Wird Homeoffice zur neuen Normalität?
In einem Land mit großer Liebe zur Pünktlichkeit wie Deutschland wäre mehr Homeoffice mal was Neues. Mehr Arbeitszeit im Büro bedeutet nicht unbedingt mehr Leistung. Ein Kommentar
Doch hierzulande ist Arbeiten ohne Zeitvorgabe noch immer eine gewagte Überlegung. Wissenschaftler haben jedoch errechnet, dass Heimarbeit bei 40% aller Jobs möglich wäre. Heute sind wir bei 10%. Schweden, Belgien und die Niederlande sind bei doppelt bis dreimal so viel.
Vor 50 Jahren sagte mein erster Intendant: "Ich erwarte von Ihnen gute Filme und gute Moderationen. Wie lange Sie dafür brauchen, ist ausschließlich Ihre Sache. Sie können gerne auch im Schwimmbad arbeiten und dabei in der Sonne liegen." Ein kluger Chef.
Ich hatte Glück und wurde glücklich mit diesem Journalisten-Beruf, bei dem das Wort Rente ein Fremdwort ist. Ich verstehe mich auch mit 80 als Festangestellter des Lebens. Arbeit ist unser Ausdruck, in der Welt zu sein. Wir sind hier, um das zu tun, was wir wirklich lieben. Und im digitalen Zeitalter ist mein Büro immer dort, wo ich gerade bin.
Homeoffice scheiterte in Deutschland bisher weniger an fehlender Technik oder an Effizienz, sondern am Vertrauen der Chefs in ihre MitarbeiterInnen. Der niederländische Arbeitsforscher Rutger Bregman sagt gar voraus: Wir werden mittelfristig noch 15 Stunden pro Woche arbeiten und dabei besser leben. So lasse sich auch die Digitalisierung mit weniger Arbeitszeit ohne Massenarbeitslosigkeit gestalten.
Der Kapitalismus habe viele überflüssige "Bullshit-Bürojobs" geschaffen. Es gehe aber darum, weniger zu arbeiten, um mehr zu tun. Bregman: "Viele Menschen sehnen sich nach Sinn."
Weniger arbeiten - mehr tun
Wir werden in den nächsten Jahren Arbeit neu denken. Später kommen, früher gehen, mehr Zeit für Kinder und mehr Rücksicht auf die Arbeitszeiten des Partners oder der Partnerin?
Aber ja, in der schwedischen Stadt Göteborg wurde dieser Traum bereits Realität. In einem Arbeitszeitexperiment wurde der Sechs-Stunden-Arbeitstag erprobt. Ergebnis: Die ArbeitnehmerInnen sind leistungsfähiger, zufriedener und seltener krank.
Ergebnis: Mit diesem innovativen Zeitmodell wird jetzt auch anderswo in Schweden experimentiert. Die IG Metall will auch in Deutschland erproben, ob mehr Freizeit ihren Mitgliedern wichtiger ist als mehr Lohn. Erste Umfrageergebnisse zeigen, dass mehr Geld erst an vierter Stelle steht, aber mehr Freizeit an erster. Vor allem Männer haben in den letzten Jahrzehnten einen größeren zeitlichen Spielraum für mehr Präsenz in ihrer Familie benutzt.
Übrigens: "Wähle einen Beruf, den du liebst, und du brauchst keinen Tag in deinem Leben mehr zu arbeiten", wusste schon Konfuzius. Oder Khalil Gibran: "Arbeit ist sichtbar gemachte Liebe." Wenn wir tun, was wir lieben, wird unsere Arbeit gut.
Und was macht die Digitalisierung mit unseren Jobs?
Wie viel Arbeit übernehmen künftig die Maschinen? Fabriken ohne Arbeiter? Kaufhäuser ohne VerkäuferInnen? Supermärkte ohne Kassiererinnen? Busse, Bahnen und Taxen ohne Fahrer? Wollen wir das auch? Mehr oder weniger Jobs durch Digitalisierung?
Bei jeder Transformation entstehen auch neue Jobs. Roboter müssen entwickelt, gebaut und gewartet werden? Wer organisiert die Software? Wer bezahlt die Umschulung? Niemand kennt bisher die Antwort. Wir wissen allerdings vom Übergang in die erste industrielle Revolution, dass die größten Chancen auf Jobs hat, wer beim Übergang in die neue Berufswelt flexibel ist und willig zur Ausbildung.
Der Arbeitsmarkt wird sich auch in Deutschland in den nächsten Jahren rasant ändern - allein durch die nicht aufzuhaltende Digitalisierung und Roboterisierung. Die Digitalisierung durchdringt die gesamte Arbeitswelt. Es begann bei Reisebüros und Buchhandlungen, bei Banken und Medien, es folgten Einzelhandel, Maschinenbau und die Autoindustrie. Und dennoch hat Deutschland heute die wenigsten Arbeitslose seit der Wiedervereinigung.
Viele monotone Aufgaben übernehmen jetzt die Roboter. Obwohl in Deutschland noch viel digitaler Analphabetismus herrscht - hauptsächlich die deutsche Bürokratie hat die digitale Revolution bisher weitgehend verschlafen. An vielen Orten wiehert noch immer der analoge Amtsschimmel.
Dennoch oder gerade deshalb ergeben sich diese Fragen:
Wie gestalten wir die notwendige Anpassung an den technischen Wandel und die demografische Entwicklung? Wie finanzieren wir die notwendigen Investitionen in Bildung, Umschulung und Weiterbildung? Wie integrieren wir Menschen, die aus anderen Ländern zu uns kommen, in unser Bildungs- und Ausbildungssystem? Wie schaffen die Abgehängten den Anschluss? Wo entstehen neue Arbeitsplätze, die durch Innovation und Neustruktur verloren gehen? Wird die Niedrig-Lohn-Armee der Postboten, Putzleute und Pfleger weiter wachsen? Was heißt das alles für die künftigen Arbeitszeiten?
Verändert hat sich in den letzten zwei Jahrzehnten zum Beispiel die Druckindustrie. Meine Zeitungskollegen klagen fast alle über Rückgänge der gedruckten Zeitungen. Gleichzeitig aber bauen sie die Digitalisierung ihrer Arbeit aus. So sagt Sven Steffen von Steffen Media in Friedland, dass er innerhalb von zehn Jahren sein Druckhaus in ein Medienhaus umgebaut habe. 2001 hatte er 30 Mitarbeiter, davon waren neun Offsetdrucker und einer war Programmierer. Heute hat er 57 Mitarbeiter, darunter fünf Drucker und neun Mitarbeiter fürs Digitale. Der Wandel hat sich gelohnt. Der Umsatz von Steffen Media hat sich seit 2007 vervierfacht.
Die Digital-Botschafterin der Bundesregierung, Professorin Gesche Joost, sagt: "Wir erwarten bis zum Jahr 2.020 eine Million offene Stellen im IT-Bereich." Über ihre persönliche Mobilität sagt Frau Joost: "Ohne Netz läuft gar nichts. Ich käme kaum durch die Stadt ohne digitale Kenntnisse. Ich habe kein Auto und fahre immer mit Mietfahrrädern, mit DriveNow oder Car2Go. Meine ganze Mobilität funktioniert ad hoc übers Smartphone." Weniger Büroarbeit und weniger Bürohengste bedeuten weniger Staus.
Die Arbeit der Zukunft: Weiblicher, älter, flexibler und digital
In Universitätsstädten sind die Hochschulen oft die Treiber der Digitalisierung. Der digitale Kapitalismus setzt auf selbstlernende Maschinen, welche die Produktion übernehmen und auf Wissen, das körperliche Arbeit übernimmt. Dadurch sollen immer mehr Waren in immer weniger Zeit von immer weniger Menschen produziert werden.
Klar ist, dass ein funktionierender Arbeitsmarkt und eine florierende Wirtschaft die Voraussetzung für den sozialen Frieden in einer modernen Gesellschaft sind. Deshalb müssen digitale Kompetenzen fester Bestandteil unseres Bildungssystems werden.
Mehr von Franz Alt auf der Sonnenseite.com.
Empfohlener redaktioneller Inhalt
Mit Ihrer Zustimmmung wird hier eine externe Buchempfehlung (Amazon Affiliates) geladen.
Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen (Amazon Affiliates) übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.