? Es ist die eigene Beziehung und die der anderen zum jeweils eigenen Staat. Dem fühlen sie sich verpflichtet, dessen Anliegen machen sie zu ihren eigenen, und dessen Regeln unterwerfen sie sich. Dass sich Bürger den Gesetzen eines Staates zu beugen haben, gilt Neofaschisten als unhinterfragbare Gewissheit und Verpflichtung. Daran lassen Neofaschisten auch dann keine Zweifel, wenn sie sich den Auftrag erteilen, im Sinne eines in ihren Augen notwendigen Kampfes gegen angeblich national pflichtvergessene Politiker eigenmächtig gegen bestehende Gesetze zu verstoßen: Das höhere Ziel rechtfertigt dann die gesetzwidrigen Mittel.
Ausländische Mitbürger werden eingedenk ihrer eigenen Haltung zum Staat mit dem generellen Verdacht belegt, national unzuverlässig zu sein, weil sie ja einem anderen Staat gehorchten. Diese Annahme wird allen Ausländern gegenüber in Anschlag gebracht, selbst wenn diese als Flüchtlinge im eigenen Herkunftsland staatlicher Verfolgung ausgesetzt waren, sie also der eigenen Staatsgewalt keinerlei Tränen nachweinen dürften, nachdem sie ihr entronnen waren.
Widersprüche dieser Art aber machen Neofaschisten überhaupt nicht zu schaffen, denn jeder aufkeimende Zweifel am eigenen nationalistischen Feinbild könnte dieses schwächen und in Frage stellen. Nationalisten insbesondere der radikalen Fraktion sind von ihrer Einstellung gegenüber der Nation nicht deshalb regelrecht besessen, weil sie etwa die besseren Argumente für ihre Haltung hätten, sondern weil die für sie eine Glaubensfrage ist, die ein Hinterfragen grundsätzlich nicht vorsieht.
"Wer Deutschland nicht liebt, soll Deutschland verlassen!"
Neofaschisten fordern, dass die Staatsbürger ihr Land "lieben" sollen, andernfalls hätten sie es zu verlassen. Als "Liebe" wird gemeinhin jenes Gefühl bezeichnet, in dem sich eine besonders starke emotionale Hinwendung zu einem Menschen ausdrückt. Ein solch starkes Gefühl soll die Staatsbürger nach Vorstellung der Neofaschisten also auch mit dem Land, in dem sie beheimatet sind, verbinden.
Nun stellt sich zu allererst die Frage, ob sich ein solch abstraktes Konstrukt wie die Nation (oder "Deutschland") überhaupt als Objekt von Liebe eignet. Dass es einen beträchtlichen, allein physischen Unterschied zwischen einem menschlichen Liebespartner und der Nation gibt, werden selbst radikale Nationalisten nicht leugnen. Liebesgefühle spielen sich in der Regel zwischen zwei Menschen ab, manchmal auch zwischen dreien oder mehreren, werden gegeben und erwidert, gründen auf Nähe und Vertrautheit, auf Vertrauen und Wahrhaftigkeit und besitzen zudem eine körperliche Komponente. Das alles soll sich in etwa auch zwischen einem Staatsbürger und seiner Nation abspielen?
Das Land, die Nation hingegen ist kein Lebewesen, sondern ein abstraktes und fiktives Gebilde - dem Inhalt nach eine Ansammlung der unterschiedlichsten materiellen und lebendigen Bestandteile -, welches in seiner begrifflichen Form als Einheit nur erscheint, in seinen konkreten Ausprägungen aber voller Interessengegensätze ist, die es wahrlich ziemlich schwer, wenn nicht gar unmöglich machen, sich mit einem konsistenten positiven Gefühl darauf zu beziehen. Um die Gesellschaft als Ganzes als Bezugspunkt für positive Gefühle welcher Art auch immer überhaupt in den Blick zu bekommen, muss von all den existierenden Gegensätzen und unangenehmen Sachverhalten, die in einer kapitalistischen Gesellschaft zugange sind, großzügig abstrahiert werden. Und nur unter der Voraussetzung eines fiktionalen Bezuges auf das Ganze kann überhaupt davon ausgegangen werden, dieses auch noch mit einem der Liebe gleichwertigen Gefühl belegen zu können.
Was veranlasst Neofaschisten dazu, einen solch starken Gefühlsbegriff wie "Liebe" überhaupt für ihr Verhältnis zur Nation zu verwenden? Mit Liebe im zwischenmenschlichen Sinn dürfte das eher weniger zu tun haben. Vielmehr geht es hierbei um eine ziemlich kernige Forderung, die die Neofaschisten den Staatsbürgern damit in Anschlag bringen: Die sollen sich nämlich als solche den Ansprüchen der Staatsgewalt möglichst widerspruchslos unterwerfen! Sie sollen das geltende Eigentumsregime und den daraus resultierenden Klassencharakter der bürgerlichen Gesellschaft samt allen damit einher gehenden Zumutungen, Benachteiligungen und Schädigungen als unbedingt und alternativlos gültig anerkennen.
Weil eine solchermaßen verdeutlichte und ehrlich formulierte Forderung beim Volk aber eher weniger gut ankommen würde, bedienen sich die Neofaschisten eines semantischen Tricks: "Liebe" assoziieren die Bürger mit angenehmen und sehr persönlichen Gefühlen. Also wird mit der Verwendung des Begriff "Liebe" für den geforderten Charakter des Verhältnisses der Bürger zur Nation versucht, dem ganzen einen positiven Anstrich zu geben und damit gleichzeitig der falsche Eindruck erweckt, eine der menschlichen Liebe gleichwertige Beziehung zur Nation sei überhaupt möglich!
Ein Land oder eine Nation zu lieben, ist aber schlichtweg unmöglich! Die Neofaschisten fordern, was sie selbst überhaupt nicht einhalten können. Allein ihr gesellschaftliches und politisches Wirken belegt, dass sie das Land nicht lieben wollen, geschweige denn können! Denn Liebe verzeiht und sieht über Fehler hinweg, übt Nachsicht, akzeptiert wechselseitige Unterschiede und Einstellungen! Von all dem ist bei den Neofaschisten überhaupt nichts vorhanden. Neofaschisten verbreiten Hass, Angst und Gewalt, mit der sie ihre selbst ernannten Feinde überziehen. Würden sie Deutschland "lieben", würden sie überhaupt nicht auf die Idee kommen, alle diejenigen als Feinde zu deklarieren, die ihren Vorstellungen von korrektem Untertanenwesen widersprechen. Denn auch die sind Teil des Landes, auch wenn sie von sich möglicherweise gar nicht behaupten würden, ihr Land zu "lieben", es aber dennoch schätzen, in Deutschland beheimatet zu sein. Eine unmöglich zu verwirklichende Forderung aufzustellen, um bei deren Nichterfüllung Sanktionen anzudrohen, ist an Skrupellosigkeit nicht zu überbieten.
"Liebe" zu einem Land ist nur als Fetischismus denkbar: Man vergötzt einen Gegenstand oder irgendein Phantasieobjekt und projiziert darauf seine wie auch immer gearteten - im Falle der Neofaschisten: Gewalt- und Unterwerfungs- - Sehnsüchte! Es geht ihnen um die unbedingte Treue zur Nation auf allen Ebenen der von ihnen angestrebten nationalen Hackordnung, letztlich also um die Erzwingung von Kadavergehorsam! (Anmerkung: " ...das Wort bezieht sich auf die Vorschrift der jesuitischen Ordensregeln, dass die Ordensbrüder den Oberen widerspruchslos, wie ein toter Körper, (...) zu gehorchen hätten."1)
Die Neofaschisten offenbaren damit ihren Doppelcharakter: Sie hetzen nicht nur gegen Flüchtlinge, sondern wollen mit ihrer angekündigten Vertreibungspolitik ("... soll Deutschland verlassen") selbst Fluchtgründe schaffen. Mitbürger mit ausländischem Paß können lt. neofaschistischer Definition ihr Gastland generell nicht "lieben", denn es wird ihnen unterstellt, sie gehorchten ja einem anderen Staat. Also müssen sie weg!
"Frei, sozial und national!"
Diese Parole kommt als verlogenes Selbstlob daher, denn was hier aufgezählt wird, schließt sich wechselseitig aus. Als "frei" bezeichnen sich die Neofaschisten, Freiheit spendend ihr politisches Anliegen! "Frei" von allem, was Vernunft und Mitmenschlichkeit umschließt; eine Gesellschaft "frei" von Ausländern, Linken, Behinderten, unangepassten Lebensweisen usw. betreffend; "frei" von Rücksichtnahme und Solidarität; "frei" im Verbreiten von Lügen, Hass und Gewaltandrohungen; "frei" in der beliebigen und willkürlichen Umwertung von Begriffen, solange es ihren menschenverachtenden Zwecken dienlich ist; "frei" in der Wahl ihrer Mittel zur Durchsetzung ihres Herrschafts- und Unterdrückungsanspruchs,
Neofaschisten nehmen für sich in Anspruch, was sie anderen, für sie unliebsamen Bevölkerungsteilen vorenthalten bzw. wegnehmen wollen. Dass sie mit dieser Parole den Freiheitsbegriff zu kapern versuchen, ist an Dreistigkeit nicht zu überbieten. Weist aber auch darauf hin, daß ihnen jedes Mittel recht ist, um für ihre Zwecke instrumentalisiert und missbraucht zu werden.
Der lohnarbeitenden Bevölkerung versprechen die Neofaschisten ein von ausländischer Arbeitskräftekonkurrenz befreites und unbehelligtes Abhängigendasein! Als ob der dann weiterhin verbleibende Zwang zur Arbeitskonkurrenz unter ihresgleichen, d.h. dann eben ausschließlich deutsch-bepassten Lohnarbeitern eine Verbesserung ihrer Lebens- und Arbeitssituation mit sich bringen würde. Den Lohnarbeitern kann es im Grunde vollkommen egal sein, welcher nationalen Zugehörigkeit sie jeweils unterliegen. An dem für sie nachteiligen Sachverhalt, dass sie alle - egal ob deutscher oder ausländischer Herkunft - mit ihresgleichen konkurrieren und neben ihrer bezahlten Arbeit auch noch unentgeltliche Mehrarbeit zum Nutzen ihres jeweiligen Arbeit"gebers" zu verrichten haben, ändert dies überhaupt nichts. Das ist der "soziale" Kern dieser faschistischen Parole.
"Nationaler Sozialismus: jetzt, jetzt, jetzt!"
Das klingt zackig, das hat den Schmiss, wie ihn die Neofaschisten lieben. Im markigen und lautstarken Skandieren dieser Parole kommt ihre Vorliebe für Militaristisches zur Geltung. Auffällig aber auch der illusionäre Charakter dieser Parole: als ob ein "Nationaler Sozialismus" als politisches Programm bei den deutschen Bürgern aktuell auf Gegenliebe stoßen würde.
Es mögen nationalistische Einstellungen in allen möglichen Abstufungen hierzulande auch noch so verbreitet sein - an einer Wieder- oder Neuauflage eines derartigen Experiments dürfte kaum ein ernsthaftes öffentliches Interesse bestehen. Was die Neofaschisten damit aber auch ausdrücken wollen, ist ihr unbedingter Wille des ideologischen Anschlusses an die traditionelle nationalsozialistische Ideologie, die ihnen auch heute noch als vorbildlich gilt.
Auch in dieser Parole vermengen die Neofaschisten miteinander unvereinbare politische Sachverhalte. "Sozialismus" als Berufungstitel für ein die kapitalistische Wert- und Mehrwertproduktion hinter sich lassendes Gesellschaftsvorhaben ist in nationalen Grenzen nicht zu realisieren und als Versuch deshalb schon überhaupt nicht empfehlenswert, weil zum Scheitern verurteilt. Wer den kapitalistischen Konkurrenzmechanismus außer Kraft setzen möchte, kann dies allein schon angesichts der heutzutage existierenden weltweiten Verflechtung der wirtschaftlichen Beziehungen nur im Rahmen eines auch weltweit aufeinander abgestimmten Projektes bewerkstelligen.
Konkurrenz bedeutet, das eigene Interesse durch Schädigung des gegnerischen Interesses durchsetzen zu wollen. Sich mit einem auf Kooperation gegründeten ökonomischen Projekt inmitten einer konkurrenzbasierten Weltwirtschaft behaupten glauben zu können, würde nur scheitern und die Rückführung der eigenen Wirtschaft in den Konkurrenzmodus erzwingen. Überlegungen dieser Art aber sind in das Konzept eines "Nationalen Sozialismus" mit Sicherheit nicht eingegangen, denn mit "Sozialismus" im traditionellen Sinne haben die Neofaschisten überhaupt nichts am Hut.
Der Begriff "Sozialismus" ist in Verbindung mit "Nationalismus" hier lediglich als semantischer Rückgriff auf den seinerzeitigen Hitlerfaschismus zu deuten. Es ist nicht bekannt, dass das deutsche Kapital unter der Hitlerherrschaft besonders gelitten oder mit umfassenden Vergesellschaftungsbestrebungen zu tun gehabt hätte. "Sozialismus" steht in diesem Zusammenhang für staatliche Eingriffsbefugnisse in die kapitalistische Wirtschaft, die sich das NS-Regime vorbehalten wollte, die dem Kapital aber keinesfalls geschadet hatten. Dem ganzen liegt das faschistische Ideal eines "Kapitalismus ohne ökonomische Gegensätze"2 zugrunde, eines weiteren Widerspruchs im Denken der Alt- und Neofaschisten. Denn was die als "sozialistisch" deklarieren, sind "generelle Vorbehalte gegen die Verfolgung des Privatmaterialismus per Konkurrenz"3, aber eben nur Vorbehalte, und keine prinzipielle Ablehnung derselben. "Sie haben allein etwas dagegen, dass der Wettbewerb vieler um wenige Arbeitsplätze zu sozialem Unfrieden führt, dass die Konkurrenz der Betriebe um Absatz und Profit Betriebsschließungen und Arbeitslosigkeit nach sich zieht und dass Preiskalkulationen der konkurrierenden industriellen Kapitalisten zu Unterversorgung des Gemeinwesens bzw. zu Mängeln in der Produktion staatlicher Gebrauchsgüter führt."4
Das Recht auf Ausbeutung der Arbeitskraft wird dem Kapital in diesem Modell also überhaupt nicht abgesprochen, sondern mit dem Begriff "Sozialismus" nur scheinheilig bemäntelt. Die Faschisten "denken sich dabei den Kapitalismus ohne die ihm innewohnenden ökonomischen und sozialen Gegensätze, stellen sich deren Austragung in der Konkurrenz ohne Verletzung des Privateigentums, ohne Streik und ohne gewerkschaftlichen oder gar Klassenkampf vor. Diese ideelle Abstraktion, diese Zerlegung der Einheit der kapitalistischen Produktionsweise in das, was ihnen paßt, und in das, was sie stört, wollen sie praktisch werden lassen und haben das zwischen 1933 und 1945 schon einmal betrieben."5 Das ist die großartige Perspektive eines für das Kapital möglichst schmerzfreien "Nationalen Sozialismus"!