"Wir verhandeln nicht mit der Mafia"
Nach der Parlamentswahl in der Slowakei wollen die "Einfachen Leute und unabhängigen Personen" eine Regierung ohne die Sozialdemokraten bilden
Nach seinem Sieg bei der slowakischen Parlamentswahl am Samstag verhandelt Igor Matovič, der Gründer und Chef der Bewegung "Einfache Leute und unabhängige Personen" (Obyčajní ľudia a Nezávislé Osobnosti oder kurz "OľaNO") mit vier Parteien über die Bildung einer Koalitionsregierung. Mit 53 der insgesamt 150 Sitze im Pressburger Parlament fehlen seiner um 14 Punkte auf 25,2 Prozent gewachsenen und nun stärksten Partei nämlich noch 23 Mandate für eine absolute Mehrheit.
17 davon könnten von Boris Kollárs EU-skeptischer Partei "Wir sind eine Familie" (Sme Rodina oder kurz SR) kommen, die ihr Ergebnis um 1,6 Punkte auf 8,2 Prozent steigerte und im EU-Parlament zur von der italienischen Lega und dem französischen Rassemblement National dominierten Fraktion Identität und Demokratie gehört. Eher EU-euphorisch ist dagegen ein anderer Gesprächspartner Matovičs, der am Samstag aus dem Stand auf 5,8 Prozent Stimmenanteil und zwölf Sitze kam: "Für die Menschen" (Za ľudí), die Partei des von 2014 bis 2019 amtierenden Staatspräsidenten Andrej Kiska.
Ob sich die eher gegensätzlich wirkenden Forderungen von Kollár und Kiska unter einen Hut bringen lassen, ist offen. Für eine Mehrheit würde Matovič aber auch ein Bündnis mit einer dieser beiden Parteien reichen, wenn er Richard Suliks wirtschaftsliberale Sloboda a Solidarita (SaS) hinzunimmt, die sich im EU-Parlament nicht den Liberalmacronisten, sondern der konservativen EKR-Fraktion angeschlossen hat. Sie war nicht an der bisherigen Koalition beteiligt, zählt aber mit einem Absturz von 12,1 auf 6,22 Prozent zu den Wahlverlierern.
Mit dem wichtigsten Wahlverlierer, den vorher regierenden Sozialdemokraten von der Smer ("Richtung"), will Matovič ebenso wenig regieren wie mit der bei etwa acht Prozent steckengebliebenen nationalistischen Partei Ľudová Strana Naše Slovensko (ĽSNS) von Marian Kotleba. Auf entsprechende Fragen meinte er nur: "Wir verhandeln nicht mit der Mafia".
EU-Förderungen und Mehrwertsteuerbetrug
Das bezieht sich auf das wichtigste Wahlkampfthema seiner Partei, der Affäre um den Doppelmord am slowakischen Reporter Ján Kuciak und seiner Verlobten Martina Kušnírová. Kurz vor seinem Tod hatte sich Kuciak intensiv mit möglichen Verbindungen der Smer zur italienischen Mafia beschäftigt, die unter anderem von EU-Förderungen und Mehrwertsteuerbetrug profitiert haben soll.
Dieser merkwürdige Zufall trieb in der slowakischen Hauptstadt Pressburg im Frühjahr 2018 so viele Demonstranten auf die Straße wie seit 1989 nicht mehr, was dazu führte, dass der damalige Ministerpräsident Robert Fico die Amtsgeschäfte an seinen Stellvertreter Peter Pellegrini übergab (vgl. Slowakei: Ministerpräsidentenrücktritt mit Hintergrund Reportermordaffäre). Ganz aus der Politik verabschiedete sich Fico jedoch eben sowenig wie die deutsche Kanzlerin Angela Merkel nach ihrer Abgabe des Parteivorsitzes an Annegret Kramp-Karrenbauer: Er behielt den Parteivorsitz und übernahm dazu den Posten des Fraktionschefs.
Diese Änderung war anscheinend nicht nur Matovič, sondern auch vielen Wählern zu wenig. Sie straften die Sozialdemokraten mit einem Verlust von 9,99 Punkten auf 18,29 Prozent. Wäre die Äffäre nicht gewesen, dann hätte die Smer Pellegrinis Ansicht nach angesichts eines Wirtschaftswachstums von 2,2 Prozent und einer Arbeitslosenrate von fünf Prozent auf einen Stimmenanteil von 30 Prozent kommen können.
Auch die Koalitionspartner der Sozialdemokraten wurden abgestraft: Die protektionistische und russlandfreundliche Slovenská Národná Strana (SNS) flog mit einem Verlust von 5,7 Punkten auf 3,2 Prozent ebenso aus dem Parlament wie die Ungarnpartei Most-Híd, die 4,45 Punkte auf 2,05 Prozent verlor.
Stern der "slowakischen Macronova" schon wieder verlöscht"
Zuzana Čaputovás Progresívne Slovensko (PS) schaffte den Einzug ebenfalls nicht. Sie hatte sich mit der ebenfalls brüsselorientierten Partei Spolu ("Gemeinsam") verbündet und damit 6,96 Prozent erreicht. Für Parteienbündnisse gilt in der Slowakei jedoch mit sieben Prozent eine höhere Sperrhürde als die fünfprozentige für Einzelparteien, weshalb dieser Wert nicht ganz ausreichte. Im letzten Jahr hatten die Slowaken Čaputová noch zur Staatspräsidentin gewählt (vgl. Stichwahl zwischen slowakischer "Macronova" und EU-Kommissar) und ihre Partei zum Sieger bei der Europawahl gemacht. Auch dabei hatte die Empörung über die Mafia-Affäre der Sozialdemokraten eine wichtige Rolle gespielt.
Čaputová wurde häufig mit dem französischen Staatspräsidenten Emmanuel Macron verglichen: Sie ist relativ jung, sieht recht telegen aus - und ihre Partei suggerierte den Wählern, etwas Neues zu sein, ohne sich inhaltlich sehr von den Positionen der Etablierten zu unterscheiden. Dieses Rezept scheint jedoch nur von begrenzt langer Haltbarkeit gewesen zu sein. Nun haben die Slowaken mit der OľaNO anscheinend eine neue Alternative zu den Etablierten entdeckt. Wie lange sie Bestand hat, wird sich zeigen.
Auf europäischer Ebene hat sich die OľaNO inzwischen der christdemokratischen EVP angeschlossen, deren alte Vertreter, die Kresťanskodemokratické hnutie (KDH), mit 4,6 Prozent Stimmenanteil keine Rolle mehr spielen. Die Kandidaten auf der Liste seiner Partei wirken allerdings weniger homogen als die christdemokratischer Parteien aus anderen Ländern. Ein Pluralismus, der Matovič zufolge auch so beabsichtigt ist. Deshalb muss er vielleicht damit rechnen, dass nicht jeder der Abgeordneten seiner Partei in jeder Abstimmung hinter ihm steht.
Er selbst gibt an, er wolle die Politik, die er macht, nicht nach Ideologien ausrichten. Das spiegelt sich auch im Programm seiner Wahlplattform wider, das weniger konkret ist als das vieler herkömmlicher Parteien. Und es erlaubt ihm, auf die Herzenswünsche potenzieller Koalitionspartner stärker einzugehen, als er das mit festgelegteren Versprechen könnte. Wichtig ist ihm nach eigenen Angaben vor allem, "dass wir aufräumen" und "die Slowakei zu einem fairen Land machen, in dem die Gesetze für alle gelten". Darüber hinaus hat er Volksbefragungen angekündigt.
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